Es sind einfach so intensive Momente im Jahr, wenn rund um die Sommersonnenwende der Tag endlos erscheint, die Sonne viele Stunden, bevor wir aufstehen, zurückkommt und alle Antennen auf „Beste Leben“ stehen. Lasst euch von uns anstecken, steckt uns mit eurer Energy an – und dann sieht man sich hoffentlich auf einer der vielen Shows von diesen fantastischten NRW-Artists, die wieder nur geiles, neues Zeug am Start haben. Nächste Runde „Musik von hier“, ab geht er:
Chris Hopkins meets The Young Lions – Live! Vol1
Auch wenn Chris Hopkins Anfang der 70er in New Jersey geboren wurde, so wuchs der Jazzmusiker doch in Bochum auf, weil sein Vater an der Ruhr-Uni unterrichtete. Und wir kennen’s: Haste den Pott einmal in dir, kriegse den so schnell auch nich mehr raus. Dass Chris seit seinem Grundschulalter musikalisch ausgebildet wurde, hört man der neusten Aufnahme des international beachteten Pianisten an. In Kooperation mit dem Quartett „The Young Lions“ ist ein starkes Livealbum gelungen, das hervorragende loungige Stimmung mit traditionellen Swing-Classics kombiniert. Ob mit Gesang ergänzte Standards wie „My Baby Just Cares For Me“ und „Blue Moon“ oder träumerische Instrumentalstücke wie „Satin Doll“, mehr noch aber mit dem mit überzeugendem Bläsereinsatz gespielten „Indiana“ wird für Fans des Genres alles richtig gemacht. Anfang Juni spielt Hopkins am Kemnader See, Ende Juni im Theater Hagen. Bereits veröffentlicht
Soeckers – Bis nach Tokio
Als Wanda vor genau einer Dekade das Licht der österreichischen, aber auch der deutschen Musikwelt erblickten, waren sie einfach der Shit. Und mal ehrlich: Sie sind es immer noch. Soeckers, ein Quartett aus Münster, klingen nicht rein zufällig so wie das Beste, was unser Nachbarland seit Falco gedroppt hat – tatsächlich hatte die Band die große Ehre, mit dem Wanda-Produzenten Paul Gallister in Wien aufnehmen zu dürfen. Das Händchen für Hits, aber auch das Händchen für Sound hört man der 4-Track-EP jeder Sekunde an. Nach den zwei Alben 2020 und 2022 zeigen die Jungs, dass es absolut möglich ist, Songs so zu schreiben, dass sie nach einem Durchgang für einen tagelangen Ohrwurm sorgen („Allein“). „Traum ist aus“ erinnert an „Alles aus Liebe“ von Die Toten Hosen, und das ist wohl zweifelsfrei ein Stück deutscher Popkultur. Also go, Boys! Bereits veröffentlicht
Honey Bizarre – Little Deep Miss Strange
Manchmal braucht es eine gewisse Sogwirkung. Dass um dich herum alles verschmilzt. Honey Bizarre aus Bochum zeigen auf ihrem rund eine Stunde andauernden Trip mit dem Namen „Little Deep Miss Strange“, dass man nahezu komplett auf die menschliche Stimme verzichten kann, um elektronische Traumwelten zu erschaffen. Das Duo bestehend aus der aus dem Iran stammenden Gilda Razani und dem Komponisten Hanzō Wanning liefert Sounds, zu denen man mit verschlossenen Augen im Stroboskoplicht tanzen kann, alternativ aber auch meditieren könnte. Das ist psychedelisch, mystisch, klirrend, ein wenig schaurig oder auch entspannend schön. Viele kennen die Zwei bereits von ihren Bands Sub.vision und About Aphrodite oder ihren Arbeiten für den WDR Köln. Eine leicht spirituelle Klangreise abseits des Mainstream. Bereits veröffentlicht
Fool The Masses – It’s All Lost
„It’s All Lost“. Der Name ist Programm. Fool The Masses zeigen auf ihrem Album in 13 Tracks ihre ganz persönliche Sicht auf das Ende der Zeit – und das fällt natürlich alles andere als rosig aus. Stattdessen haut die fünfköpfige Truppe aus Duisburg, die seit der Pandemie existiert – so viel zum Thema „Endzeitvision“ – richtig auf die Kacke und präsentiert Metalcore ohne große Kompromisse. Das sind Klanggewitter, das sind Aggressionen, schnelle Drums und Gitarren und viel Shouting und Growling von Sänger Niklas. Ab und zu gibt es für einige Sekunden gar melodische Parts wie in „Into The Void“, aber bevor zu viel gestreichelt wird, wechselt das Prozedere schlagartig in handwerklich gut gespielte Sounds der derberen Art. Spannend sind auch balladenartige Ansätze wie in „Black Soul“ oder elektrische Abzweigungen in „W.S.T.N.O.F.“. VÖ: 7.6.
Rules Of This Game – The Day We Lost Our Fears
Avril Lavigne ist wieder back im game und darf im Juni sogar das Hurricane headlinen. Warum das gerade erwähnenswert ist? Weil Rules Of This Game aus Köln mit Frontfrau Alessa durchaus an den 00s-Sound der kultigen Kanadierin erinnern. Nur ein wenig elektronischer. Und zum Anfang des Debütalbums „The Day We Lost Our Fears“ – was ein hübscher Titel – gibt’s sogar leichte Country-Vibes dank Banjo-Einsatz („Just Enough“). Yeeeha! Aber generell schaut die Band aus der Domstadt immer wieder gen Old-School-Pop-Punk. Die waren sicherlich Good-Charlotte-Anhänger:innen („Love Will Never Surrender“). Oder doch Linkin Park („Not The Right Time“)? Wie auch immer, hier lassen sich viele Vergleiche mit Größen ziehen, die man doch alle im Herzen trägt. Spaßiger Emo-Electro-Alternative-Ritt. VÖ: 7.6.
Fina – Alles Sagen
Ach, das ist aber ein wohliges Gefühl, wenn man die neuste EP von Fina hört. Die Sängerin, die ursprünglich aus Münster kommt, heute aber mehr in Köln anzutreffen ist, heißt mit bürgerlichem Namen Charlotte Borlinghaus und beweist auf der 5-Track-Veröffentlichung „Alles sagen“, dass es nun wirklich Zeit wird, ihre berührenden Deutsch-Pop-Songs in Albumlänge zu genießen. Wir wollen mehr! Schon der Titeltrack erweckt unmittelbar Assoziationen mit der wunderbaren Band Juli. Die Situation in „Auf deiner Couch“ hatten wir wohl alle schon mal, wenn wir selbst noch wach waren und den- oder diejenige beobachteten, für den:die wir aktuell sehr große Gefühle in uns tragen. „Prosecco“ könnte genauso ein Song von Madeline Juno sein. Wir haben vor dem inneren Auge, wie ihr in den fragilen Momenten bei Sonnenuntergang die Lieder einsaugt. VÖ: 14.6.
Tropica – Is This The Only Life I Know
Sehr hörenswerte Töne aus dem Rheinland: Die Formation Tropica, die sich bereits 2018 aus Menschen aus Wuppertal und Köln gebildet hat, bringt endlich ihr Debütalbum heraus – und das ist wirklich extrem gut. Hellhörig wurde man schon bei der ersten EP „On A Rainbow“ 2019, die aber nun mit „Is This The Only Life I Know“ nochmal um Längen getoppt wird. Das Sextett macht soghaften Indie-Rock mit viel Psychedelic-Anteil, dem aber nie die touchy Melodielinien fehlen, die immer mit so viel Fluffigkeit vorgetragen werden, dass der Miami Beach zum Greifen nah scheint. Passenderweise ist das Ganze auch noch stimmig produziert, sodass der Retrocharme klar erkennbar ist, aber der Bass und die Gitarrenriffs dennoch Raum finden. Verdammt großes Potenzial, das in diesem Sommer von ganz, ganz vielen erkannt werden sollte. Einen besseren Stimmungsfänger für ihn wird man so schnell nicht finden. VÖ: 21.6.
Amber – Room For Understanding
Straighter Alternative-Rock mit angenehmem Emo-Punk-Anteil aus Bielefeld nimmt Kurs auf sämtliche Ohren. Amber legen mit „Room For Understanding“ ihr Debütalbum vor und haben neun Songs mit 2000er-Retro-Charme an Bord. Das ist stets melodisch, trotzdem mit viel Gitarre und Drums, nie zu verschachtelt, sondern eher eingängig angelegt. Das Quartett rundum Frontmann Levin kommt eigentlich aus der Hardcore-Ecke, geht aber hier softere Wege ohne sich unangenehm anzubiedern. „Le Mal Nécessaire“ ist ein guter Rauswurf mit philosophischer Message, dem gegenüber steht „Spine“ als Opening, das so auch Sum 41 oder Simple Plan gedroppt hätten. Im Juli spielt die Kombo in ihrer Heimat beim „Summer Soundz“. Danach nimmt die eine Hälfte wohl die Refrains mit, die anderen die nicht weniger catchigen Gitarren-Riffs. VÖ: 21.6.
Desolat – ückendorfication
„ückendorfication“ ist schon mal ein sensationeller Titel für ein Debütalbum, oder? Die Gelsenkirchener Formation Desolat hat also dahingehend schon mal sämtliche Punkte kassiert, die sich im Pott befanden – Pott, versteht ihr? Wegen Ruhrpott und so. Aber auch inhaltlich scheppert das Grunge-Punk-Geflecht mit viel Knall und Zisch aus den Boxen. Sänger Markus steht rotzig, aber nie zu frech, sondern stets mit einem gewissen hoffnungsvollen Augenzwinkern am Mikro. Der war bis 2017 mit seinem Soloprojekt Fuzz Cola unterwegs und hat nun aber mit vier weiteren Mitgliedern genau den richtigen Drive, um Schalke-City authentisch zu vertonen. Stark sind die gut beobachteten Situationen in „Nie genug“, „Autos, Autos“ und „Jeden Tag“. „Jeder kennt diesen Spruch, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Auf dem Cover ist das Glas einfach ganz leer, was vielleicht sinnbildlich für Gelsenkirchen ganz gut passt. Aber dafür hat das Glas auch noch Platz für Träume und Ideen“, so der Frontmann. Word. VÖ: 28.6.
Keshavara – III
Zu ihrem vorigen Album „Kabinett der Phantasie“ hat das Kölner Musikprojekt Keshavara bereits die typischen Grenzen von Musik gesprengt. Stattdessen gab es neben den Songs nämlich eine zirkusartige Show mit Tänzer:innen, Moderation und allem Pipapo. Gründungsmitglied und Sänger Keshav und Schlagzeuger Nik sind in den letzten Jahren erneut gewachsen und haben nun aus einem Duo ein Quartett gemacht. Auf „III“, der dritten LP – ja, das hättet ihr jetzt nicht gedacht – wird es abermals herausfordernd, irritierend, aber ebenso schön und inspirierend. Die zehn Tracks haben teils mantrartige Strukturen, wechseln zwischen verschiedenen Sprachen hin und her, klingen organisch und spirituell, groovy wie relaxend. Keshavara sind und bleiben eine Band, die überrascht, sich stets weiterentwickelt und Wagnisse eingeht. Empfehlenswert. VÖ: 28.6.
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