In der neunten Ausgabe „Musik von hier“ sagen wir der Eindimensionalität mal wieder den Kampf an: Wir haben für euch Deutsch-Rap, artsy Singer-Songwriter, Post Punk, Retro-New-Wave, Electro-Pop, Rock and many more. Ja, sogar Kölsche Mundart. Grenzen goodbye! Pick dir dein Leckerli selbst heraus:
Conny – Für immer temporär
Für viele ist er der neue King am intellektuellen Deutsch-Rap-Horizont: Conny aus Düsseldorf verzichtet in seinen Texten weitgehend auf Beleidigungen und ein „Guck mich an, wie geil ich bin“ hat er auch nicht nötig. Stattdessen gibt seine nächste EP mal wieder Impulse, die man so nicht erwartet. Besonders im Vergleich zu seinem 2022 erschienenen letzten Werk wird es diesmal eher locker, gut gelaunt und entspannt hookig. „Für immer temporär“ ist mit zehn Minuten zwar verdammt knapp, dafür aber inhaltlich wieder ohne Ausfall. Viel Zwischenmenschliches mit leicht romantisch-melancholischen Noten („4 Minuten“), Hit-fähigen Beats („Superkraft“) und einem Rückblick auf vergangene Sommertage („52 Sonntage“). Im November und Dezember gibt’s eine fette Tour durch deutschsprachige Länder, NRW ist mit Köln, Münster und Bochum dabei. Übrigens: Als Support spielt Liser. Die mögen wir bekanntlich auch sehr gern. Doppelter Jackpot. Bereits veröffentlicht
Noth – Lieder vom Verschwinden
Noth kennen sich erst seit 2020. Eine Zeit, die wohl für jeden anders verlaufen ist, als man es vorher geplant hatte. Linus und Lukas machen seitdem eigenwillige, deutschsprachige Musik und scheinen Ideen noch und nöcher zu haben. Kam erst im Mai 2022 das Debüt, folgt nun mit „Lieder zum Verschwinden“ bereits der Nachfolger, der abermals nicht dem Deutsch-Pop-Mainstream gefallen mag. Gab es jedoch beim Vorgänger eine ganze LP lang Geschichten rund um den fiktiven Charakter Arndt, wird es auf „Lieder zum Verschwinden“ doch greifbarer. Musikalisch erinnert vieles an Blumfeld, Tomte und die Helden, textlich lohnt es sich den manchmal doch sehr witzigen Alltagsbeobachtungen zu lauschen. So sind „Zum güldenen Einhorn“, aber auch die Vorabsingle „Alles ist vergänglich“ und „Mitnehmkiste“ die richtigen Zugänge, um sich reinzufuchsen. Schräg-schön und wohltuend. VÖ: 15.9.
Tristan Brusch – Woyzeck
Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr veröffentlicht der in Gelsenkirchen geborene Wahl-Berliner Tristan Brusch einen Longplayer. Zum zweiten Mal fordert er seine Hörer:innen heraus, geht aber nun nochmal einige Schritte weiter: Bereits im Februar 2022 kam Theater- und Opernregisseur Ersan Mondtag auf Tristan zu, um ihn darum zu bitten, für eine anstehende Inszenierung von Georg Büchners Klassiker „Woyzeck“ am Berliner Ensemble, die diesen September Premiere feiern wird – genau einen Tag nach der Albumveröffentlichung. Da Brusch immer schon mal am Theater arbeiten wollte, fühlte er sich mit der Aufgabe auf Anhieb wohl. Aus ursprünglich Instrumentalstücken wurden immer mehr, einige davon mit Text. Eine Dreiviertelstunde voller artsy, morbider, aber auch schöner Ideen. Musikalisch bewegt sich der Künstler zwischen Jazz, Folk, Polka und operrettenartigen Fragmenten. „Marie“ hätte jedoch sogar so auch auf seinem letzten Album landen können. Spannend. VÖ: 22.9.
Woodship – Cosmography
Das turboreichste Stück Musik kommt in dieser Ausgabe aus Unna und Düsseldorf: Woodship sind zu dritt und machen richtig powervollen, treibenden und dazu noch eingängigen Rock, der sich nicht limitiert. Da gibt es elektrische, knirschende Intros à la Electric Callboy wie in „Asteroid“, um sich dann mit dramatischem Klavier und Endzeit-Gitarrensound zu entladen. Im nächsten Moment ist man wiederum mehr 30 Seconds to Mars – passend dazu heißt sogar der Alternative-Rock-Song „Mars“. „Mercury“ dürfte Fall-out-Boy-Fans abholen. Alle paar Sekunden gibt es melodiöse Parts, die mal in den Vocals, mal aber auch in den Gitarrenriffs zu finden sind. Gerade diese Spielereien machen die 15-minütige EP „Cosmography“ zu einer äußerst unterhaltsamen und mitreißenden Viertelstunde, bei der nichts zu lang dauert oder auch nur in Ansätzen langweilt. VÖ: 29.9.
Lucito – Bitte Flieg
Lucito lässt sich Zeit. Der in einem winzig kleinen 800-Seelendorf geborene Wahl-Kölner bringt auf seinem Debütalbum 53 Minuten Musik mit. Einige der Titel scheuen sich nicht, die 5-Minuten-Marke zu sprengen. So etwas gibt es noch? Ja, Tatsache. Sowieso ist „Bitte Flieg“ etwas für Introvertierte. Ruhig, fokussiert, melodisch, feinfühlig. Die Instrumente – allen voran viele Akustikgitarren – sind live eingespielt und kommen nicht aus der Konserve. Die Texte erzählen von vielen fragilen Augenblicken, die selbstredend ohne Autotune daherkommen. Der 28-jährige macht intimen deutschen Singer-Songwriter und ein wenig Indie-Pop. Eben das, was man hören mag, wenn draußen der Wind den Laub ans Fenster weht. Anspieltipps: „Herbst“ (wie treffend), „Ich denk so oft an dich“ und „Hättest du mich gewollt“. Ihr wollt’s live für Augen und Ohren? Am 10.10. ist das Releasekonzert im Helios37. VÖ: 29.9.
Antje Schomaker – Snacks
Rheurdt ist jetzt nicht unbedingt the place to be. Deswegen ging Antje Schomaker auch in die große, weite Welt – nämlich nach Hamburg, wo sie bis heute lebt. Aber als waschechtes NRW-Dorfkind aus dem Kreis Kleve, trägt man ein Stückchen Heimat selbstredend immer mit sich herum. Die 31-jährige Künstlerin steht mit ihrem zweiten Longplayer in den Startlöchern. Mit dem ersten, der 2018 kam, enterte sie die Top 50 der Albumcharts, parallel dazu gab es einen wirklich süßen Podcast, der auch heute noch hörenswert ist. Im letzten Jahr gewann sie den „Preis für Popkultur“. Zurück zur Gegenwart: Auf „Snacks“ gibt es zwölf schmackofatzige, frische Liedchen, die sich zwanglos zwischen Indie-Pop, Singer/Songwriter und NDW bewegen und immer mal wieder an die guten, alten Wir sind Helden erinnern. An einer Stelle wird gar Peter Fox gecovert („Alles neu“), an anderer die Killers gesamplet („Irgendwohin“). Warum sie „Nie nach Paris“ wollte, verstehen wir aber leider nicht… überleg dir das doch nochmal genau, Antje! VÖ: 6.10.
Smile – Price of Progress
Lächle, denn du kannst sie schließlich nicht alle töten. Ganz so übel ist es bei der Band Smile nicht, aber dennoch hat ihr Debüt „Price of Progress“ etwas Düsteres und Schwermütiges. Sängerin Rubee verließ mit 19 ihre Heimat in Albuquerque, um mehr zu sehen. Schließlich landete sie in… Trommelwirbel: Bonn! Dort entstand mit anderen guten Musiker:innen der Szene das Quintett. In einem schaurigen alten Bahnhofsgebäude fand man Inspiration, um dem Post Punk einen neuen Anstrich zu verpassen – und das hat funktioniert. Die zehn verschachtelten Songs der Platte warten auf Entschlüsselung. Rubee spricht weite Teile mit einer gewissen Laszivität und Lethargie ins Mikro, gleichzeitig spielen Drums und Gitarren einen wellenartigen Klangteppich. Erinnert nicht selten an Garbage. Den Soundtrack für einen Lynch-Film bietet der Opener „Dog in a Manger“, besonders im verschroben anmutenden „Commuter“ finden Liebhaber:innen neben dem Mainstream wohl einen Hit für den Herbst. VÖ: 13.10.
The Screenshots – Wunderwerk Mensch
Das Debütalbum des Kölner Trios The Screenshots enterte die Top 50 – und zwar zur ersten Corona Hochphase im Oktober 2020. Das ist alles andere als schlecht. Ziemlich genau drei Jahre später stehen die Sterne, was Promotion und Liveauftritte angeht, entschieden besser. Also auf auf ins neue Projekt „Wunderwerk Mensch“. Ihre Herkunft verleugnet sie schon einmal nicht, so gibt es gar eine Nummer auf Kölsch. „Die Liebe weiß nit wo se hinfährt“ ist genauso melodisch und eingängig wie witzig-entertaining. Aber das kann man direkt über das ganze Album so sagen. Susi Bumms (Bass), Kurt Prödel (Drums) und Dax Werner (Gitarre, Gesang) klingen so wie die Künstler:innennamen es vermuten lassen. Eine halbe Stunde voller absurder Ideen, die aber auch rein musikalisch immer fruchten. Sweet: Hier und da wartet ein Kinderchor im Background auf uns. Und wer zum Abschluss eine Hymne an die „Großeltern“ schreibt, kann nur ein guter Mensch sein. VÖ: 13.10.
Sparkling – We Are Here To Make You Feel
Ziemlich stilsicher! Anders kann man den Sound von Sparkling nicht beschreiben. Auf ihrem zweiten Album und ihrer insgesamt vierten größeren Veröffentlichung droppt das Kölner Trio wieder einen Feel-Good-Song nach dem Nächsten, um in Clubs, Wohnzimmern oder auf Hauspartys und Dächern der Stadt sich wild in die Ekstase zu hüpfen. Da prasseln gnadenlos Synthies auf einen ein, als ob der New Wave sich in die Gegenwart gebeamt hätte. Das macht wirklich sehr viel Spaß. Allen voran schreitet „I Get Sad So Easily“ – wir alle haben unmittelbar den Ort vor Augen, an dem wir damals dazu steilgegangen wären. „Don’t Let Go“ ist eine Kreuzung aus Depeche Mode und MGMT, der Opener „We Are Here To Make You Feel“ ein Song, zu dem wir melancholisch, aber glücklich an Silvester schwofen wollen. Ist ja nicht mehr so lang bis dahin. Sparkling halten mit der Platte im November u.a. in Münster und Köln. Gut zu wissen! VÖ: 27.10.
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