Deutschland auf dem Urlaubsplan: Marco von Wanda im Interview

Sie gehören zu den drei erfolgreichsten Bands Österreichs aller Zeiten: Wanda mit Frontmann Marco (2.v.r.). Foto: Chris Gonz
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Sie haben den Rock’n’Roll wiederbelebt, und dazu noch auf Deutsch. Bessergesagt: Auf Wienerisch. Wanda kamen 2012 wie aus dem Nichts und eroberten in wenigen Jahren sämtliche Bühnen, Playlists und Herzen. Marco Michael Wanda ist der Frontmann des Quartetts und sprach mit uns über seine Liebe zu Deutschland, den Tod eines Bandmitglieds, seinen Job als Lyriker und seinen Lieblingsmoment an einem Konzerttag.

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Marco von Wanda: „Ich konnte das erste Mal nicht wirklich mit einem Jahr abschließen.“

Das Jahr ist nun ein paar Wochen alt. Wie bist du gestartet?

Sehr nachdenklich. Ich habe eins der schwierigsten Jahre meines Lebens hinter mir gelassen, aber auf der anderen Seite auch ein erstaunlich schönes Jahr erlebt. Es waren mit die schönsten Konzerte dabei, die wir jemals gespielt haben.

Hattest du Vorsätze für 2023 und diese schon erfolgreich umgesetzt oder direkt über Bord geworfen?

Es ist so schwierig, da sowohl in der Welt als auch in meinem Privatleben so viel passiert ist und immer noch passiert. Ich konnte auch das erste Mal nicht wirklich mit einem Jahr abschließen. Silvester hat durchaus eine interessante Funktion, man kann ja rituell Dinge hinter sich lassen, besonders negative, aber vieles von dem, was mir im letzten Jahr passiert ist, hat bisher nicht aufgehört. Es ist also nach wie vor ein Prozess. Ich bin irgendwie froh, dass Silvester vorbei ist, weil es nicht das schönste Silvester war.

Euer Album „Wanda“ ist nun über vier Monate alt. Wie waren die Reaktionen auf die Platte?

Grundsätzlich muss ich mich erstmal bedanken. Man hat uns in Deutschland auf Platz 3 der Albumcharts gekauft, und das in Zeiten, in denen die Leute kaum Geld haben. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Das hat uns auch viel Kraft gegeben. Das Feedback ist toll. Ich rede natürlich nicht die ganze Zeit mit den Leuten, die es gekauft haben, aber das, was man liest und hört, war positiv.

Und du bist selbst auch zufrieden?

Naja, ich bin nie ganz zufrieden. Wenn ich mal mit einer Platte rundum zufrieden wäre, würde ich keine nächste mehr machen. Wir sind auch alle mit dem Kopf schon bei der nächsten, weil wir sie bereits aufnehmen. Ich habe in den letzten Wochen des vergangenen Jahres einen richtigen Schub erlebt, da sind mir 20, 30 Lieder in den Sinn gekommen. Deswegen gehen wir gerade ganz entspannt ins Studio und machen schon mit Neuem weiter.

Marco: „Wanda ist nicht mehr das, was Wanda vor zehn Jahren war.“

Euer fünftes Album heißt so wie eure Band. Hat sich thematisch etwas verändert? Geht es mehr um euch als Team?

Ich würde sagen, dass das letzte Album eine musikalische wie thematische Zusammenfassung von unseren zehn Jahren Bandgeschichte ist. Der Arbeitstitel war auch „Best of“, weil jeder Weg, den wir begangen sind, sich hier noch einmal wiederfindet. Aber dort, wo wir jetzt sind, zieht eine ganz andere Direktheit in die Texte ein. Vielleicht auch all den Umständen geschuldet, die im letzten Jahr passiert sind, so sind zwei Bandmitglieder nicht mehr dabei. Auch dadurch verändern sich Musik, Texte, Vibe. So ist eben „Wanda“ der Abschluss von zehn Jahren Wanda. Wanda ist nicht mehr das, was Wanda vor zehn Jahren war. Diese wilden, jungen, ungehemmten Männer sind so nicht mehr da – dadurch hat sich vieles zwangsläufig verändert.

In der Woche eurer Albumveröffentlichung starb euer Keyboarder Christian. Es ist also das wahrscheinlich Schlimmste passiert, was einer Band passieren kann. Konntest du die Veröffentlichung überhaupt wahrnehmen oder wart ihr mit dem Kopf sowieso nur ganz woanders?

Es war eine völlig schizophrene Zeit. Mir fehlen die Worte. Es waren so viele extreme Gefühle. Diese tiefe Trauer um Christian, andererseits die Erleichterung, dass sein Leidensweg vorbei ist, die Platte draußen ist, auf der man ihn auch noch spielen hören kann. Das waren viel zu viele Gefühle. Ein Mensch ist nicht dafür gemacht, einen derartigen Gefühlscocktail über sich auszuschütten. Es war sehr schwierig.

Seit September gibt es mit „Wanda“ das 5. Album der Band, das 6. ist bereits in der Mache. Foto: Chris Gonz

Die ersten Shows nach Christians Tod sind bereits gelaufen. Gab es Änderungen im Ablauf, neue Rituale?

Wir sind auf diese Tour gefahren, als ob man vor einem weißen Blatt sitzt. Wir hatten absolut keine Vorstellung, wie es wird. Wir hatten keinen Anspruch, keine Wünsche. Wir haben nur gewusst, dass uns gemeinsames Musikmachen guttun wird, ebenso das Hochhalten von Christians musikalischem Erbe. Wir waren dann aber selbst überrascht, wie sehr uns das Publikum unterstützt hat. Es war absolut nicht einfach, auf die Bühne zu gehen, aber die Menschen haben es uns sehr leicht gemacht. Wir hatten sehr viel Freude, Spaß und Ablenkung, die auch wirklich wichtig war. Zuhause sitzen und darüber grübeln, war wirklich die Hölle. Ich war so dankbar, dass es eine Möglichkeit gab, mich davon wegzubewegen. Wir haben einfach ein großartiges Publikum. In solchen Krisenzeiten erkennt man das noch mehr, was für tolle Menschen das sind. Das war eine wirklich bewegende Tour.

Ihr habt es also auf der Tour auch thematisiert und nach außen getragen?

Wir haben vorab viel darüber geredet, wie man es machen könnte. Ich hatte dann bei den Konzerten einfach immer wieder von selbst Worte über ihn im Kopf. Es gab auf jeden Fall viel Applaus für ihn.

„Ein Teil meines Unterbewusstseins scheint da schon mehr gewusst zu haben“

Euer Song „Va bene“ auf dem neuen Album hat die sehr prägnante Zeile „Und es muss trotzdem alles weitergehen“, die nun wahrscheinlich nochmal ganz anders wirkt, als in jenem Moment, als sie geschrieben wurde, oder?

Der Text und seine Bedeutung sind so, als wäre mir etwas vorausgeeilt. Als hätte ich schon geahnt, dass dort am Horizont finstere Wolken aufziehen. Mir war irgendwie klar, dass sich unser aller Leben grundlegend verändert. Christian war schon lange krank, es ging nicht schnell. Leider. Ich glaube, dass man das der Öffentlichkeit auch ersparen kann, jeder kennt das sicherlich auch von Krankheiten aus der Familie. Das ist nicht lustig und etwas, was einen jahrelang begleitet. Schön wäre es, von einem Klavier erschlagen zu werden. Aber die Realität des Sterbens ist eine weitaus zähere, langatmigere, als man es sich als gesunder Mensch vorstellt, wenn man Sportmachen und Trinken kann zum Beispiel. Ein Teil meines Unterbewusstseins scheint da schon mehr gewusst zu haben.

Eure Musik versprüht oft im ersten Moment gute Laune, aber eure Texte sind eher melancholisch, handeln viel von Enttäuschung, Einsamkeit, aber auch von Zusammenhalt. Würdest du dich selbst auch eher als schwermütige Person beschreiben?

Grundsätzlich bezeichne ich mich in meiner Arbeit als Lyriker, und ein Lyriker ist kein Mensch. Ein Lyriker beobachtet eher das Menschsein und nimmt eine auktoriale Position ein. Als Lyriker ist mir auch klar, dass das Leben nur dort erzählenswert und interessant ist, wo es einen Konflikt oder ein Dilemma gibt. Das ist bei Theaterstücken oder Romanen genauso. Es braucht die Spannung eines Problems und den Weg, wie man das Problem überwindet. Das wiederum führt dann wieder zu dem Menschen, der hinter dem Lyriker steckt. Das ist ja auch das Prinzip des Lebens. Man läuft vor sich her und irgendwo stößt man an – wie geht man dann damit um? Das ist alles, was mich als Lyriker und als Mensch beschäftigt. Das Leben als Problemstellung.

Welche Inspirationsquelle ist dir die liebste? Sind es andere Musiker:innen, die du hörst, Alltagssituationen oder entsteht das Meiste im gemeinsamen Prozess mit deinen direkten Kolleg:innen?

Die Inspiration leitet sich größtenteils über Gedanken ab. Dinge, die ich beobachte oder erlebe. Noch wichtiger sind aber tatsächlich Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. Mitmusiker, Produzenten. Da kommt der eigentliche Drive her. Sie inspirieren mich seit zehn Jahren und hören auch nicht auf, es zu tun. Die persönliche Ebene, das Zwischenmenschliche ist dabei sogar noch weitaus wichtiger als die Musik. Die Musik ist das kleinste Problem.

„Orte, an denen wir waren“ stellt viele essenzielle, rhetorische Fragen an die Zuhörer:innen. Nenn gern einen Ort, an dem du schonmal warst, der dich nachhaltig beeindruckt hat.

Es ist tatsächlich viel Deutschland, muss ich sagen (lacht). Ich bin sogar dabei, meine Urlaube in Deutschland zu planen. Wir verdanken einen Großteil unseres Erfolgs diesem Land. Ich bin auch halber Deutscher, meine Mutter kommt aus Leverkusen. Viele Menschen haben ein Faible für bestimmte Kulturen. Ich hätte niemals gedacht, dass das für mich mal Deutschland wird – so ist es aber momentan. Jede Stadt ist irgendwie anders, es ist ein großes Land. So wie für die Briten Amerika ist es für uns Österreicher eben Deutschland, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Es liegt uns auch am Herzen – in all seiner gespaltenen Politik, in seiner spannungsgeladenen gesellschaftlichen Atmosphäre. Wahnsinnig interessant.

Zwischenmenschliche Grenzen aufheben – wie beim Sex

Bald geht die Tour los. Ihr spielt ab März viele Shows in unterschiedlichen Städten. Hast du schon Bock?

Sobald ich allein nur die Frage höre, erhöht sich mein Herzschlag. Ich freue mich sehr drauf, wirklich. Es ist auch im Moment alles besser, als hier herumzusitzen.

Bedeutet, für dich sind Konzerte auch das Wichtigste an deinem Job?

Konzerte sind der Grund, warum wir die Band gegründet haben. Wir waren am Anfang kaum im Proberaum, haben uns anfangs kaum mit den Songs beschäftigt, das ist irgendwie nebenbei passiert. Das Ziel von allen war immer auf der Bühne zu sein und mit Menschen gemeinsam etwas zu gestalten, zwischenmenschliche Grenzen aufzuheben. Mir fällt kein anderes Beispiel ein, wo das derartig möglich ist, außer Sex. Das ist das Einzige.

Nimmst du die Stadt, in der ihr gerade seid, immer wahr? Gibt es Städte, Hallen, Festivals, die du besonders magst?

Gerade in Deutschland hat jede Stadt einen eigenen Vibe. Wir nehmen den auch immer irgendwie auf. Wir gehen oft vorab durch die Städte, schauen uns Sachen an und probieren ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Das wirkt sich dann auch auf die Show aus. An Orten, für die wir kein richtiges Gefühl haben, funktionieren die Shows nicht so gut. Mittlerweile haben wir zum Glück für quasi jede Stadt ein Gefühl. Hätte ich eine Landkarte und würde in jede Stadt eine Nadel hineinstecken, wo wir schon waren, wäre Deutschland ein flächendeckender Nadelkopf. Ich muss aber wirklich erwähnen, dass es kaum eine Halle gibt, die wir so lieben wie das Palladium in Köln. Die Halle ist einfach perfekt, eine der besten, die jemals gebaut wurden. Hätte ich Geld und würde eine Halle bauen, würde ich sie einfach nachbauen und „Walladium“ oder so nennen.

Hast du an einem Konzerttag einen Lieblingsmoment? Kurz vorher, mittendrin, danach?

Oh, das ist schwer. Das Ganze ist ein Moment. Ich kann das gar nicht so gut aufschlüsseln oder untergliedern. Es ist einfach schön, wenn ich sehe, dass es den Menschen Freude bereitet oder dass sich ein Gefühl offenbart, was nicht gezähmt ist. Das sind meine Lieblingsmomente. Und ich liebe die Dusche danach. Einer der schönsten Momente im Leben. Wenn man den ganzen Scheiß abwäscht und es danach weitergeht.

Marco Michael Wanda: „Das hier ist keine Indie-Band, sondern eher Beatle-Mania.“

Ihr macht Wanda nun zehn Jahre. Wann war dir klar, dass das kein bloßer Versuch wird, mit Musik Geld zu verdienen, sondern ihr eine der größten österreichischen Bands aller Zeiten werdet?

Da gab es viele kleine Momente. Erstaunlicherweise war es aber relativ früh klar. Es gab erst eine Phase der Unsicherheit, das war rund um die Bandgründung. Da hatte ich im Prinzip schon die ersten beiden Alben fertig und konnte da bereits beurteilen, dass es gutes Material ist. Ich war in der Zeit gut geschult darin, Dinge kritisch zu beurteilen, weil ich Sprachkunst studiert habe, also ein literarisches Studium an der Uni für angewandte Kunst in Wien. Ich konnte also meine eigene Arbeit beurteilen. Ich wusste, was gut und was scheiße ist, und es war auch viel Scheiße dabei, bei dem, was ich gemacht habe. Aber die Songs waren einfach stark.

Einer der nächsten großen Momente war der erstmalige Kontakt zu unserem damaligen Manager Stefan Redelsteiner, der sich das Material angehört hat und uns angeschrien hat, ob wir den Verstand verloren hätten, weil er es so gut fand. Der hat sehr heftig darauf reagiert. Und da habe ich gedacht: „Ok, wenn das in nur einem Menschen so etwas auslöst, wie wird das, wenn das Tausende oder Zehntausende hören?“. Ein anderer Moment war ein Konzert auf dem Wiener Michaelerplatz. Das war ein SPÖ-Stadtfest, wo normalerweise zwei- bis vierhundert Leute kommen – bei uns waren 12.000. Die Innenstadt musste von der Polizei abgeriegelt werden. Eine Menschenmasse, die die Innenstadt so wahrscheinlich noch nie erlebt hat. Da war uns klar, das hier ist was anderes. Das hier ist keine Indie-Band, sondern eher Beatle-Mania. Das war echt heftig.

Marco Michael Wanda (r.) hat Wurzeln in NRW: Seine Mutter kommt aus Leverkusen. Foto: Chris Gonz

Geht es in den nächsten zehn Jahren so weiter wie bisher? Was würdest du streichen, wenn du es ohne Konsequenzen einfach so könntest?

Nichts ist selbstverständlich. Nichts passiert einfach so. Da gehören sehr viel Achtsamkeit und Pflege dazu, auch sehr viel Freundschaft. Ich bin 24 Stunden mental mit der Band verbunden. Ausruhen und Abschalten ist nicht. Es deckt den allergrößten Teil meines Lebens und meiner Gedankenwelt ab. Das ist der einzige Weg es zu machen. Solang wir dieses Mindset aufrechterhalten können und wollen, wird es irgendwie weitergehen. Aber es ist auf gar keinen Fall selbstverständlich. Jack Nicholson hat dazu mal in einem Interview gesagt, dass man sich mit einer gewissen Distanz auch seine Einsamkeit erhält. Ich möchte mich nicht zu abhängig machen. Sagt man einmal irgendetwas Falsches, ist man in dieser Welt weg vom Fenster und kann in Ungnade fallen. Wenn es so weit ist, möchte ich das nicht bedauern, sondern mir ein eigenes, einsames Leben erhalten.

Worauf freust du dich noch in 23? Egal, ob mit oder ohne Band.

Auf alle Konzerte, auf alle Festivals. Palladium in Köln, Berlin, Hamburg, Wiesbaden und wie sie alle heißen. Ich freue mich aufs neue Album. Und ich freue mich, ein Jahr älter zu werden. Ich möchte keinen Tag mehr jünger sein.

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Nächster geplanter Termin: 20.3., Palladium Köln

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