Tongewordener Wahnsinn: Tristan Brusch im Gespräch

Tristan Brusch hat im März sein drittes Album "Am Wahn" veröffentlicht und wurde erneut von Kritiker:innen sehr gelobt. Foto: Rebecca Krämer
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Deutsch-Pop geht oftmals nur kleine oder gar keine Wagnisse ein. Tristan Brusch macht eher das komplette Gegenteil. Seine Mischung aus Chanson, Jazz, Indie und morbid-romantischen Geschichten ist dermaßen eigenwillig, dass man es abgöttisch liebt oder direkt aussteigt. Wir gehören zur ersten Kategorie und haben deswegen den in Gelsenkirchen geborenen, aber in Berlin ansässigen Künstler zu einem Videocall getroffen.

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Tristan Brusch: „Mir geht es viel besser mit Mitte 30 als mit Mitte 20“

Hört man dich das erste Mal, assoziieren viele mit dir sehr unterschiedliche Größen der deutschen Musikszene. Udo Lindenberg, Reinhard Mey, Hannes Wader, Rio Reiser. Mit wem kannst du dich am ehesten identifizieren? Wer ist dein musikalisches Vorbild?

Mein musikalisches deutsches Vorbild ist eigentlich Hildegard Knef. Die liebe ich sehr. Besonders die Alben, bei denen sie die Texte selbstgeschrieben hat. Als ich die gehört habe, habe ich erkannt, dass es doch möglich ist große, pathetische deutsche Musik zu machen, die unkitschig ist. Zu ihr komme ich immer wieder zurück. Als Kind habe ich aber auch viel Hermann van Veen mit meinen Eltern gehört, das Album „Ich hab‘ ein herzliches Gefühl“ geht mir da immer sehr nah. Die beiden haben mich wohl zur deutschen Liederschreiberei gebracht.

Schaut man sich deine drei Albumnamen an – „Das Paradies“, „Am Rest“, „Am Wahn“ – könnte man denken, dass du dich vom schönsten Ort der Welt immer mehr Richtung Hölle bewegst.

Eigentlich habe ich das Gefühl, mein Leben wird immer besser. Mir geht es viel besser mit Mitte 30 als mit Mitte 20, als ich „Das Paradies“ geschrieben habe. Das war eine viel verwirrtere Lebensphase. Kennen wahrscheinlich viele. Der Titel war allerdings eher als Pseudo-Paradies gemeint, es hat diese Jahrmarkt-Ästhetik. Wenn ich einen Rummel sehe, freue ich mich zwar, möchte aber auch schnell wieder heraus.

Im Herbst ist Tristan Brusch auf Tour und hält auch für eine Show in NRW. Foto: Rebecca Krämer

Was bringt dich denn an den Rand des Wahnsinns?

Verliebtheit. Liebe ist eine Form von Wahn, bei der man keinen Blick mehr auf die Realität hat und sie wirklich verliert. Das ist aber trotzdem etwas, worauf man auf gar keinen Fall verzichten möchte. Somit tut uns allen ein kleines Portiönchen Wahnsinn wahrscheinlich ganz gut.

Tristans Suche nach dem richtigen Produzenten

Womit bringst du denn andere in den Wahnsinn?

Ich bin sehr tollpatschig. Ich mache ständig Kleinigkeiten kaputt, merke das dann manchmal nicht einmal oder es ist mir komplett gleichgültig. Wenn ich zum Beispiel eine Tüte öffne, fliegt da oft der komplette Inhalt heraus und man kann nichts mehr damit anfangen. Besonders, wenn ich merke, dass gerade die Inspiration reinkickt, bin ich komplett in meiner Zone und nicht mehr richtig ansprechbar. Ich glaube, das ist für Leute in meiner direkten Umgang nicht immer ganz leicht. Ansonsten bin ich aber ganz umgänglich.

„Am Rest“ kam mitten in der Pandemie im Herbst 2021, „Am Wahn“ nun zum Ende hin im Frühjahr 2023. Kann man erkennen, wie du die Pandemie erlebt hast?

Es ist vielleicht noch zu früh, um das beantworten zu können. Ich bin da womöglich noch zu nah dran. Eine bewusste Chronik war es jedenfalls nicht. Als das Songwriting für „Am Rest“ fertig war, war die Pandemie auch noch gar nicht da. Der Prozess danach dauerte aber eine ganze Zeit. Somit ist nur „Am Wahn“ mitten in der Pandemie geschrieben. Wenn man in der Zeit beispielsweise verliebt und man gezwungen ist, die Zugewandtheit zueinander bis zum Äußersten auszuleben, ohne jemals eine Abwechslung zu haben – auch wenn man auf das Verschmelzen am Anfang einer Liebe richtig Bock hat – ist das ein gutes Rezept für Wahnsinn.

Tim Tautorat ist auf den beiden Alben dein Produzent (Anm. d. Red.: Hat u.a. Alben für AnnenMayKantereit, Olli Schulz, Jeremias, Faber und Annett Louisan produziert). Wer kam hier auf wen zu?

Der Vorgänger „Das Paradies“ ist mit Norbert Rudnitzky, einer Berliner Koryphäe entstanden. Der hat die Beatsteaks und Seeed entdeckt und nur Erfolgsgeschichten geschrieben. Er hat Tim Sachen von mir vorgespielt, sodass Tim dann interessiert war, mich zu treffen. Wir haben ein Demo zusammen gemacht, das klang aber nicht gut und ich war total unzufrieden damit. So haben wir entschlossen, doch nicht miteinander zu arbeiten. Ich hatte nach einiger Zeit aber total den Wunsch, Alben live aufzunehmen. Da gibt es in Deutschland zwei Adressen für, die das bekannterweise gut machen. Eine davon ist Moses Schneider, der dafür bekannt ist, den Livesound der Band im Studio einzufangen. Er sagt, die Leute sollen vorab üben, in ein teures Studio gehen und dann wird das live im Studio in kurzer Zeit eingespielt. Allerdings hat Moses mir abgesagt, weil ihm die Songs von mir nicht gefallen haben, was er mir auch so gesagt hat (lacht).

Freund:innen und Musikerkolleg:innen haben mir aber gesagt, dass Tim Moses eine Zeit assistiert hat und das auch gut könne. Also habe ich mir das angehört, welche Projekte er zu dem Moment ansonsten gemacht hat, auch wenn die anderen Bands nicht das sind, was ich privat höre. Mir hat aber der Klang einfach wahnsinnig gut gefallen, weil man eben heraushört, dass es live eingespielt ist. Ich wollte eine Momentaufnahme, die entsteht und nicht etwas, das danach strebt, fett und perfekt zu sein. Ich habe mich dann getraut, ihn doch nochmal zu kontaktieren und er hat „Am Rest“ am Ende total sensibel und toll aufgenommen. Darum bin ich auch total dankbar. Deswegen haben wir „Am Wahn“ auch noch zusammen gemacht.

Geboren in Gelsenkirchen, aufgewachsen in Marl und Tübingen, ist Tristan Brusch heutzutage wohnhaft in Berlin. Foto: Rebecca Krämer

Zwischen Tod und Stalking

Viele deiner Songs, zum Beispiel „2006“ oder „Baggersee“, befassen sich mit tragisch verlaufenen Lieben. Entstehen diese Songs, um Schmerzen besser verarbeiten zu können?

Teils teils. „2006“ ist eine sehr persönliche Geschichte, das hat eindeutig etwas von Selbsttherapie. „Baggersee“ hingegen ist eine Geschichte, die ich erfunden habe. Ich habe eine Zeit lang viele Videos von Elisabeth Kübler-Ross angeguckt, eine Sterbeforscherin aus der Schweiz, die die Hospizbewegung ins Leben gerufen hat. Das hat mich immer sehr berührt, wie sie mit Sterbenden gesprochen hat und was diese zu sagen haben. Das fand ich immer total großartig. Ich habe das auch als Inspiration für mein alltägliches Leben mitgenommen, um Kleinigkeiten mehr zu genießen, wenn man den eigenen Tod als Maßstab nimmt. Wie möchte man im Augenblick des Todes über die Situation, die man gerade erlebt, empfinden? Man möchte auf nichts zurückblicken, was man bereut. Auch wenn das nicht immer realistisch umsetzbar ist, ist der Gedanke für mich schön.

Irgendwann kam mir auf dem Fahrrad die Idee, dass es keine größere Emotion gibt, als die Angst vor dem eigenen Tod und die Kunst, darin noch etwas Schönes zu sehen. Deswegen stand für den Song am Anfang die Zeile „Aus meinem Fenster kann ich von unten nur Himmel sehen“. Wenn man liegt und durch das Fenster guckt, sieht man die Welt nicht, sondern nur den Himmel. Das fand ich einen schönen Aufhänger. Dass es im Refrain noch um Liebe geht, ist eher dafür da, eine Pop-Form zu behalten. Um Liebe geht es nicht vordergründig.

Es gibt auf deinem Album auch ein Duett, nämlich mit Annett Louisan. Wie habt ihr zueinander gefunden und wie kamt ihr auf die Idee, einen Song mit Call-and-Response-Prinzip aufzunehmen?

Der Kontakt kam, weil Annett mich gestalkt hat (lacht). Sie wollte auch mit Tim Tautorat aufnehmen und hat geguckt, was er ansonsten gemacht hat. Sie hat mich dann bei Instagram angeschrieben und ich habe das zunächst für einen Fake gehalten. So nach dem Motto „Hi, hier ist Michael Jackson, ich lebe übrigens noch“. Aber es hat sich herausgestellt, dass sie es doch war. Wir haben uns total schnell angefreundet und hatten eine gute Ebene. Dann haben wir gesagt, dass wir mal was zusammen machen sollen.

Der Song „Kein Problem“ war eigentlich schon fertig, aber eben nur mit meinem Teil und dazwischen langen Pausen. Irgendwie fand ich es so auch immer ein bisschen dröge. Annett und mich verbindet die Liebe zu alten französischen Chansons, weswegen „Je t’aime“ von Serge Gainsbourg und Jane Birkin ein wenig als Vorbild dient. Ich habe schon mal ein Album von dem Rapper Maeckes produziert, auf dem es ein Duett mit Josef Hader nach demselben Prinzip gibt, was den Song total gerettet und zu etwas Besonderem gemacht hat. So kam die Idee, dass Annett meine Sätze hinterherhauchen könnte. Das habe ich spaßmäßig allein ausprobiert und ihre Stimme imitiert, musste allerdings dabei so lachen. Ich habe ihr das vorgeschlagen und sie fand es auch total geil, also haben wir das ganz schnell genau so gemacht.

Tristan Brusch: „Ich freue mich immer, wenn ich in den Pott komme“

Du bist in Gelsenkirchen geboren. Hast du noch einen Bezug zum Pott? Wie fühlt es sich an, wenn du hierherkommst?

Ich habe Verwandtschaft in Essen. Auch wenn ich in Gelsenkirchen geboren bin, kommt meine Familie eigentlich aus Marl. Allerdings sind von dort alle weggezogen oder tot. Deswegen verbindet mich eher wenig mit. Ich bin dort seit Jahren nicht gewesen. Allerdings freue ich mich immer, wenn ich in den Pott komme, weil ich eine romantische Vorstellung von der Gegend habe. Immer, wenn ich da bin, habe ich eine Melancholie, weil so viel Potenzial brachliegt. Man spürt immer noch, dass das kulturelle Hoch durch das Geld der Kohle in den 70ern und 80ern nicht mehr vorhanden ist und ein Loch hinterlassen hat. Das hat wohl viele Leute ratlos in der Luft hängengelassen. Das ist weiterhin spürbar, auch wenn mir die Mentalität dort total liegt und ich sie sehr mag. Es sind tolle Städte mit viel Natur drumherum, eine tolle Architektur. Also fühle ich beides, dass ich mich einerseits freue und andererseits über die Zustände traurig bin.

Deine Eltern haben auch beide Musik gemacht, dein Papa im klassischen Bereich. Hat dich das inspiriert oder eher abgeschreckt, weil es in eine ganz andere Richtung geht als deine?

Das hat natürlich meinen Zugang zunächst vereinfacht und den Grundstein gelegt, also mein starkes Empfinden für Musik entfacht. Weil die Liebe zur Musik immer einen hohen Stellenwert hatte und die Beschäftigung damit so wichtig war. Andererseits herrscht aber in der Klassik ein Anspruch an die Musik, der höher nicht sein könnte. Das klingt immer bei mir mit, wenn ich Musik höre und selber mache. Ich habe einen sehr dollen Anspruch an mich und verliere schnell das Interesse, wenn mir andere Musik zu unterkomplex ist. Das erschwert mir wohl manchmal den Zugang zu einer gewissen Leichtigkeit.

Solltet ihr noch nicht in Tristans letzte Werke hineingehört haben, müsst ihr das übrigens jetzt nachholen. Foto: Rebecca Krämer

Welcher Moment ist für dich krasser? Der, in dem du einen neuen Song veröffentlichst und ihn auf unbekannte Wege schickst, oder wenn du ihn erstmalig live performst?

Hundertprozent das Zweite. Wenn ich ein Lied veröffentliche, spüre ich fast nichts. Ich habe sehr große Probleme damit, wie Musik heutzutage veröffentlicht wird. Das ist einfach komplett entwertet. Neulich habe ich auf einem Musikblog einen Post gesehen mit dem Hashtag „Are you still listening to…?“, als ob man aus der Vergangenheit etwas hervorholt und Leuten zeigt: „Hey, erinnert ihr euch noch?“. Es war aber ein Lied aus meinem Album „Am Wahn“, das im März erschien und der Post war aus dem Mai. Das nervt mich total. Deswegen habe ich mich von einem Release emotional abgeschnitten, weil es nichts Gutes mit mir macht. Auch bei Spotify Zahlen zu sehen, also dass Klicks zeigen, wie wertvoll etwas ist – damit will ich nichts zu tun haben. Der allerschönste Moment ist aber eigentlich für mich, wenn ich’s frisch geschrieben habe. Es gibt kaum ein größeres Vergnügen für mich, als eine Idee gehabt zu haben.

Wenn persönliche Geschichten live manchmal zu persönlich sind

Du hast bei deiner letzten Tour allein performt. Spielst du auf der nächsten Tour auch wieder allein oder hättest du Lust auf eine Band?

Das letzte Album hat ganz viel für mich geöffnet und ermöglicht, weil es erfolgreicher war als die davor. Deswegen gehe ich dieses Mal mit Band auf Tour. Das Konzert in Köln wird auch mit Band sein.

Hast du bestimmte Songs, die beim Performen in dir emotional immer etwas sehr starkes auslösen?

„2006“ schaffe ich nicht immer zu performen, da habe ich nicht immer Bock drauf. Ansonsten gibt es meist nicht diesen einen Song, bei dem das der Fall ist. Ab und zu erwischt mich plötzlich ein Gefühl und ich erinnere mich, woher es kam. Aus welchem Ort. Ich probiere eher viel mehr, dass ich alles wieder tröpfchenweise in mich hineinlasse.

Spinn dir dein Wunschkonzert zusammen. Venue, Gäste.

Es wäre auf jeden Fall in einem Opernhaus. Ich hätte eine Band, die auch Streicher und Bläser beinhaltet. Es spielen aber nicht immer alle gleichzeitig, sodass etwas Kammerartiges bleibt. Für Gäste bin ich aber zu narzisstisch, glaube ich. Ich möchte, dass die Aufmerksamkeit ganz bei mir bleibt.

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Nächster NRW-Termin: 12.10. Gloria, Köln

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