Ja, dass es um 17 Uhr schon dunkel wird, kann manchmal ganz schön erdrücken – umso wichtiger ist es, es sich richtig schön zu machen. Zum Beispiel mit fantastischer Musik aus der Region. In der 7. Ausgabe des Jahres der wunderschönen Kategorie Musik von hier haben wir für jeden Geschmack das Richtige. Hört euch durch die Zehn und kauft euch für eure Lieblinge ein Konzertticket. Das ist aktuell wirklich wichtig, um die Branche durch den anstehenden Winter zu hieven:
Marlon Hammer – Bochum 2
Mit „4630 Bochum“ gelang Herbert Grönemeyer 1984 im Alter von 28 Jahren ein Meilenstein der Musikgeschichte. Bis heute gehört es zu den drei erfolgreichsten deutschsprachigen Alben aller Zeiten. Marlon Hammer aus Bochum ist zehn Jahre jünger als Herbert damals war, nimmt ihn sich aber dennoch oder gerade deswegen zum Vorbild und nennt seine EP naiv und selbstüberzeugt „Bochum 2“. Das Cover ziert die Postleitzahl von dem Vorort der Pottstadt, in dem er sich zuhause fühlt. Musikalisch hat der Noch-Teenager aber seinen ganz eigenen Kopf und klingt wie die rockigere Variante von Henning May. Seine vier ersten Songs sind teils laut, ungewöhnlich erwachsen und für die Indie-Pop-Rock-Szene ein Zugewinn. „24/7“ ist eine gute Beobachtung, die viele aus melancholischen Momenten kennen sollten, „Kennt ihr das?“ kodderig und eigenwillig. Gelungen. (Bereits veröffentlicht)
Luciel – From Outside
Jazz, Blues, Soul, Funk – Luciel aus Köln sind eigentlich zu viert, haben aber auf ihrem zweiten Album „From Outside“ genauso viele Gäste dabei. Gemeinsam entsteht so eine abwechslungsreiche Mische aus oft anspruchsvollen, aber dennoch auch immer wieder eingängigen Sounds mit loungiger, entspannter Atmosphäre. Zwischendrin werden gar rein instrumentale Stücke eingestreut, sodass sich auch die Fans von epischen E-Gitarren- oder Bass-Soli abgeholt fühlen. David am Mikro ist mit seinem smoothen Ansatz genau der richtige Mann für diesen Klang. Bei „Peer Pressure“ hat man leichte Earth, Wind & Fire-Vibes, bei „The Buffalo“ ist es eher Marvin Gaye und bei „Alder Dreams“ Prince. Alles nicht so verkehrt. Eine Dreiviertelstunde Chillen, in denen zwischendrin aber auf der Couch auch ein wenig der Oberkörper mitschwingen wird. (Bereits veröffentlicht)
Andrew Collberg – A Modern Act
Andrew Collberg ist zweifelsohne ein kleiner Kosmopolit. Geboren in Schweden, aufgewachsen in Tucson in Arizona, ansässig in Köln, pendelt der 35-jährige zwischen den Kontinenten gerne mal hin und her. Seit über 15 Jahren veröffentlicht er Musik. Mal ganz allein, mal mit anderen Musiker:innen. Sein neustes Album umfasst neun Songs, die gekonnt die Stimmung des Herbstes einfangen. Gediegen, entspannend, melancholisch. Mit viel Akustik, ordentlichem Folk und einem Hauch Country entsteht eine Atmosphäre wie bei Bon Iver oder Iron & Wine („Working It Out“). Bei rein instrumentalen Stücken („Hair Club II“) lässt sich wunderbar mit einem Rotwein für ein paar Minuten in Selbstmitleid zerfließen, um dann aber bei „Long Blonde Hair“ doch lebensbejahend über das Parkett zu hüpfen und die Hook mitzusingen. (Bereits veröffentlicht)
Flittern – Flittern
Doch, auch mit Mitte 30 kann man nochmal musikalisch von vorn anfangen. Flittern lassen sich von ihrem Alter keine Sekunde beirren und spurten stattdessen mit poppig angehauchten Punksongs durch ihr Debütalbum, das so heißt wie sie selbst. In elf Songs wird sich mit allem befasst, was einem in den letzten 20 Jahren passieren kann, und das ist verdammt viel. Der Tod von nahestehenden Menschen, Drogenkonsum, Prügeleien mit der rechten Szene, Momente der Freude und der puren Ausweglosigkeit. Flittern kommen aus Köln, sind zu dritt und haben was von Madsen und Sportfreunde Stiller. Produziert hat die Platte Florian Nowak, der für die Genre-Kultband Itchy schon gemischt hat, aber auch für Jennifer Rostock. Bei Songs wie „MTV Made“ geht den Leuten, die alterstechnisch mit Flittern mithalten können, wohl ein Herz auf. Gen Y, haltet zusammen! (Bereits veröffentlicht)
Love Machine – Alles OK
Eine Mogelpackung: Da beginnt das neue Album „Alles OK“ von den Düsseldorfern Love Machine mit ganz entspanntem Indie und hypnotisierenden Vocals, bis es plötzlich doch ein wenig klirrende E-Gitarren gibt. Ab dem Moment an nimmt sich die zehn Lieder starke LP auch nicht mehr zurück und gibt Vollgas. Ein Dutzend Songs mit viel Krautrock und Punk, manchmal sogar fast schon einem leichten Country-Touch wie beim Titeltrack oder in „Underdog“. Immer dann, wenn man glaubt, man könne den Sound nun greifen, bricht er doch wieder aus seinem vorangegangenen Schema aus („Vorne an“). Guter Kontrast zu der klassisch anmutenden, Bassstimme von Marcel Rösche, der auch textet und für mehr Achtsamkeit für das Draußen sensibilisiert. Vormerken: Die Jungs halten im November und Dezember noch zweimal für Shows in NRW. (Bereits veröffentlicht)
Dumbo Tracks – Dumbo Tracks
Jan Philipp Janzen kommt aus Köln und ist Musikproduzent. Seit 2016 gibt er sein Wissen sogar an Wissbegierige der Folkwang-Uni in Essen weiter. Unter dem Namen Dumbo Tracks veröffentlicht er nun sein Solodebüt und nennt das Album deswegen gleich genauso. Nach 20 Jahren Berufserfahrung kann man ihm eigentlich nicht mehr viel vormachen, und dennoch ist das Arbeiten nun ganz anders. Die zehn Songs, die auf untypischem Wege Genres wie Reggae und Electronica verbinden, wären vor wenigen Wochen noch der perfekte Soundtrack für laue Sommerabende gewesen. Einfach dann im nächsten Jahr auf der ersten Grillparty auflegen und die Gäste überraschen. Die Atmosphäre ist äußerst gelungen, schöne Spielereien fesseln über 40 Minuten lang, viele Hooks haben Ohrwurmpotenzial. Am Mikro wechseln sich die unterschiedlichsten Weggefährt:innen ab. Anspieltipps: „Letter From An Unknown Woman“ und „Information Overload“. (Bereits veröffentlicht)
The Kelly Family – Christmas Party
Auch wenn von der bekannten 90er-Besetzung nur noch fünf Mitglieder übrig sind: Die Kelly Family zieht durch! Nach dem sensationellen Comeback 2017 folgt nun ein neues Album, das Fanherzen zum Leuchten bringen wird. Erinnert ihr euch noch an „Christmas For All“? Tatsächlich gibt es jetzt zum zweiten Mal eine Weihnachts-LP, und zwar mit gleich 16 Tracks. Darunter der Klassiker „One More Happy Christmas“ im neuen Gewand, was wirklich fantastisch passt, zwei Coverversionen von Weihnachtsevergreens plus gleich 13 Neukompositionen. Ein Feature mit Ronan Keating ist auch dabei – eben richtiges Nostalgiefeeling. Übrigens: Mitte November startet eine Weihnachtstournee mit gleich 27 Shows, darunter fünf in NRW, wohnt immerhin ein Teil des Sextetts in unserem Bundesland. Falls ihr also noch ein Geschenk für die ganze Family sucht… (VÖ: 4.11.)
FJØRT – nichts
10 Jahre FJØRT. Anlass genug, um endlich nach fünf Jahren ohne neue Musik mit einem ganzen Album um die Ecke zu kommen. „nichts“ hat aber zum Glück mehr zu bieten, als der Titel verspricht. Stattdessen hauen die 13 Titel gewohnt voll auf die Zwölf. Das Aachener Trio ist weiterhin laut, unangepasst und eigenwillig im Sound. So wechseln sich derbe Shouting-Momente voller politisch kritischer Äußerungen mit melodischen Zwischenspielen ab, die fast schon träumerisch wirken. Endzeitstimmung, die im Winter 22/23 leider ihre völlige Daseinsberechtigung hat. „Feivel“ setzt alle guten Teile wunderbar zusammen, „Lakk“ hat gar einen emotionalen Kinderpart in petto, Chris brüllt sich die Seele aus dem Leib. Handwerklich gut gemachter, großer deutscher Post-Hardcore ohne Kompromisse. Zum Abreagieren, aber auch zum Nachdenken. (VÖ: 11.11.)
Pogendroblem – Alles, was ich jetzt noch hab, sind meine Kompetenzen
Man wächst mit seinen Aufgaben – und seiner Reichweite. Pogendroblem aus Bergisch Gladbach und Köln klettern mit ihrem dritten Longplayer aus der DIY-Bubble ins professionellere Handling und machen damit das erste Album, bei dem Leute mit mehr Vorwissen mitgewirkt haben. Das hört man am Sound. „AWIJNHSMK“ – wer kann’s am schnellsten sagen? – zischt mit 15 Tracks, die nicht mal eine halbe Stunde lang dauern, mit vollem Elan durch einen durch. Das ist für straighten Punkrock schon recht ordentlich eingespielt. In den Strophen gibt’s Sprechgesang mit größtenteils sozialkritischen Beobachtungen zu unstimmigen Alltagssituationen. Da geht es um Queerness, den Klimawandel, Arbeit, Kommerz. Im Refrain wird laut gegrölt. „Militante Untersuchung“ kann durch seine mehrfachen Brüche richtig überraschen. (VÖ: 18.11.)
Pale – The Night, The Dawn And What Remains
Eine turbulente Bandgeschichte: Pale gründen sich 1993 in Aachen. Das ist mal eben fast drei Jahrzehnte her. Schon 1994 haben sie ihr eigenes Label. Bis 2009 spielen sie eine EP und sechs LPs ein, sind auf unzähligen Konzerten zu sehen. Dann trennen sie sich. 2021 verstirbt Gitarrist und Gründungsmitglied Christian an einem Hirntumor. Kurz vor seinem Tod hat er noch einige Riffs aus Nostalgie an damals aufgenommen. Diese hat die Band nun aufbereitet und für die dunkle Jahreszeit, wenn die Nacht viel länger ist als der Tag, in Form eines Albums finalisiert. Über eine Dekade nach den letzten Gigs. „The Night, The Dawn And What Remains“ ist eine bittersüße, gute halbe Stunde mit viel Schwere, viel Trauer, aber auch Hoffnung. Retro-Indie-Pop-Rock mit großem Blick zurück („Someday You Will Know“), aber einem traurigen und lachenden Auge nach vorn („New York“). (VÖ: 25.11.)
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