Patrice im Gespräch: Eine Konversation mit dem Innersten

Mit seinem Album "9" ist Patrice diesen Februar und März in zwölf deutschsprachigen Städten unterwegs. Zwei davon sind in NRW. Foto: Marco Klahold
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Seit fast 25 Jahren ist Patrice einer der beliebtesten und erfolgreichsten Reggae-Acts Deutschlands. Grenzen sind seinen Songs nur selten gesetzt, sodass auch sein aktuelles Album „9“ wieder ein Trip durch viele spannende afrikanische wie europäische Sounds ist. Damit geht der Kölner nun auf große Tour und kommt für zwei Gigs auch nach NRW. Wir sprachen mit ihm kurz vor seiner Abreise zu den vorher stattfindenden Frankreich-Gigs.

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Patrice: „Es gibt eigentlich nichts, worin ich nicht involviert bin.“

In wenigen Wochen startet deine Tour – wie bereitest du dich vor? Sport? Texte lernen? Ablenken?

Die Deutschland-Termine sind eingebettet in eine Europa-Tour, weswegen ich nun erstmal wieder in Frankreich auftreten werde. Auch letztes Jahr war ich schon zwei-, dreimal auf Frankreich-Tour, daher sind wir für Deutschland perfekt eingespielt. Ich bereite eher Bühnengeschichten vor. Ich habe vor zwei Tagen ein Tribute an Nina Simone in Paris gespielt. Der Radiosender dort hatte ganz tolles Licht, was ich so noch nie gesehen habe. Das sah auch recht einfach aus, ich hab’s dann gegoogelt und es nun für die Tour bestellt. Ich möchte, dass die Bühne schön aussieht, mache eine neue Setlist, gucke, was man wie musikalisch arrangieren kann, bin also viel mehr am Konzeptionieren.

Wie bist du überhaupt in der Tour-Organisation involviert?

Mittlerweile bin ich an allen Punkten involviert. Ich mache das Bühnenbild mit einem Lichttechniker zusammen, der es für mich umsetzt. Ich mache aber auch die Musical Direction für die Band und gebe vor, was wir wie spielen. Ich werde praktisch zu jedem einzelnen Aspekt gefragt, ob das ok ist und wie wir es am besten umsetzen. Es gibt eigentlich nichts, worin ich nicht involviert bin – einfach, weil ich es schon so lange mache.

„9“ ist Patrice‘ – wie passend – neuntes Studioalbum und erschien im November. Foto: Marco Klahold

Deine Tour in Deutschland hat 12 Gigs an 15 Tagen. Was machst du an den drei Tagen ohne Show?

Weil ich ein Label betreibe und andere Künstler produziere, mache ich an den Tagen eher was für die anderen. Wir drehen ein Video oder machen etwas anderes Kreatives. Das Gute ist aber, dass die Tour für mich selbst schon recht entspannt ist. Das Vorbereiten ist eher strapaziös, aber wenn man einmal unterwegs ist, ist eher Autopilot.

„Jede Stadt hat eine bestimmte Emotion.“

Verbindest du mit bestimmten Städten konkrete Ereignisse oder verschwimmt alles zu einem großen Ganzen?

Man hat auf jeden Fall Erinnerungen an Städte. Mittlerweile habe ich das auch mit allen Städten, weil ich schon so oft getourt bin. Besonders in Deutschland habe ich sowieso Geschichten mit den Städten, weil ich da vielleicht schon mal gewohnt oder aufgenommen habe oder eine bestimmte Etappe in meiner Musikkarriere dort passiert ist. Auf jeden Fall hat jede Stadt eine bestimmte Emotion.

In was für einer Konstellation spielt ihr? Deine Sounds auf dem aktuellen Album könnten auch locker 20 Musiker:innen spielen.

(lacht) Wir sind 20 durch 5, also zu viert. Für Festivals stocken wir gerne immer noch mit einem Bläsersatz auf, aber die Kernband ist Schlagzeug, Bass, Keyboard und ich an der Gitarre.

Worauf liegt dein Fokus auf der Bühne? Gesang, Band, Fans?

Alles gleichzeitig, ehrlich gesagt. Lyrics sind bei mir immer so eine Sache. Ich bin echt nicht gut im Behalten der Texte, auch wenn ich sie geschrieben habe. Ich arbeite immer schon an anderen Songs, die nicht veröffentlicht werden oder bisher noch nicht, sodass ich locker 100 Songs im Kopf habe. Ich versuche, das alles auf einen Nenner zu bringen. Ich versuche, den Moment zu fühlen und das Publikum in diesem Moment mitzunehmen. Eigentlich ist es eine Konversation mit seinem Innersten oder seinem Höchsten, und ich versuche sehr ehrlich dabei zu sein. Das ist die größte Herausforderung. Dafür muss man sich immer wieder neu challengen und aufpassen, nicht in eine Routine zu verfallen, sondern der Situation etwas Neues abzugewinnen.

Gelingt dir das immer gleich gut?

Gleich gut geht ja nichts immer. Es gelingt mir aber, weil meine Konzerte genau davon leben. Manche Künstler spielen Konzerte, die eher darauf aufbauen, dass alles einen Timecode hat und gleich ist. Es gibt Explosionen, Leinwände, Tanzeinlagen. Das ist aber alles gar nicht mein Ding, es ist ein viel menschlicheres Konzert. Eins, in dem man sich zeigt. Da sind die Fehler das Größte und eben das Besondere, wenn plötzlich etwas umfunktioniert wird. Diesen Raum, dass eine Gefahr besteht, muss man aber erstmal schaffen. Dadurch leben meine Konzerte, weswegen ich es nicht steril gestalten würde.

Für mich ist es auch so: Ich mag Künstler, es gibt aber auch Menschen, die mögen Lieder. Für mich ist also das schlechteste Lied von meinem Lieblingskünstler immer noch interessanter als das beste Lied von jemand anderem. Ich bin der Person treu. So ist auch ein schlechteres Konzert nicht abschreckend, sondern ein Teil einer Entwicklung. Ich hoffe, man nimmt mich auch so wahr.

Patrice zur aktuellen politischen Lage

Du hast eigentlich den perfekten Festival- und Open-Air-Sound. Dein Album kam aber im November, die Shows sind im Februar. Summer Vibe in grauen Tagen?

Auf jeden Fall, das muss sein. Ich finde den Gegensatz auch spannend. Afro-Sound bei Schnee zum Beispiel. Das macht es dann zu einer europäischen Experience, weil die Sounds aus Ländern kommen, die keinen typischen Winter haben. Hier existiert das aber. Das Schöne an den Jahreszeiten ist ja auch, dass man vergisst, dass es noch andere Jahreszeiten gibt. Wenn der Frühling dann wiederkommt, liebt man ihn sehr. Ich mag genau diese Zusammensetzung und den Sound, der in meinen Augen für mich authentisch ist, weil ich europäisch und afrikanisch zugleich bin. Das macht es anders, weil es hier anders funktioniert als dort.

Bevor es für Patrice nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz geht, spielt er genauso viele Termine in Frankreich. Foto: Foli Creppy

Nun sind aktuell starke politische Aufruhen. Wie betrifft dich das als schwarzer Musiker?

Ein großes Thema. Allen voran geht Kultur. In dem Moment, in dem du nicht zu einer Talkshow eingeladen wirst, um dort über Rassismus zu reden, ist die Gesellschaft angekommen, weil sie es nicht als Anlass sieht, darüber zu sprechen. Genau das ist in Deutschland noch ein Weg, weil man zum Glück nicht dieselbe Kolonialgeschichte hat. Deutschland ist in Sachen Integration noch recht jung. Viele wissen oft nicht, dass schwarze Geschichte schon immer ein Teil auch deutscher Geschichte war.

Ich hoffe somit mehr für die anderen als für mich. Ich sehe sowas oft gar nicht, weil ich mit vielen Kulturen aufgewachsen bin. Für andere ist es eher tragisch, die beschränkter denken. Soll gar nicht abwertend klingen, weil vielleicht die Erfahrung fehlt. Es ist aber wichtig, dass man sich als Gesellschaft dahingehend entwickelt. Sonst wäre das ziemlich schlecht. Als Musiker ist es mir wichtig, den Sound schmackhaft zu machen und dadurch auch auf die Kultur aufmerksam zu machen. Ich kritisiere aber niemanden, dessen Geschmack meine Musik dann nicht ist.

Wir sollten nur an den Punkt gelangen, dass Menschen offen sind und die Bereicherung durch Vielfalt erkennen. Dass man in einen Supermarkt gehen kann und aus aller Welt etwas kaufen kann, mag jeder. Genau das ist in anderen Bereichen aber genauso toll. Im Ausland werde ich oft als deutscher Reggae-Musiker wahrgenommen und manchmal etwas belächelt. Ich nehme aber dann Deutschland in den Schutz und zeige, dass die Wahrnehmung auf uns von anderen auch oft beschränkt ist. Es geht also in alle Richtungen.

Sowieso ist Reggae ein politisches Genre. War das klar, dass du immer genau das machen möchtest?

Überhaupt nicht. Ich habe darüber gar nicht nachgedacht. Ich war sehr jung, als ich angefangen habe. 15 oder 16. Ich habe einfach das gemacht, was mir gefallen hat und wo die Idee mich hinführt. Nach meinem ersten Album war ich in dieser Schublade, was auch ok ist, denn wie Eminem sagt: „I am whatever they say I am“, es ist also Interpretation. Ich möchte das niemandem nehmen, aber es ist mehr als nur Reggae. Ich finde eher, dass sich da viele Genres zusammen finden. Oft sagt man mir auch „Ich hasse Reggae, aber das was du machst, finde ich cool.“

„Ich möchte die Leute in eine Welt holen und das durch den Song schaffen.“

Warum heißt genau dieses Album nun „9“ und nicht das davor „8“?

9 ist einmal meine Geburtstagszahl und neben der 7 meine Lieblingszahl. Die 9 steht für das Verlassen eines Zirkels und das Betreten einer anderen Ebene. Wir sind aber auch neun Monate im Bauch, 270 Tage dauert die Schwangerschaft, und 2 plus 7 ist 9. Es ist eine universelle Zahl, eine Königszahl. Sie beschreibt für mich Wiedergeburt, was sowieso ein Thema für mich ist im Leben. Ich wurde an dem Tag geboren, als mein Großvater starb. Mein zweiter Vorname Babatunde bedeutet auch „Wiedergeburt des Vaters“. So schließt sich der Kreis.

Wie setzt sich deine Setlist zusammen? Sind es deine Lieblingssongs oder sind es Songs, die bei den Proben besonders gut funktionieren?

Beides. Ich entscheide es eher nach einem Flow. Ich überlege mir genau, wie das Konzert anfangen, wie es sich dann aufbauen und wie es enden soll. Ich gucke auch, welches Tempo der letzte Song hat und wie es in den nächsten übergehen kann. Thematisch mache ich mir auch Gedanken und gucke, welche Ansagen ich dazu machen könnte. Ich möchte die Leute in eine Welt holen und das durch den Song schaffen.

Es gibt aber auch Songs, die so komplex sind, dass ich eine ganze Tour brauche, um sie richtig hinzukriegen. Wenn ich dann beim Soundcheck merke, dass das nicht funktioniert, spiele ich sie auch erstmal nicht. Man kann das oft nicht richtig lernen, es geht nicht nur um Technik, sondern mehr um ein Gefühl, das in Mark und Bein übergehen muss.

Du produzierst auch andere Acts. Was ist für dich am intensivsten bei deinen Songs? Das Schreiben, Produzieren, Vorspielen vor Publikum?

Der erste Moment, in dem man ihn schreibt. Da hinterfragt man sich noch nicht, der Kopf ist noch nicht im Weg und man macht einfach. Man lässt fließen. Das ist eigentlich der beste Moment. Und die passieren auch auf der Bühne, wenn Dinge plötzlich durchs Fließen neu entstehen. Momente, die im Hier und Jetzt sind. Das ist das Beste an der Sache.

Patrice: „Musik ist eindeutig nicht mehr so wertvoll – aber Erfahrungen.“

Welche Acts beeinflussen dich aktuell?

Ganz viele. Ich springe total krass. Wenn man sich meine Spotify-Playlists anguckt, denkt man, ich bin wahnsinnig. Es gibt so viele verschiedene Sachen, die großartig sind. Gestern habe ich von Burning Spear „Jah no Dead“ auf Schleife gehört, dann höre ich aber auch gern Sault, die so coole Künstler dabei haben wie Cleo Sol oder Chronixx. Gerade die experimentellen Sachen von Chronixx mag ich sehr. Ich suche aber in alten Sachen auch nach Samples.

Du machst seit 25 Jahren Musik. Die Industrie hat sich stark entwickelt. Wie findest du die aktuelle Lage mit dem Streaming?

Wir sind Menschen, somit müssen wir uns immer anpassen. Das ist ja auch unsere Superpower. Aber grundsätzlich ist eine Flatrate immer der Moment, in dem Sachen quasi vorbei sind. So viel du willst für 9,99 Euro. Das entwertet einiges. Musik ist eindeutig nicht mehr so wertvoll wie früher. Aber Erfahrungen sind wertvoll. Darauf würde ich den Schwerpunkt legen. Die Big Names der Musik wie z.B. Beyoncé funktionieren trotz 300 Euro-Tickets für Konzerte. Aber es gibt kaum noch kleine, neue Musiker, die nicht aus reichem Haus sind. Besonders die mittleren müssen kreativ sein. Es liegt am Ende auch an den Musikern selbst. Wer mitzieht und Musik auf eine schnelle Art und Weise mit weniger Inhalt macht, befeuert das Prozedere. Ich probiere für mich meinen Weg zu finden, so wie er für mich Sinn macht.

Zuletzt: Was ist dein Wunsch für 2024?

Weltfrieden.

NRW-Termine: 2.3. Gloria Köln, 3.3. Zeche Carl Essen
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