Sie gehören zu den beliebtesten Acts der Indie-Szene: Wir sprachen mit Nina von der Band Blond über Männerüberschuss auf Festivals und Musiktheorie.
Nina von Blond: „Perlen sind Menschen, die einem einfach helfen, mit Sachen umzugehen, die nicht immer so schön sind.“
Euer aktuelles Album heißt „Perlen“. Was sind denn für dich persönlich deine Perlen? Sind das Personen, Musik, Orte?
Die Perle ist ja eigentlich nur ein Produkt von Schmutz, der sich in einer Muschel sammelt. Die Muschel arbeitet dann mit dem Schmutz und macht daraus eine Perle. Eigentlich gehört er da gar nicht rein und er ist auch etwas nicht so Schönes, was dann aber in was Ansehnliches umgewandelt wird, sag ich mal. Es war für uns immer ein Bild, dass wir quasi Themen verarbeiten, die uns irgendwie nerven, aber auch einfach so in unser Leben kommen, und wir dann versuchen, daraus einen Song zu machen. Der behandelt zwar ein beschissenes Thema, aber er empowert und man tanzt trotzdem gerne zu ihm. Insofern sind Perlen für mich wahrscheinlich Freundschaften, Gespräche und Menschen, die einem einfach helfen, mit Sachen umzugehen, die nicht immer so schön sind.
Ihr wart dieses Jahr bei Rock am Ring. Ein Ort, an dem es wahrhaftig „Männer regnet“ (Anm. d. Red.: Anspielung auf den Song „Männer“ der Band). Habt ihr euch wohlgefühlt oder würdest du sagen, ihr wurdet ein bisschen stiefmütterlich behandelt, also wie Gäste, die man eben mal ertragen muss?
Wir singen genau darüber in dem „Männer“-Song, der war eigentlich der Soundtrack zu diesem Festival. Und der ist auch jetzt noch aktuell. Wenn wir dort spielen, ist es jetzt nicht so, dass man denkt, es gäbe einen komplett diversen Backstage. Man kann sich einfach das Line-up auch von diesem Jahr angucken. Da wird man relativ schnell sehen, dass wir dann zwar dort spielen und das auch cool ist, dass wir dort spielen. Aber es ist noch lange nicht an dem Punkt, an dem man sagt: „Ja nice, jetzt fühlen wir uns superwohl!“ Man kann sich erst wohlfühlen, wenn da außer uns noch mehr sind. Deswegen eben die Situation in dem Song, dass man in den Backstage reinkommt und nur alte, weiße Männer sieht. Das hat trotzdem auch relativ gut hingehauen.
Würdest du sagen, dass das Publikum bei solchen Festivals auf weibliche Acts anders reagiert? Nimmst du da überhaupt einen Unterschied wahr?
Ich kann das nur von uns aus einschätzen – und wir haben die Hauptbühne eröffnet an beiden Tagen. Das ist natürlich eine Uhrzeit, zu der nur Leute kommen, die auch hinkommen wollen. Und die haben Bock gehabt. Die haben gefeiert. Und es gab Moshpits. Am ersten Tag haben wir um 12.50 Uhr gespielt. Das war sogar der Anreisetag. Da waren wir so baff, wie viele Leute trotzdem dort übelst ausgerastet sind. Deswegen kann ich nur von uns sprechen, dass das trotzdem genauso Bock macht. Wir waren später auch bei Nova Twins und haben uns das Konzert angeguckt. Das war auch saugeil und den Leuten hat es übelst Spaß gemacht. Es ist wie immer bei Festivals, dass Leute sagen, dass gewisse Acts kein Rock sind und jeder auch immer seinen Senf dazu gibt, was gebucht werden soll. Ist trotzdem auch immer noch Geschmacksache. Aber es ist jetzt nicht so, dass die Leute ihre Tickets zurückgeben wollen, wenn sie ein paar mehr FLINTA*-Acts auf dem Line-Up sehen. (Anm. d. Red.: FLINTA steht für Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-binäre, Trans- und Agender-Personen)
„Man hat schon ab und an das Gefühl, dass das voll schräg ist, als Frau Musik zu machen.“
Habt ihr denn das Gefühl, dass ihr eine Art Sonderbehandlung habt, wenn ihr irgendwo aufkreuzt? Kennt ihr diese typischen Geschichten, bei denen ihr das Gefühl hattet, man redet mit euch, als hättet ihr gar keine Ahnung?
Das war früher auf jeden Fall doller, weil wir da wirklich nur als Band in den Locations angekommen sind. Mittlerweile haben wir eine richtige Crew. Alles ist sehr gewachsen und professioneller geworden. Wir haben jetzt gar nicht mehr so viel Kontakt beispielsweise mit den örtlichen Tontechnikern, wir bringen unsere eigenen mit. Deswegen hat sich das schon gebessert. Aber ja klar, man kennt das. Man hat schon ab und an das Gefühl, dass das voll schräg ist, als Frau Musik zu machen. Aber es ändert sich ein bisschen. Wir haben ganz früher englische Musik gemacht und haben gar nichts inhaltlich gesagt. Es war null politisch, null irgendwas. Wir haben einfach nur auf der Bühne gestanden. Und das allein war schon hochgradig politisch. Obwohl wir nur da waren. Ich kann nicht aus meiner Haut, wahrscheinlich wird das immer, wenn ich als Frau auf einer Bühne stehe, für viele schon eine Ansage sein. Ich möchte nur, dass es irgendwann für Leute einfach normal ist.
Wer sind denn deine Vorbilder in der Musik? Wer inspiriert dich persönlich?
Da wir gerade davon geredet haben, dass es so besonders ist, wenn man eine Frau als Frontsängerin oder eine Frau auf einer Bühne sieht – und das ist auch für mich als junges Mädchen schon so gewesen – war ich immer von Judith Holofernes von Wir Sind Helden begeistert. Die bei Rock am Ring auf der Mainstage stand und gesungen hat. Das war für mich wie: „Oh mein Gott, das geht?“. Als Band haben wir auch mal einen Auftritt von Peaches gesehen und waren so angetan, dass man nicht nur Musik, sondern sogar ein ganzes Theaterstück drumherum machen kann. Das hat uns alle total vom Hocker gehauen, wie provokant und frech das war.
Es gibt sehr viele 2000er-Easter-Eggs auf der Platte zu entdecken. Wie schaust du auf diese Zeit zurück? Hast du dir Erwachsensein damals so vorgestellt, wie es nun ist?
Es war immer ein Traum, auf einer Bühne zu stehen und dass man dort kreativ sein kann. Noch mehr das mit meinem sehr guten Kumpel Johann und meiner Schwester Lotta, die ich total gerne habe, tun zu dürfen. Einfach machen zu können, was man will. Deswegen bin ich auch sehr dankbar, dass es jetzt so ist. Irgendwo habe ich mir das schon so vorgestellt. Gleichzeitig aber auch, dass Musikmachen ein bisschen glamouröser wäre. Dass es nicht mit so vielen Hürden und in den Weg gelegten Steinen verbunden ist.
Heißt also, du würdest schon sagen, dass es sich zwischendrin wirklich wie Arbeiten anfühlt?
Klar, ist ja auch Arbeit. Auf jeden Fall. Aber natürlich sind auch Interviews schön und viele andere Aspekte. Wir wollten nie nur Musik machen, wir wollten nicht nur auf einer Bühne stehen, sondern auf andere Art und Weise kreativ sein. Ob das jetzt Musikvideos sind, Fotoshootings oder andere Ideen. Jetzt haben wir zum Beispiel für das Album Unterwasser-Pre-Listening-Sessions gemacht. Und da stand ich immer wieder mit den anderen und habe nur gedacht: „Ist das gerade ein Traum? Machen wir das hier gerade ernsthaft? Ist das gerade wirklich unser Job, dass wir hier in so einer Bademeister-Kabine stehen und den Leuten sagen, sie können jetzt ins Wasser gehen und dann kommt in Unterwasser-Boxen unser neues Album und die Leute liegen auf Schwimmnudeln?“. Wahnsinn.
Nina von Blond über Mental Health und Mittelfinger-Attitüde
Ihr singt gerne auch über Themen, die sich schwerer anfühlen. Zum Beispiel geht es in dem Song „Mein Boy“ um Mental Health, um Therapien. Nimmst du das auch so wahr, dass das Thema seit der Pandemie präsenter ist?
Auf jeden Fall. Ich kann das immer nur bei mir beobachten, in unserem Freundeskreis oder in meinem Social-Media-Feed. Das hat natürlich zugenommen, dass Leute sich damit auch auseinandersetzen. Vielleicht, weil sie sich für eine Zeit nicht ablenken konnten und sich mit sich beschäftigen mussten, wohl oder übel. Eigentlich schadet es niemandem, mal eine Therapie zu machen. Aber das ist so leicht gesagt, weil es eine unglaubliche Odyssee ist, überhaupt einen Therapieplatz zu finden, sich dann noch mit einer Person zu verstehen. Und in Städten wie Chemnitz, wo wir herkommen, ist das besonders Horror. Wenn du dann noch speziellere Themen hast, die du gerne ansprechen willst, ist das so unglaublich schwierig. Ein System, in dem es Leuten eigentlich einfacher gemacht werden müsste, aber stattdessen ist es unglaubliche Arbeit. Du musst rumtelefonieren und recherchieren, wirst dahin geschickt. Wirklich kein einfaches, zugängliches, niederschwelliges System.
Eure Attitüde in „Oberköperfrei“ ist gleichzeitig krawallig und ironisch. Wie entstand die Idee? Musstet ihr ständig dumme Fragen über Veganismus beantworten?
Bevor der Bezug zum Veganismus war, war das Wort „Oberkörperfrei“ da. Ich komme irgendwo hin, schmeiß die Tür auf und ich nehme Raum ein. Ich bin da und ich bin laut und ihr könnt mich alle mal. Lotta hat gesagt, sie würde gerne Veganismus thematisieren und Johann wollte eher ein Schlägerei-Ding. Deswegen ist es immer schwierig im Nachhinein zu sagen, wie dann Step für Step der Song entstanden ist, weil ein Text sich auch noch 40.000 Mal ändert. Aber die Attitüde war die ganze Zeit klar. Dieses mit dem Mittelfinger irgendwo reinkommen. Bam! Es macht auch sehr viel Spaß, den live zu spielen. Immer mehr FLINTA*-Personen ziehen ihre Shirts in dem Moshpit aus. Also ist es auch auf unseren Konzerten ein schönes Zeichen, wenn Leute sagen, ich fühle mich so wohl, dass ich als Nicht-Cis-Mann mein Oberteil ausziehe.
Ihr seid permanent in der Familie von Menschen umgeben gewesen, die Musik machen. Sowohl eure Eltern als auch eure Brüder mit ihrer Band Kraftklub. Hast du das immer als inspirierend empfunden oder hat dich das Omnipräsente teilweise auch genervt?
Es war eigentlich immer schön. Wir mussten nie Diskussionen darüber führen, warum wir uns jetzt für den Berufsweg entscheiden. Es gab Leute, die uns gezeigt haben, dass man das machen kann und dass es funktionieren kann, überhaupt kreativ zu arbeiten. Alle haben immer irgendwas Künstlerisches gemacht. Uns wurden natürlich viele Wege geebnet. Es gab Zeiten, in denen man gesagt hat, dass ein Kumpel ein Tonstudio hat, wo wir unsere erste EP aufnehmen könnten zum Beispiel. Man wusste einfach schon, wie es geht. Ich finde das voll krass, wenn Leute aus Haushalten kommen, in denen das keine Rolle spielte und so dann den Step machen, eine Band zu gründen, das Studium abzubrechen. Da ziehe ich meinen Hut vor. Bei uns war es eigentlich der normale Weg.
Warst du denn auch an Musiktheorie interessiert oder machst du das eher nach dem Motto „Learning by Doing“?
Wir hatten alle ein paar Unterrichtsstunden. Ich war früher auch in der Musikschule, hab Gitarre gelernt. Dann habe ich sie aber erst mal drei Jahre lang nicht mehr angefasst, weil mir dadurch der Spaß ausgetrieben wurde. Einem siebenjährigen Kind ein bisschen Theorie beizubringen, obwohl man eigentlich zu Rock am Ring auf die Bühne will? Warum zeigst du mir die ganze Zeit irgendwelche Blätter, was soll das? (lacht) Dann hatten wir aber auch zum Glück durch unsere Eltern Kumpels, die wirklich in Bands gespielt haben, die uns Unterricht geben konnten, entweder am Schlagzeug oder an der Gitarre. Hauptsache, man kann irgendwie spielen, sich begleiten und singen und kriegt ein Gespür dafür. Johann wiederum war wirklich lange in der Musikschule, der konnte das besser händeln. Ich bin in Theorie eine absolute Null, ich kann Noten lesen, aber ich brauch dafür Stunden.
„Man hat richtig das Gefühl, dass wir eine sehr nette Fanbase haben“, so Nina von Blond.
Aktuell ist Festival-Saison. Ihr seid beim Juicy Beats in Dortmund mit dabei und im Herbst folgt dann auch eure eigene Tour. Wie unterscheiden sich denn für dich im Gefühl Festivalauftritte von der eigenen Tour?
Beim Festival sehen uns immer wieder Leute, die uns noch gar nicht gesehen haben. Das ist natürlich eine Challenge, ob man sie nun kriegt, sie auf seine Seite holen kann oder nicht. Es kommen zwar auch richtig viele Leute, die uns schon kennen, das macht immer Spaß, aber es ist eben auch geil, wenn du neue Leute beobachtest. Manchmal fixiere ich dann eine Person an, bei der ich merke, die war noch nie da und dann gucke ich, ob sie lacht oder nicht. Nach zwei Songs merke ich, dass sie mit uns im Vibe ist. Natürlich ist es auch lustig, wenn Leute Songtexte zum ersten Mal hören und bei den Pointen plötzlich lachen. Bei den eigenen Konzerten kennen natürlich alle die Texte, alle singen mit, alle sind eingegroovt und man hat richtig das Gefühl, dass wir eine sehr nette Fanbase haben. Die sind wirklich unfassbar rücksichtsvoll und lieb zueinander. Das ist übelst schön, wenn du in den Raum reinkommst und bemerkst, dass alle so nette und sympathische Menschen sind.
Was hat bei den bisherigen Shows nach dem Albumrelease besonders gut funktioniert und was hat anders funktioniert, als du es erwartet hast?
Erstmal finde ich es schön, dass die Leute so schnell unsere Texte gelernt haben. Wir haben unsere Release-Show in Kreuzberg 24 Stunden nach der Veröffentlichung gespielt und waren da schon überrascht, wie laut die sind. Die Tour im Herbst, das sind so große Locations! Ich bin immer sehr pessimistisch, aber so viele Leute kaufen gerade Tickets dafür. Ich erwarte immer gar nichts und freue mich dann über alles sozusagen.
Hast du denn einen Favoriten auf der Setlist? Gibt es einen Song, auf den du dich immer ganz besonders freust?
Unser Band-Favorit live ist „Du musst dich nicht schämen“. Der macht irgendwie Spaß, weil er ein bisschen punkig ist. Ich bin auch großer Fan von „Oberkörperfrei“. Es ist cool, dass wir bei uns im Set Momente haben, in denen ich mal nicht die Gitarre drum habe und man sich dann anders bewegen und auch mal zu den Leuten hingehen kann.
Zum Schluss darfst du dir eine Sache wünschen, die du diesen Sommer unbedingt noch gerne tun würdest, wenn du die Möglichkeit dazu hättest.
Als Formation Blond und Friends würden wir uns gerne ein riesiges Schlauchboot mieten und damit den ganzen Tag rumfahren. Ein 10- bis 12-Menschen-Schlauchboot. Wir waren früher als Kinder immer zusammen im Paddelurlaub, weil Johanns und unsere Eltern befreundet sind. Uns verbindet also das Auf-dem-Wasser-in-einem-Boot-sitzen. Hat also einen nostalgischen Touch. Ich habe aber vorhin die E-Mail gekriegt, dass leider alles ausgebucht ist. Das muss ich jetzt im Winter für nächsten Sommer buchen.
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Nächster NRW-Termin: 29.7. Juicy Beats, Westfalenpark, Dortmund & 29.11. Live Music Hall, Köln
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