„Ich möchte anderen Männern die Hand reichen“: Conny im Interview

Conny macht deutschen Rap und fasst Themen an, wovor die meisten anderen in der Szene zurückschrecken. Foto: Niels Freidel
Teilen
Teilen

Macht euch alle frei davon, dass Deutsch-Rap ein Synonym für toxische Männlichkeit ist! Conny aus Düsseldorf beweist das Gegenteil. Mit klugem Wortwitz, viel Gesellschaftskritik und Themen wie Feminismus und Geschlechterrollen steht er für eine neue Generation. Wir sprachen mit ihm wenige Tage vor Beginn seiner Tour.

Inhaltsverzeichnis [verbergen]

18 Shows – Conny und seine große Tour

Conny, in wenigen Tagen beginnt deine Tour. 17 Termine plus eine Zusatzshow innerhalb eines Monats. Was geht dir durch den Kopf?

Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass es auch viel Druck bedeutet. Ich hatte gestern erst noch ein Fotoshooting und habe mit dem Fotografen darüber geredet, wie schwierig es ist, sich mit Freund:innen darüber zu unterhalten. Die sagen nämlich alle: „Wow, 18 Gigs, wie geil für dich“. Und von außen gibt es genau nur diese „Wow“-Perspektive. Allerdings muss man als Independent-Artist so viel organisieren, es herrscht so viel finanzieller Druck, weil wir noch keine Venues spielen können, bei denen am Ende richtig viel Kohle übrigbleibt. Auch wenn sich die kleinen gut verkaufen, bleibt bei einer achtköpfigen Crew nicht mehr viel.

Allerdings war ich als Musiker noch nie so weit, eine so große eigene Tour zu spielen. Mit meiner alten Band Der Plot war ich einmal auf Deutschlandtour, da gab es acht oder neun Termine, wovon zwei aber abgesagt werden mussten. Und nun spielen wir eine Tour, bei der wohl über 6000 Tickets verkauft sein werden. Das fühlt sich wie ein totales Geschenk an, auch ungreifbar. Wenn die Leute aber da sind und sie vor mir stehen, ich sie am Merch-Stand sehe – dann werde ich es wohl erst richtig begreifen.

Was erledigt man kurz vorher noch?

Ich schreibe gerade meine Tour-Moderationen. Für mich ist ein Motto immer wichtig. Die letzte EP heißt „Für immer temporär“, es dreht sich also um Zeit, und genau das möchte ich auch in den Moderationen aufgreifen. Im Bühnenbild findet man dazu auch etwas. Die Leute kommen aber genauso, weil ich ein politischer Künstler bin und sie dazu etwas erwarten. Deswegen möchte ich das vorbereiten und nicht freestylen, sondern etwas Gutes sagen können.

Was noch? Ich hole den Merch von einem kleinen Upcycling-Label ab, schaue ihn mir genau an, weil vieles quasi Einzelstücke sind. Ich suche mir Outfits heraus, was mir auch super viel Spaß macht. Und ich probe viel, weil ich mit Lampenfieber zu kämpfen habe und mir routinierte Abläufe dann mehr Sicherheit geben.

Männlichkeit, Geschlechterrollen, Depression, Feminismus, Liebeskummer – Conny bietet in seinen Lyrics mehr als nur Geld und Drogen. Foto: Niels Freidel

Was vermisst du auf Tour am meisten, was du privat hast – und was umgekehrt?

Ruhe ist auf Tour nicht vorhanden. Man ist zusammen im Tourbus, man hat nicht unbedingt ein Einzelzimmer. Ich habe, seitdem wir nach Corona wieder viel unterwegs sein können, Ruhe zuhause richtig schätzen gelernt. Deswegen versuche ich in der Vorbereitung anzusprechen, dass Rückzugsorte vorhanden sein müssen, damit ich entspannter bleibe.

Was es aber nirgendwo gibt außer auf Tour, ist ein so kontinuierlich langes Arbeiten an der Musik selbst. Es gibt Momente als Künstler:in, in denen du so viel Marketing machst, postest, Schnipsel vorstellst, Szenen in Musikvideos tausendmal anschaust – das entfernt dich aber alles von der Musik. Wenn du die Songs live spielst und inszenierst, empfindest du plötzlich einzelne Zeilen nochmal anders, weil sie live richtig laut mitgeschrien werden – da kommst du einfach viel näher nochmal an deine Musik. Das fehlt mir in der Spotify-Insta-Promotionwelt. Ich will Musik ganz intensiv erleben. Das hat schon auf Festivals gut funktioniert, wird jetzt aber nochmal heftiger. Ich kenne auch kein vergleichbares Gefühl. Eine Mischung aus Adrenalin und Vergänglichkeit. Das Konzert ist eigentlich so kurz, genau in dieser Konstellation an Menschen und Location so einmalig. Ganz fragil. Danach ist es weg, für immer. Ein mentaler, beeindruckender Zustand.

Vom Kleinen zum Großen – Connys Philosophie

In deiner Heimatstadt Düsseldorf gibt es keinen Gig, aber in Köln. Du hast anscheinend das Battle zwischen den beiden Städten nicht am Laufen.

Nee, ich bin in Düsseldorf geboren, ich bin dort aufgewachsen, meine Familie lebt da, viele, mit denen ich zur Schule gegangen bin, sind noch dort. Wir haben uns gegen Düsseldorf entschieden, weil wir jetzt 23 in Köln spielen, aber die nächste große Tour dann dort. Die Städte liegen so nah beieinander, dass man mal da und mal da spielt.

Dein Support ist Liser, die uns in einem Interview letztes Jahr Folgendes über dich gesagt hat: „Was der textlich raushaut, finde ich so krass. Im Songwriting für mich ein unangefochtener König.“ Woher kennt ihr euch und woher kommt die Connection?

Ich habe Liser während eines Livestreams zu Coronazeiten kennengelernt, den sie gemacht hat. Sie hat ein Konzert aus ihrem WG-Zimmer gemacht. Wir waren alle zuhause und haben Ablenkung im Internet gesucht. Ich bin irgendwie über diesen Stream gestolpert und war dann so geflasht davon, wie sympathisch sie rüberkam und wie geil das gemacht war. Ich dachte nur: „Ich könnte das niemals so!“. Da war direkt eine Faszination. Wir haben uns dann erst per Nachrichten ausgetauscht. Weil ich auf der Suche nach einem kreativen, musikalischen Netzwerk war, passte das so super, da sie auch in Köln war. Das hat sich nach und nach intensiviert, mittlerweile ist es eine wirklich gute Freundschaft.

Zum Connecten: Liser würde sagen, dass sie auf dem neurodivergenten Spektrum im Bereich ADHS ist und ich im Bereich Autismus. Das sei ein gutes Match, so ihre Erklärung. (lacht) Ich möchte da ihre Expertise auch gar nicht in Frage stellen. Ich würde es aber so sagen, dass wir gegenseitig Bedürfnisse gut erfüllen können. Ich bin eher introvertiert, mache mir große Gedanken, kann mich in meinem Kopf verlieren. Sie kriegt mich da total gut raus, weil sie Sachen anpackt und sehr praktisch ist mit viel DIY-Spirit. Ich bin dafür in Planungen und Organisationen gut und kann sie dahingehend unterstützen, weil ihr das schwerer fällt. Wir ergänzen uns also wahnsinnig gut.

Du hast Philosophie und Informatik studiert. Gibt es Skills aus dem Studium, die dir auch heute in deinem Job noch helfen?

Mein philosophischer Ansatz ist, über kleine, einzelne Momente nachzudenken und davon ausgehend auf die großen Dinge zu kommen. Das waren auch immer die philosophischen Texte, die mir am meisten Spaß gemacht haben. Wenn ich Kant, Nietzsche, Sartre länger und intensiver gelesen habe, ist immer irgendwann ein Horizont aufgegangen. Ich versuche bei politischen Texten deswegen aus kleinen, persönlichen, verständlichen Momenten etwas Großes aufzuziehen. Dass plötzlich ein Vorhang aufgeht. Somit habe ich auf jeden Fall gelernt, das Interesse und die Leidenschaft für solche Themen zu nähren.

Mein Info-Background hat mir im Nachgang, als ich als Softwareentwickler selbständig war, viel gebracht, weil man auch als Artist ein Unternehmen ist, eine Brand. Mich zu organisieren, kann ich sehr gut, was für viele Künstler:innen eher ein Problem ist. Die können den kreativen Part super, den organisatorischen aber nicht so – für mich ist ein ganzer Tag Büro überhaupt gar kein Problem. Irgendwann kommt zwar immer der Moment, in dem ich sage „Jetzt brauche ich Mucke“, aber drei Wochen diszipliniert am Tisch zu sitzen, habe ich definitiv dort meistern gelernt.

Conny über Ami-Rap und deutschen Gangster-Rap

Zu deinen Pubertätszeiten war einerseits Ami-Rap mit Eminem und 50 Cent sehr erfolgreich, später dann deutscher Gangster-Rap mit Bushido, Sido und Fler. Du könntest kaum mehr andere Rap-Musik machen als diese Personen. Hat dich das damals schon textlich eher abgeschreckt?

Als ich angefangen habe, Ami-Rap zu hören, habe ich auf den Text gar nicht so stark geachtet. Ich habe die im vollen Umfang damals noch gar nicht verstanden, da ging es mehr um den Flow und um die Reime. Als ich eine Zeit lang im Ausland war, habe ich mir die Texte von Eminem intensiver durchgelesen. Ich fand die Provokation irgendwie krass, weil es so ein wichtiger Teil von ihm war. Das habe ich aber noch nicht politisch groß kritisch hinterfragt.

Als die Deutsch-Rap-Welle aufkam, habe ich eher Bands wie Blumentopf gehört. Viel Hamburger Rap. Ich fand das damals schon komisch, wenn im Deutsch-Rap viele Dinge gesagt wurden, die gar nichts mit meiner Lebensrealität zu tun hatten. Natürlich haben wir in unserem Freundeskreis mal sexistische oder homophobe Dinge gesagt, aber wirklich wenig. Es war also schon da weiter von mir weg. Die Akteure, die aber aufkamen, waren trotzdem insofern wichtig, dass plötzlich Menschen eine Sichtbarkeit und Hörbarkeit bekamen, die sie vorher nicht hatten. Vorher war Rap nur für weiße, privilegierte Menschen. Das habe ich allerdings damals noch nicht verstanden, den Aspekt sehe ich heute erst. Die Musik von denen war einfach nicht so meins. Mal war was witzig, viel gehört habe ich es aber nicht. Wenn ich jetzt sagen würde, dass mir die misogynen Texte damals schon aufgefallen wären, wäre das gelogen. Es war irgendwie einfach von Natur aus von mir persönlich zu weit weg.

Ich habe zu der Zeit auch schon gerappt und wenn ich etwas geschrieben habe, was in so eine Richtung ging, hat mein Umfeld mir direkt zurückgemeldet, dass ich das gar nicht bin. Das wäre also auch damals schon gar nicht authentisch gewesen. Die Figur Conny, die ich heute zeige, ist so viel näher an dem, wie ich auch als Privatperson bin.

Wer noch Tickets für die Tour haben möchte, sollte sich beeilen – viele gibt’s nicht mehr. Foto: Niels Freidel

Gibt es denn einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem du gemerkt hast, dass du für etwas anderes stehen möchtest?

Ich dachte, dass 2015 das letzte Der-Plot-Album käme. Das hieß „Interrobang“. Danach gab es eine Zäsur und ich habe darüber nachgedacht, was ich eigentlich musikalisch machen möchte. Ich habe das Theaterstück „Lieder über Lara“ und die Songs dazu geschrieben, war mir aber trotzdem nicht sicher, wo ich als Conny hinmöchte. Die Songs, die aber unmittelbar danach entstanden sind – dazu gehören „Sisyphos“ und „Drake ist auch nicht glücklich“ – waren so, als ob ich plötzlich meine eigene Geschichte verstanden hätte. Die Geschichte, die ich erzählen will und erzählen kann.

Ich bin immer noch auf der Reise zu meiner Stimme, also 100 Prozent weiß ich es immer noch nicht. Ich weiß aber, dass ich meine Geschichte zu Männlichkeit, Feminismus und Genderrollen erzählen möchte. Themen, die ich seitdem immer bewusster verhandele und die so starke Emotionen in mir auslösen, dass ich auch emotional darüber schreiben kann. Genau so nah am Herzen war „Interrobang“ bei Der Plot leider nicht. Gleichzeitig bezahle ich aber, weil es so nah nun an mir ist, einen Preis. Es macht mich eben verletzlich. Das finden viele aber so toll, und es macht mich womöglich zu einer besonderen Figur im Deutsch-Rap.

Aber in diesem Kraftfeld, in dem all diese Kräfte wirken, möchte ich schreiben. Gesellschaftliche Themen, Entwicklung, persönliche Betroffenheit, mentale Gesundheit, Geschlechterrollen. Ich möchte damit anderen jungen Männern auch die Hand reichen, dass ich mich damit auseinandersetze und es mir auch schwerfällt, mich manchmal nicht zu verlieren, aber vielleicht gibt es Leuten auf diese Weise auch Halt.

Man kann in deinen Veröffentlichungen immer Konzepte erkennen. Es gibt die aktuelle EP „Für immer temporär“, eine ältere heißt „Temporär für immer“. Es gibt das Album „Manic Pixie Dream Boy, Vol. 1“, aber auch „Vol. 2“. Denkst du dir das schon vorab beim Entstehen, dass es Reihen werden?

Für die „Dream Boy“-Reihe wusste ich das von Anfang an. Als wir angefangen haben, die Songs zu machen, haben wir gemerkt, dass wir Zeit brauchen und das Ganze über eine längere Zeit erzählen müssen. Zwar sind die Songs für Vol. 1 und Vol. 2 in einer ähnlichen Zeit entstanden, wir wollten aber diese Figur etablieren. Es war also eine dramaturgische Entscheidung – ich möchte in dieser schnelllebigen Zeit mehr Momente, in denen die Leute auf mich treffen können, um eine Geschichte vollständig greifen zu können. Ich hätte dazu also auch noch gar kein Fazit ziehen können, das wird aber jetzt kommen. Ich werde nun also Vol. 3 schreiben, in dem ich die drei Jahre Präsenz zu den Themen Männlichkeit, Geschlechterrolle und Feminismus reflektiere und zeigen, was ich gelernt habe und wie ich dazu aktuell stehe.

„Temporär für immer“ und „Für immer temporär“ war nicht von Anfang an so geplant, mir ist nur beim Schreiben und Fertigstellen aufgefallen, dass ich da Parallelen sehe. So wurde es dann zur Fortsetzung. Vielleicht komme ich in einem dritten Teil auch nochmal darauf zurück. Ich mag Kontinuitäten und wenn Leute etwas wiedererkennen können. Ich habe dafür eine Schwäche. In meinem Büro habe ich alte Requisiten von Musikvideos, weil ich immer denke: „Ach, vielleicht können wir das nochmal auftauchen lassen!“.

2024 macht Conny eine Livepause und arbeitet stattdessen an der neuen LP. Foto: Niels Freidel

Was soll 2024 für dich passieren?

Was sich auf jeden Fall ändern wird, ist, dass wir deutlich weniger live spielen. Ich brauche Zeit, um den dritten Teil von „Dream Boy“ zu schreiben. Ich möchte mir dazu Gedanken machen, ich möchte, dass es politisch wird und ich möchte mich selbst herausfordern. Ich will Texte schreiben, bei denen ich am Ende sagen werde, dass sie mutig zu schreiben sind. Ich will keine einfachen Songs, ich will schwere Songs. Und genau dafür brauche ich Kapazitäten. Livespielen kostet Zeit und Organisation, also setze ich dahingehend meine Priorität.

Wir haben die letzten drei Jahre sehr regelmäßig viel neue Musik veröffentlicht, das wird vorerst nicht passieren. Es kommt also erstmalig eine längere Pause. Ich hoffe somit, dass die Leute mich weiterhin hören, es weiterhin fühlen und dann bei dem neuen Album, was ich für Ende 2024 plane, keine zu große Lücke empfinden.

Nächste NRW-Termine: 25.11., Club Volta Köln; 6.12., Skaters Palace Münster; 14.12., Rotunde Bochum
Mehr auf der Website, bei Facebook, Instagram, TikTok und X

Anzeige
Anzeige

Beste Events, Trends und Reportagen für die Rhein-Ruhr-Region

Inhaltsverzeichnis
Home