In den 90s waren sie ein Geheimtipp, dann avancierten Rosenstolz zum erfolgreichsten deutschsprachigen Duo aller Zeiten. Seit 2012 wird auf unbestimmte Zeit pausiert. Sängerin AnNa R. gründete daraufhin die Band Gleis 8, war zwischenzeitlich Gast bei Silly und ist seit diesem Jahr erstmalig solo unterwegs. Wir sprachen mit ihr über ihre erste LP „König:in“, chronisches Lampenfieber und die Idee eines Coveralbums.
AnNa R.: „Jeder darf eine Königin sein“
Dein Albumname „König:in“ schreibt sich mit einem Doppelpunkt. Du genderst ihn also. Woher kam die Idee?
Der erste Grund ist, dass jeder sich angesprochen fühlen kann. Des Weiteren ist es aber ein kleiner Hinweis auf den Fehler im Gendern. Vor dem Doppelpunkt steht „König“, was hat das dann mit Emanzipation zu tun? Nicht viel, da tatsächlich bei jeder Gendergeschichte immer der Mann vorne steht. Deswegen war das von mir eine Idee, um darauf einmal kurz aufmerksam zu machen, dass der männliche Beruf oder die männliche Bezeichnung immer im Vordergrund steht. Auch bei einem Sternchen oder Doppelpunkt ändert sich für mich nicht so viel.
Bei dem Titelsong „Du bist eine Königin“ sprichst du aber eindeutig eine weibliche Person an.
Jeder darf eine Königin sein. Auch ein Hund, meiner sowieso (lacht).
Auf dem Album haben Manne Uhlig und Timo Dorsch mitgeschrieben, mit denen du zuvor die Band Gleis 8 gebildet hast. Warum ist es nun aber doch ein Soloalbum und kein drittes Gleis-8-Album? Fühlt sich das Arbeiten nun anders hin?
Nee. Sind im Prinzip die gleichen Leute, auch wenn Timo vorerst keine Musik mehr machen wird. Der Rest ist aber noch dabei. Die Idee, dass es ein Soloprojekt ist, gab es vorher schon eine ganze Zeit. Ich habe mich jedoch lange geweigert, mich dann aber irgendwann überreden lassen.
Was sind für dich die drei zentralen Themen des Albums?
Mitgefühl, Toleranz, Stärkung des menschlichen Wesens.
„Träume in dem zu finden, was gerade da ist, finde ich viel spannender.“
Man kann auch viel zum Im-Hier-und-Jetzt-Sein erkennen, dass man sich annimmt und sich nicht festlegen muss. Sind das Erkenntnisse für dich, die in den letzten Jahren bei dir eine Rolle spielten?
Das bleibt nicht aus mit dem Alter, denke ich. Solang man nicht ganz dämlich ist, merkt man, dass alles andere gar keinen Sinn macht. Schneller, höher, weiter macht keinen Sinn, aber ständig unter Träumen zu leiden, die man sich nicht erfüllen kann, bringt auch nichts. Träume in dem zu finden, was gerade da ist, finde ich viel spannender.
Welche Rolle nimmst du beim Songschreiben ein? Guckst du, was in deinem Leben zuletzt passiert ist? Guckst du was bei anderen passiert? Ist es gar eine lyrische Figur und somit Geschichten aus der Fantasie?
Alle drei Sachen. Sehr viel ist von einem selbst drin, wenn man schreibt, sonst würde man es wohl anders ausdrücken. Es ist ein bisschen autobiografisch, es ist ein bisschen umschauen. Irgendwann ist das eigene Leben ja auch auserzählt. Zumindest für den Moment.
Es passiert auch an vielen Tagen nichts erwähnenswertes, oder?
Richtig, ist nicht jeden Tag Party. Das muss ich meinem Hund auch immer erzählen (lacht).
AnNa R.: „Ich finde wirklich, dass wir uns alle schämen sollten.“
Gibt es trotzdem zu einem Song eine ganz besondere Geschichte, von der du berichten magst?
Ich finde es wahnsinnig traurig, dass „Ein Meer voller Seelen“ immer noch aktuell ist. Das Album hat viel länger gedauert, als wir geplant hatten. Dann kam die Pandemie und noch so viel anderes dazwischen. Der Song war einer der ersten, die wir für die Platte geschrieben haben. Ich dachte erst, er hätte keine Relevanz mehr, aber leider immer noch. Ich finde wirklich, dass wir uns alle schämen sollten. Dass es Diskussionen darüber gibt, ob man flüchtenden Menschen auf Booten hilft, sie an Land aufnimmt oder nicht. Dass man sie in überfüllte Lager bringt. Diese Leute sind geflohen, weil sie nicht im Krieg leben wollten. Unglaublich, dass gnadenlos darüber hinweggeblickt wird.
Hinter einem anderen Song steckt aber bestimmt eine positivere Geschichte. „Augen zu“ ist ein Duett mit Henning Wehland, dem Frontmann der H-Blockx. Woher kennt ihr euch?
Wir kennen uns schon wirklich lange. Haben uns zu MTV-Zeiten kennengelernt und mochten uns immer total gerne. Den habe ich dann zur Pandemie angerufen und gefragt, ob wir ein Album zusammen machen wollen. Es gab erst die Idee, ein Coveralbum aufzunehmen. Das steht zwar noch aus, aber bei einigen Treffen entstand ein Song, lustigerweise im Studio von Silly. Da saß Henning am Klavier hat gespielt, ich hab dazu gesungen und drei Tage später war der Song fertig.
Besonders zum Ende der Rosenstolz-Zeit wurde es für dich und Peter Plate sehr stressig und überfordernd. Findest du es schöner, seitdem es ruhiger ist, oder vermisst du manchmal den Trubel?
Nee, den habe ich ja nie gebraucht. Der war ein nötiges Beiwerk, aber keins, was ich brauche. Ich finde es überschaubarer schöner. Und druckfreier.
„Ein Mensch ist ein Mensch.“
Löst es denn Druck aus, wenn immer wieder von „der Ex-Rosenstolz-Sängerin“ die Rede ist?
Jein. Es waren ja 30 Jahre meines Lebens, davon 20 aktive. Immer mal wieder kommt ein Rosenstolz-Thema vor. Größtenteils waren es auch gute Jahre. Es nervt nur, darauf reduziert zu werden. Ich habe außer Rosenstolz ja schon einiges anderes gemacht.
Ihr habt schon früh gegen AIDS gekämpft, habt dafür 2011 sogar das Bundesverdienstkreuz erhalten. Viele Themen waren queer und feministisch. Wie nimmst du die heutige politische Lage und die Transparenz dazu wahr?
Dazu sage ich nochmal deutlich: Ich bin keine Feministin. Ich finde, ein Mensch ist ein Mensch. Und er sollte so auch wahrgenommen werden. Wie auch immer man sich bezeichnen möchte. Das ist mir ziemlich egal, man hat für mich immer das gleiche Recht wie alle anderen auch. Es ist manchmal ein bisschen schwierig, wenn junge Menschen ein wenig zu viel wollen. Als wir angefangen haben, gab es noch keine schwule oder lesbische eingetragene Partnerschaft, deswegen finde ich es schön, dass es sichtbarer wird und sich vieles getan hat. Man sollte sich nur nicht als Einzelperson unbedingt als Nabel der Welt sehen. Das finde ich etwas übertrieben, da für mich alle gleich sind und niemand gleicher. Solange wir die Diskussion aber immer noch führen müssen, reicht es an einigen Stellen dann doch noch nicht. Das nervt mich eigentlich viel eher.
Du warst zuletzt Gastsängerin bei Silly, das warst du aber früher auch schon mal. Was verbindet dich mit der Band?
Als ich ein junger Mensch war, hatte ich schon im Osten Kontakt zu ostdeutschen Band. Ich kannte Tamara Danz, also die frühere Sängerin von Silly, über gemeinsame Freunde. Ich habe die Silly-Jungs immer mal wieder getroffen, würde aber lügen, wenn ich jetzt sage, dass ich immer ein Silly-Fan war. Als die im Osten en vogue waren, habe ich was anderes gehört. Wenn man mit 12 oder 14 die Wahl zwischen Silly und Duran Duran hat, ist klar, wie man sich entscheidet (lacht). Ich fühlte mich aber trotzdem damit immer verbunden und habe das dann später gerne angenommen. Inzwischen kann ich auch wirklich viel damit anfangen.
Nun startet in wenigen Wochen aber deine erste Solotour. 12 Shows sind zum ersten Mal komplett deins, was hast du vor?
Oh, frag mich das nicht. Ich habe im Moment noch furchtbar viel Angst, dass ich das gar nicht schaffe, alles zu lernen. Es ist ein ziemlich umfangreiches Programm, eine große Tour. Ich habe schon lange nicht mehr so viel am Stück gesungen, bei Silly war es nur die Hälfte quasi (Anm. d. Red.: AnNa R. war zusammen mit Julia Neigel Gastsängerin). Ich muss mich also erstmal selbst beweisen.
Chronisches Lampenfieber – auch nach 30 Jahren
Wovor hast du am meisten Angst? Vor der Reaktion des Publikums oder eher vor der Energie, die du brauchst?
Eventuell das Zweite. Oder dass ich es nicht schaffe, die Texte alle zu lernen. Ich bin nun auch nicht mehr 20. Leider oder Gott sei Dank, je nachdem, wie man das betrachten möchte. Körperlich wie mental. Das ist eine Aufgabe, auf jeden Fall.
Bist du denn auch nach so vielen Jahrzehnten immer noch aufgeregt vor den Shows?
Sehr. Ich leide unter chronischem Lampenfieber. Panikattacken wie damals bei Peter sind es nicht, dafür bin ich zu pragmatisch. Ich probiere dann darüber nachzudenken, was im schlimmsten Falle passieren kann. Wenn ich mir zum Beispiel beim Stolpern ein Bein breche, singe ich eben im Sitzen. So probiere ich es dann für mich etwas zu entschärfen. Eine richtige Routine gibt es aber trotzdem nicht.
Was gibt es denn dann neben deinem Soloalbum noch zu hören? Coversongs?
Es wird Silly-Songs geben, Gleis-8-Songs und sogar Rosenstolz-Songs. Nicht ganz so viele, im Vordergrund steht das Album, aber tatsächlich von allem etwas.
Zuletzt: Ernenne jemanden zur Königin.
Jeden.
Das Album „König:in“ erscheint am 22.9.
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Nächster geplanter NRW-Termin: 6.10., E-Werk Köln; weitere Shows folgen in 2024
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