Musik von hier 8/2022: 11 NRW-Acts zum großen Finale

Heiße Milch mit Honig in die Tasse, Heizung auf 5, ab auf die Couch und die neusten Sounds aus NRW checken. Foto: Adobe Stock
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Dezember. Die letzten Tage des Jahres 2022. Endzeitstimmung, Rückblicke, Melancholie. Unterlegt die dunklen, kalten und verschneiten Stunden mit der passenden Mucke und verratet uns, wer von den 11 hier euer Favo ist. Wir können uns nämlich nicht entscheiden. See ya in 2023 mit neuen Tunes.

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Neufundland – Grind

Das Indie-Highlight der kalten Saison kommt aus Köln: Neufundland liefern mit ihrem dritten Album „Grind“ eine halbe Stunde, um entspannt durch die Wohnung, besser noch durch den Club zu hüpfen. Die Lyrics sind nachvollziehbar und runden das Package mit vielen schönen Hooks und Rocksounds ab. Auch wenn sich seit dem Debütalbum vor fünf Jahren ein bisschen was in der Besetzung getan hat und die Gruppe nur noch ein Quartett ist, scheint das dem Output kaum einen Abbruch getan zu haben. „Kein Scherz“ und „Steine“ sind erneute Beweise, wie nice Indie mit NRW-Wurzeln doch sein kann. „Vino“ wird an den Festtagen bestimmt ordentlich fließen, dabei darf der Song auch gleich mit aus den Boxen scheppern. Wo wir schon bei Weihnachten wären: Die hübsche Vinyl zur Platte gibt’s strenglimitiert nur 500x. Den Wink mit dem Zaunpfahl habt ihr gecheckt, oder?

The Honeyclub – Imagine Life

Funk, Rock, Indie, ein wenig Hippieflair und Rockabilly. The Honeyclub aus Bochum haben ein paar ziemlich gute Elemente der großen Red Hot Chili Peppers mit ordentlich kalifornischem Indian-Summer-Feeling in den Topf geworfen. Das Trio sagt von sich selbst, es sei Rock’n’Roll, klingt aber zum Glück nicht klischeehaft wie The Baseballs. Die gibt’s ja schon. Die Debüt-EP „Imagine Life“ hat sechs spaßige, tanzbare Titel am Start, die ausnahmslos alle im Songwriting richtig punkten. So geht „Ohh, What Can I Do?“ beim ersten Hören ins Ohr und bleibt dort für eine Zeit. Die betörenden Vocals von G. Lou sind genauso prägnant wie die Bassläufe von Bo J. Al. Witzig: Auf der Bandwebsite gibt es ein eigenes The Honeyclub-Magazin im Stile der Vogue. Selbstironie können die also auch noch. Coolness on fleek.

Lars Fiero – Lars Fiero

Den hier könnt ihr, wenn euch das Album genauso gut gefällt wie uns, gleich für eure Hochzeit, Geburtstagsparty oder sonstigen Schabernack buchen: Lars Fiero aus Köln macht auf seinem Debütalbum ziemlich ansteckenden Gute-Laune-Pop, der hochwertig produziert ist, aber vor allen Dingen einfach super komponiert. Abwechslungsreich wird zwischen Up-Tempo-Beats und Pianoballaden hin- und hergeswitcht, stimmlich auf ordentlichem Niveau geliefert. Klingt zu keiner Sekunde nach „Ich hab‘ so ’n neues Hobby“, sondern nach klassischer Radiotauglichkeit. Dass der gebürtige Berliner bereits seit seinem zwölften Lebensjahr spielt und Songs kreiert, hat sich ausgezahlt. Vielversprechend und sicherlich nicht das erste und letzte Mal, dass man von dem Herrn hört, der optisch an Durchstarter Sam Ryder aus UK erinnert. Die LP zu checken, gehört also auch auf eure „Bucket List“.

SixTurnsNine – Borders

Äußerst düster und gleichzeitig elektrisierend beginnen die ersten Töne in dem Opening-Song „Moments“. Das durch Crowdfunding finanziertes Album „Borders“ ist das Debüt des Düsseldorfer Trios SixTurnsNine, das mutig viele Ecken präsentiert, statt auf einfachem Wege zu gefallen. Der eigenwillige Sound zwischen entspannendem minimalistischem Dream-Pop, Massive-Attack-artigem Trip-Hop und leichten Gothic-Anleihen ist alles andere als gewöhnlich. Betörende Vocals tragen schwere Lyrics vor, die zum morgendlichen Tau der anstehenden Monate passen. Etwas mehr als 40 Minuten warten darauf, eine artsy Stimmung zu erzeugen, die bis zum Ende durchgezogen wird. Das ist nicht immer sofort zugänglich, aber für diejenigen, die den Zugang finden, eine echt spannende Entdeckung. „Protect Me“ ist ein guter Anspieltipp, um abzutauchen.

Johama – Butterflies And Love

Mit 21 Jahren ist Johama, bürgerlich Johanna Bojarzin aus Wanne-Eickel, einerseits Studentin an der TU Dortmund, andererseits aber Singer/Songwriterin. Ihr melancholischer Pop mit viel Piano und Ukulele erinnert an ein Aufeinandertreffen von Birdy, Maria Mena und Colbie Caillat. Und die sind ja alle drei keine schlechten Namen. Der Sound ist eher akustisch, ein wenig verträumt und nachdenklich, die Melodien und ganz besonders die Stimme gar angenehm wohltuend. Klingt eher international als nach Ruhrpott. Da wundert’s kaum, dass das junge Talent bereits einige regionale Wettbewerbe gewinnen konnte. Die sechs Titel der ersten EP „Butterflies and Love“ lassen sich chillig durchhören, bei „Be Mine“ fühlen sich die vereinzelten Sonnenstrahlen im Winter gleich ein wenig wärmer an. Hinter „Losing My Mind“ versteckt sich eine Pianoballade mit berührenden Lyrics.

Sam Sillah – Too Blessed To Be Stressed

Da hat sich jemand zeitgelassen: Mehr als vier Jahre nach der ersten EP droppt der Düsseldorfer Sam Sillah sein Debütalbum. Das macht dann aber auch keine halben Sachen, sondern zieht mit 16 Tracks und fast 50 Minuten Spielzeit voll durch. Der 31-jährige, dessen Mom aus Deutschland und Dad aus Gambia im Westen Afrikas kommt, präsentiert einen lockeren Mix aus Rap, Hip-Hop-Beats, afrikanischen Rhythmen, Reggae-Vibes und vielen Popeinflüssen. Mehrere Bläsereinsätze nach Seeed-Art, ein wenig Autotune von Bausa und RAF Camora, dazu aber 2000er-Stile à la Samy Deluxe oder Afrob. Sämtliche Songs sind stimmig produziert, haben in den Beats guten Groove und werden gleichzeitig die unterschiedlichsten Spotify-Playlists aufmischen. Ambitioniert und sympathisch. Gute Einstiege: „Jelsima“, „Hoch“, „LOVE“.

Dwan – Junger Gott

Wenn eine Sache bei der 5-Track-EP „Junger Gott“ besonders positiv auffällt, ist das ohne Diskussion die hervorragende Produktionsarbeit. Dwan, 22 aus Wuppertal, präsentiert auf seiner ersten größeren Veröffentlichung, die leider mit unter zehn Minuten Spielzeit wirklich sehr kurz ausgefallen ist, fünf Songs, die alle klingen, als ob sie von den richtig großen trendigen Leuten im deutschen Rap-Game erarbeitet wurden. Dwans Stimme ist dabei genauso tight, dass man leichte Yung Hurn-Vibes bekommt. Starke Attitüde trifft auf ballernde Downbeats. Die Single „Spontaner Anruf“ hat ordentlich Chartpotenzial und könnte easy zum Hit werden. Mag „Junger Gott“ als Titel erst ein wenig zu selbstüberzeugt wirken, muss man nach dem Durchhören zustimmen, dass die Bezeichnung gar nicht so abwegig ist. Da wird noch einiges auf uns zukommen.

Mary – Tube Socks

Angriff! Bereits zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres veröffentlicht die junge Künstlerin Mary aus Mönchengladbach eine EP. Kreativer Output ist also schon mal keinesfalls ein Problem für die Pop-Punkerin, die auch mit ihren fünf Songs auf „Tube Socks“ wieder für straighte, spaßige Hooks steht. Neben dem Mikro sind auch die Gitarre und – obacht – ein Vertikaltuch ihre Freunde, sodass sie gern ihre unterschiedlichen musikalischen wie artistischen Talente miteinander kombiniert. Die neuen Tracks wirken in sich schlüssiger als auf dem Vorgänger und haben erneut schöne 2000er-Vibes. „What If“ hat mit seinem starken Ohrwurmrefrain und seinen tollen Riffs Hitpotenzial. „Give U Anything“ ist mit stampfendem Beat ein Anwärter für die erste Halfpipe im Frühjahr. Wer ungeduldig ist, kann bereits seit Mitte November die komplette EP kaufen, alternativ werden bis Anfang Februar alle Tracks im 3-Wochen-Rhythmus auf den Streamingportalen releast.

Lukas Utech – Devil

Lukas ist 19, kommt aus Recklinghausen und hat jetzt schon seine erste Rock-EP am Start. Läuft bei ihm. Sein noch etwas unschuldiges, schüchternes Auftreten täuscht. Die fünf Songs auf „Devil“ konzentrieren sich neben dem Gesang besonders auf seine Gitarrenkünste, die er perfektioniert, seitdem er fünf ist. Sein Sound ist von seinen Vorbildern inspiriert, zu denen er die Arctic Monkeys, Royal Blood oder auch Royal Republic zählt. Seine Stimme hingegen erinnert ein wenig an Per Gessle von Roxette. Die eingängigen Refrains haben ebenfalls von dem berühmten Schwedenduo, sind aber eine Spur düsterer. „Toxic Heart“ treibt, „She Needs Love“ nimmt das Tempo ordentlich raus und macht das kuschelige Zweisamkeitsthema auch im Ohr spürbar und bei „Devil“ wird der Moshpit vorm inneren Auge sichtbar.

Broilers – Puro Amor Live Tapes

Es ist zweifellos hörbar, wie sehr die Broilers aus Düsseldorf es vermisst haben, auf den großen Bühnen des Landes zu stehen. Deswegen wurde in diesem Jahr auch ordentlich getourt. Mehrere Konzerte wurden mitgeschnitten, sodass nun zum Winter, wenn es für OpenAir-Stages doch ein wenig zu frisch ist, ein Livealbum erscheint. Darauf mussten die Fans eine ganze Dekade warten – und in denen kamen immerhin drei LPs raus, die alle bis auf die 1 gingen. „Puro Amor Live Tapes“ umfasst 30 Songs auf zwei CDs bzw. drei Vinyl, die bei unterschiedlichen Shows aufgenommen wurden. Zwar liegt der Fokus auf dem 2021 erschienen „Puro Amor“, man geht bei der Setlist aber bis in die 90er-Anfänge zurück. Sammy und die Band klingen richtig gut gelaunt, machen Stimmung und zocken sich rund zwei Stunden lang in bester Ska-Punk-Manier die Finger wund.

EESE – This All Will Fade

Ziemlich starke neue Klänge aus Köln. EESE machen zwar bereits seit fünf Jahren Musik, sind aber seit rund einem Jahr auf ein Trio geschrumpft. Nun steht mit „This All Will Fade“ das Debütalbum für neugierige Zuhörer:innen bereit, und das ist wirklich äußerst gut. Wenn Indie-Rock auf Electro-Spielereien trifft, gute Melodien genauso wenig vergessen werden wie nachdenkliche Texte, ergibt das gemeinsam eine der stärksten Platten der Saison. Mal im verspielten 80s-Kosmos („Hear Me Out“), dann ein wenig Inspiration von großen Brit-Pop-Vorbildern („Your Weirdest Issue“) und zuletzt schön bassig und heruntergefahren („It’s Over“). Wunderbar austariert zwischen Bekanntem und Kreativem. Atmosphärisch macht besonders das Trip-Hop-artige „Digest, Move On“ alles richtig. Sollte man ab sofort auf dem Schirm haben. Die richtig ausgewählte Band für die nächste Runde „Kennt ihr eigentlich schon?“ unter Freund:innen.

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