Musik von hier 6/2022: Die volle Ladung zum Frühherbst

Outdoor sind die Festivals vorbei, dann geht's eben nun drinnen weiter - checkt unsere NRW-Acts des Monats aus! Foto: Adobe Stock
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Wow, das ging jetzt schnell oder? Gefühlt waren es gerade noch fast 30 Grad, nun sind es nachts schon nur noch 5. Um den Temperaturschock, die Panik vor viel zu hohen Energiekosten und der nächsten Erkältungswelle besser aushalten zu können, präsentieren wir euch bei Musik von hier 10 Releases aus den letzten Wochen, zu denen ihr gnadenlos abspacken, träumen, nachdenken oder headbangen könnt. Alles Acts aus unserem wonderful NRW, versteht sich… Here we go:

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Figur Lemur – Politik und Liebe

 

Wenn Deutschrap aus Bochum nicht nur mit poppigen Hooks verfeinert wird, sondern auch noch gut produziert klingt, ist das zweifellos außergewöhnlich. Figur Lemur kriegen’s aber hin. Das Quartett ist seit rund 20 Jahren befreundet, hat schon zig Festivals gespielt, war bereits 2018 für den popNRW-Preis nominiert und liefert nun endlich das Debütalbum, auf das schon so lange gewartet wurde. Und das klingt top. Hauptverantwortlich zeigt sich Produzent Fayzen, der bereits für Provinz, Bosse und Elif die Regler drehen durfte. Der Albumname „Politik und Liebe“ bringt die Themen gut auf den Punkt, sodass sich vor oft diskutierten Dingen wie vor zwischenmenschlichen Begegnungen nicht gedrückt wird. Trap-Beats wie in „Irrelevant“ drücken gegen die Wand, „Schweigen“ ist gefühlt ein Überbleibsel vom letzten Deichkind-Longplayer.

Conny – Manic Pixie Dream Boy Vol. 2

Deutscher Rap muss nicht immer nur für die nächste Party konzipiert sein. Conny, 35 Jahre jung und aus Düsseldorf ist für Genrekundige als Teil des Duos Der Plot kein Unbekannter. In seiner 20-minütigen EP „Manic Pixie Dream Boy Vol. 2“ – Teil 1 erschien im Mai 2021 – geht es keinesfalls um einfache Unterhaltung. Die 7 Tracks sind selten zum Mitrappen gedacht und bieten auch in den Beats keine Trap-Momente, um mal ordentlich die Hände in die Luft zu werfen. Stattdessen setzt Constantin Höft, wie Conny gebürtig heißt, absolut auf Storytelling, das ernstzunehmende Probleme der Gesellschaft widerspiegelt. Da geht es um toxische Männlichkeit, das Überstülpen von Geschlechterklischees, übergriffigen Handlungen gegenüber Frauen und mehr. Schwermütig, nachdenklich, melancholisch, aber wichtig. „Pfefferspray“ bringt’s auf den Punkt.

Wir hatten was mit Björn – On The Ruins

Anspruchsvoll, ruhig, edgy: Für Wir hatten was mit Björn aus Bochum und Essen schließen sich Jazz, Pop, R’n’B, Soul und Singer/Songwriter gegenseitig nicht aus. Mit ihrem zweiten Album „On the Ruins“ liefern sie intime Sounds, die für eine geeignete Untermalung bei heißem Kräutertee auf der Couch eignen, während es draußen im Übergang vom Herbst zum Winter anfängt unangenehm nasskalt zu werden. Die größtenteils akustischen, rauen Nummern klingen nur in kleinen Teilen bearbeitet und könnten auch so im Proberaum entstanden sein. Bläser setzen funkige Akzente, Kontrabässe eher harte Untertöne. Maika an den Vocals hat etwas Meditatives in sich. Auf einmal wird dann aber das Opening „River“ doch zum Dancefloor und ein Outro gesprochen. Unerwartet. Eine wenig aufgeregte, aber gleichzeitig vielschichtige Platte.

Bring Your Own Beer – Royal Bluff

Bluesrock mit Südstaatenflair kommt seit Neustem auch aus… Trommelwirbel: Marl! Bring Your Own Beer nennt sich das vierköpfige Quartett aus männlichen Musikern, die zwischen 19 und 28 Jahren alt sind. Der handgemachte Sound hat genug Platz für schicke E-Gitarren-Soli, aber ganz besonders für die erfahren klingende Stimme von Christian Reclik, die für das Genre wie gemacht scheint. Hier wird gefaucht, gesungen, geschrien. In den vier Jahren Bandgeschichte wurde ordentlich dazu gelernt, sodass die EP „Royal Bluff“ mit ihren groovigen Hits und ganz besonders dem Rauswerfer „Fortuneteller“ zu begeistern weiß. Nicht umsonst wird Myles Kennedy und seine Band Alter Bridge als Vorbilder genannt. Für Handmade ausm Pott eine starke Leistung und ungewöhnliche Töne. Gegenwärtig ist die Gruppe in unterschiedlichen Locations im ganzen Land anzutreffen.

Exakt Neutral – 13 Wunde Punkte

Mal wieder Musik, die, ohne lang zu fackeln, direkt losbrettert. Innerhalb weniger Sekunden ist man mitten im Debütalbum der Kölner Band Exakt Neutral – und das ist auch gut so. Die haben sämtliche Lockdowns genutzt, um sich Songideen auf virtuellem Wege zukommen zu lassen. Dieses Jahr kamen endlich alle Schnipsel zu einem Ergebnis. Das Opening „Glanz und Gloria“ weiß direkt mit seinem Mix aus beflügelndem 80s-New-Wave, Electro, Punk, Pop und Rock zu begeistern. Sänger Michael sorgt sich um die Melodie, Ricarda brüllt zwischendrin voller Energie dazwischen. Im Laufe des Albums tauschen die Beiden aber auch einige Male die Rollen. Drummer Jan hingegen ist seit einigen Jahren auch bei den nicht unbekannten KMPFSPRT am Zocken. Neben dem saustarken Opener ist auch „Keine Zukunft“ ein Tipp, das sich wie die Reinkarnation von Wir sind Helden anfühlt.

Beachpeople – I’ll Be Gone For A Little While

Malte Huck. Haben wir den Namen nicht schon mal gehört? Oh ja, und zwar in einem ziemlich großen Kontext sogar. Sechs Jahre lang war der Ursprungskölner, den es mittlerweile aber nach Leipzig verschlagen hat, Bassist bei der unglaublich erfolgreichen Band AnnenMayKantereit. Seit 2020 macht er aber sein eigenes Ding und hat nun unter seinem Soloprojekt Beachpeople die erste EP am Start. Die fünf Titel haben zwar das teils entspannte Feeling von AnnenMayKantereit übernommen, aber ansonsten mit dem Sound nicht mehr viel gemeinsam. Malte singt auf Englisch und klingt auch in der Musik ziemlich nach verträumter Strandmusik. Da kommt das „Beach“ also nicht von irgendwoher. Indie-Pop, der dem Klangbett genug Freiraum lässt, um Atmosphäre zu kreieren. Bon-Iver-Süchtige sollten es mal mit „Tonight“ probieren.

Hippie Trim – What Consumes Me

Der ungünstigste Zeitpunkt, um mit einer Band durchzustarten, ist rückblickend wohl Ende 2019. Genau den haben Hippie Trim gewählt. Nachdem die erste Single des Quintetts, das sich aus Rheinländern und Ruhrgebietlern zusammensetzt, direkt zum ersten Showausverkauf führte, folgte im besagten Winter das Album und aus bekannten Gründen keine vollständige Tour. Dafür wurde drei Jahre lang an dem Nachfolger gewerkelt, der nun mit „What Consumes Me“ auf allen Portalen bereitsteht. Ja, man muss sagen, das sind 31 ziemlich unterhaltsame Minuten, die einen Crossover-Mix erklingen lassen, von dem man eigentlich geglaubt hätte, er sei begraben worden. Emo-Punk mit harten Grunge-Riffs und super hookigen Pop-Melodien. Das ist erfrischend anders und macht echt Spaß. „Pleaser“ hätte Mitte der 2000er die Charts gestürmt, „Faze“ hat was von einer Linkin-Park-Hommage. Ziemlich nice.

Between Bodies – Electric Sleep

Wenn mitten in der Pandemie auch noch ein paar schwerwiegende private Veränderungen dazukommen, hat man zwar einerseits mit seinen Dämonen zu kämpfen, andererseits aber auch genau die richtige Inspiration für Musik mit Tiefgang. Between Bodies kommen aus Köln, Paderborn und Toronto. Christopher Schmidt singt, spielt Gitarre, schreibt und lässt dabei tief in seine Familienstory blicken. So geht es um eine verzwickte Konstellation zwischen seinem verstorbenen Opa, seiner Mutter und ihrer lang verschwiegenen Halbschwester. Eine Geschichte, mit der sich die Familie schwertat. Musikalisch zeigt sich das Debütalbum „Electric Sleep“ als emotionale Punk-Rockplatte à la Blink-182 und Sum 41, die auch vor fast 20 Jahren schon so hätte erscheinen können. Die Single „Stronger Than Me“ zeigt, was einen erwartet.

Adrian Weiss – Dangerous Discipline

Ein instrumentales Album im Popmainstream ist immer schwierig – aber da will Adrian Weiss ja auch glücklicherweise gar nicht erst hin. Stattdessen greift der Düsseldorfer auch auf seinem vierten Soloalbum virtuos und mit äußerst viel Spielfreude zu seiner E-Gitarre und zockt gleich 47 Minuten lang gnadenlos durch. Ordentlicher Metal, den es heutzutage viel zu selten noch gibt, strömt aus den Boxen, Weiss lässt hin und wieder sogar ein paar eingängige Riffs durchblitzen (Anspieltipp: „Face Melting Phenomenon“). Fans mussten sechs Jahre auf die neue LP warten, da der Künstler stattdessen viel mit seiner Band Gloryful zu tun hatte, in der er seit acht Jahren spielt. Neben Weiss‘ eigener Band sind auf dem neuen Album fast ein Dutzend Gastmusiker:innen zu hören, wovon Metalheads locker zweidrittel kennen werden.

Hass – Hass

44 Jahre eine Band. Das verdient schon mal ordentlich Respekt. Zwar ist von den Gründungsmitgliedern bereits seit 30 (!) Jahren nur noch Gitarrist Hecktor am Start, aber der hat noch lange nicht genug. Hass aus Marl machen als Band auch in anderen Besetzungen immer weiter. Erst seit knapp zwei Jahren steht Sänger Marv Mandela am Mikrofon, den man ebenso in seiner anderen Ruhrpott-Band Fuck’it’Head hören kann. Marv grölt schön rotzige Lyrics, die der rechten Szene den Kampf ansagen, die anderen spielen typisch wilden, schnellen, unangepassten Punkrock. Mit Songs wie „Das hunderttausendste Anti-Nazi-Lied“ bleibt kein Raum für Interpretation. Die nur acht Minuten lange EP zieht durch und zeigt, dass auch in der neusten Besetzung weiterhin laut statt mucksmäuschenstill gilt.

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