Nest verlassen, Welt entdecken: Accidental Bird im Gespräch

Stefan Honig startet 2023 nochmal neu - nun unter dem Künstlernamen Accidental Bird. Foto: Joshua Hoffmann
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Stefan Honig macht schon ewig Musik. Der in Köln ansässige, aber in der Nähe von Düsseldorf geborene Künstler gründete 2006 sein Soloprojekt HONIG, das sich schnell zu einer festen Band entwickelte. 2019 löste die Gruppe sich auf, nun startet er unter dem Namen Accidental Bird nochmal neu. Wir sprachen mit dem gelernten Erzieher, der immer wieder sein sicheres Terrain verlassen muss, um sich selbst sowie andere zu überraschen.

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Vorher HONIG, nun Accidental Bird: So kam es zur Namensänderung

Stefan, Accidental Bird lässt sich definitiv nicht so einfach aussprechen wie Honig, der Name deiner vorigen Band!
Auf jeden Fall, aber ist machbar, würde ich sagen. (lacht)

Was ist die Story hinter deinem neuen Künstlernamen?
Der alte Name war einfach mein Nachname, was zwar einerseits einfach war – ich habe das als Soloprojekt gestartet und fand es auch lange natürlich – andererseits sind wir aber auch eine feste Band geworden. Bis auf das letzte Jahr war es immer dieselbe Besetzung, deswegen fühlte es sich irgendwann ein wenig falsch an. Und ich fand’s auch immer ein wenig irritierend, dass wir englischsprachige Musik machten und der Name HONIG deutsch ist. Vielleicht habe ich mir dazu auch mehr Gedanken gemacht als alle anderen, aber für mich war das irreführend. Somit war klar, dass nach dem Ende von HONIG auch ein neuer Name hermuss, damit es sich wie ein neues Kapitel anfühlt.

Allerdings kann ich mir solche Sachen immer schlecht ausdenken. Somit habe ich zunächst an der Platte geschraubt, ohne einen konkreten Namen im Kopf zu haben. Folgendes passierte: Meine Tochter war zum Beginn der Produktion vier Jahre alt und hat der Oma immer mit Tier-Emojis Nachrichten von meinem Handy geschickt. Diese sind dadurch unter die meistbenutzten Emojis gelandet. Eigentlich wollte ich meinem Produzenten einen „Daumen hoch“ schicken, schickte ihm aber stattdessen einen Vogel. Deswegen schrieb ich hinterher: „Oops, accidental bird, sorry!“, er antwortete „Hey, great band name!“. Das habe ich erst ignoriert, allerdings ist Monate später exakt dasselbe mit meiner Frau passiert. Auch ihr habe ich „Oops, accidental bird!“ geschrieben und sie hat geantwortet, dass es ein guter Bandname wäre. Richtiger Déjà-vu-Moment. Ich habe dann gegoogelt, was das eigentlich bedeutet, und tatsächlich ist das ein biologischer Begriff für Vögel, die sich außerhalb ihres natürlichen Lebensraumes angesiedelt haben. Und wenn ich auf dem Fahrrad zur Arbeit fahre, werde ich immer von Papageien begleitet, die im Park wohnen, sich also hier auch angesiedelt haben – und das fand ich so passend, dass es mein Arbeitstitel wurde.

Da ich Autodidakt bin, also mir auch selbst beigebracht habe, Gitarre zu spielen, und kein gelernter Musiker bin, fühle ich mich unter großen guten Musikern klein und dass ich gar nix kann im Vergleich zu denen – also bin ich auch ein „Accidental Bird“, der sich in der Musikbranche eingenistet hat. Ich fand es einen passenden Titel und dachte, dass ich da nichts besseres mehr finden kann.

Accidental Bird steht für einen Vogel, der sein gewohntes Terrain verlässt. Foto: Stefan Honig

Sowieso ist es eine untypische Idee, ein Projekt, das 13 Jahre lief, an den Nagel zu hängen. Was war emotional los?
Der Beweggrund war nicht erst 2019 da. Wir haben uns immer gern gemocht, es gab keine Probleme, die Lust war immer da. Allerdings wurde es irgendwann zu schwierig, es in dem Rahmen fortzusetzen. Wir haben zu wenig Geld verdient, um unseren Familien zu sagen, dass wir im Jahr drei Wochen weg sind, nur um zu touren. Wir waren zwar total happy und haben im Süden vor 250 Leuten gespielt, aber 250 sind eben auch nur 250 – und wenn du das Geld, was eingespielt wirst, durch so viele Leute einschließlich Lichtmann und Tontechniker teilen musst, bleibt einfach echt nicht viel übrig. Das war logistisch nicht mehr tragbar und machbar, weil wir alle auch Kinder haben. Die Zeit für Proben und Touren freizuschaufeln, ging leider nicht mehr so leicht von der Hand. Wir haben dann gesagt, dass wir die Band ordentlich beenden wollen, weswegen es nochmal eine Abschiedstour gibt, die auch so kommuniziert wurde. Jeder, der uns sehen wollte, konnte nochmal kommen, immerhin haben wir zehn Jahre gespielt. So konnten wir das auf einer hohen Note beenden. Das ist dann gut gelaufen und alle sind mit einer guten Erinnerung rausgegangen.

Stefan Honig: „In den ersten drei Monaten der Pandemie hatte ich direkt alle Songs der neuen Platte geschrieben.“

Für dich war aber sofort klar, dass es musikalisch weitergeht?
Die Abschiedstour war ein Kraftakt. Da hatte ich erst keine Ahnung, wie das weitergeht. Ich habe aber nie den Satz geäußert, dass ich nie wieder Musik mache. Allerdings war ich an dem Punkt, an dem ich’s gut fand, dass nichts ansteht. Kurze Zeit danach ging es auch mit der Pandemie los. In meinem „Nebenjob“ bin ich Erzieher (lacht), dann waren erstmal die Kindergärten zu und alles war dicht, ich hatte nichts zu tun, habe also für die Kinder daheim ein paar Musikprojekte gemacht, auch für meine eignen Kinder, und abends habe ich die Gitarre herausgeholt.

Ich bin schon immer niemand gewesen, der ständig Musik schreibt. Ich schreibe ein Album und danach hört’s erstmal wieder auf. Ich hatte immer das Glück, 12, 13, 14 Songs zu schreiben, bevor die nächste Phase kam, in der mir nichts einfiel, und genau so eine Phase war im ersten Lockdown auch – in den ersten drei Monaten habe ich direkt alle Songs der neuen Platte geschrieben. Die waren zwar da noch nicht fertig, aber sämtliche Grundideen standen. Über die nächsten Monate habe ich die dann demomäßig aufgenommen.

Was ist denn verglichen mit deinem vorigen Erarbeiten gleich geblieben und was ist neu?
Gleich geblieben ist, dass ich einfach nur das kann, was rauskommt. Theoretisch habe ich davon keine Ahnung, ich mache nur nach Gefühl. Das war bei HONIG auch schon so. Allerdings bin ich bewusst rangegangen und wollte etwas Neues machen, nicht wieder exakt dasselbe. Ich habe dann, als die Skizzen standen, ein paar Freunde angerufen, mit denen ich schon immer mal was machen wollte – das ging zuvor nicht, als wir die fixe Band hatten. Die habe ich dann alle kontaktiert, und sie haben andere Facetten eingebracht, Klaviere zum Beispiel statt Gitarren. Ein paar meiner Trademarks wurden also herausgekickt und andere neueingefügt.

Gibt es denn Momente aus der Produktion, die dir besonders im Kopf geblieben sind?
Es gibt auf jeden Fall einen Moment, in dem mir klar wurde, dass ich ein Album mache. Das war als ich „Pools“ geschrieben habe, die zweite Single und der erste Song auf dem Album. Als Gero mir das Klavier geschickt hat, hat es Klick gemacht. Genau so sollte der Song sein und die Richtung war für mich klar. Super gut fand ich auch immer meine Ausflüge nach Holland. Dort bin ich vier, fünf Tage am Stück hingefahren, um dort ohne Kinder ins Studio einzutauchen und aufzunehmen. Da wurde die Platte zum Leben erweckt.

Accidental Bird: „Es geht ein bisschen darum, dass man dazu fähig ist, zu sagen, was man denkt.“

„Yes I kiss my mother with that mouth” gewinnt unter den Songs schon mal den Preis für den kuriosesten Titel!
Wenn ein Kind ein dreckiges Wort in den Mund nimmt, sagt man auf Englisch gern, „Do you kiss your mother with that mouth?“, also küsst du deine Mutter, wenn sich in deinem Mund so dreckige Worte befinden? Und dieser Song ist quasi eine Art zu sagen, dass ich zu dem stehe, was ich sage und zu den Worten, die ich benutze. Es geht ein bisschen darum, dass man dazu fähig ist, zu sagen, was man denkt. Bedeutet natürlich nicht, dass man ein Arschloch sein muss und Gefühle von anderen ignorieren sollte, aber man sollte seine eigenen Gefühle ausdrücken können, sich nicht immer zensieren müssen, weil man Angst hat, was andere dazu sagen.

„Monsters“ hingegen klingt richtig rockig, laut, hat viel Druck, obwohl man erst die Idee hat, dass es um innere Dämonen geht und es eher in sich gekehrt und leise klingen könnte.
Ich hatte so ein Groove-Gefühl, ich wollte unbedingt eine Up-Tempo-Nummer machen, die fehlte mir bis dahin. Diese Bassdrum war in meinem Kopf – die Art, wie ich spiele, passte aber nicht dazu. Während ich im Kindergarten gerade arbeitete, hatte ich die Gitarre in der Hand und bin dabei auf das prägnante Gitarrenriff gekommen. Ich habe immer mein kleines Aufnahmegerät dabei, um festhalten zu können, wenn mir gerade etwas einfällt. Allerdings hatte ich zunächst gar keine Idee, wie ich dazu singen könnte. Ist also auch der einzige Song, bei dem die Gitarren vor dem Gesang oder dem Text da war, normalerweise mache ich das andersherum. Ich bin dann aufgeregt nach Hause gefahren, hab’s aufgenommen, auf Kopfhörer gehört und die Gesangsmelodie kam dann innerhalb von drei Minuten. Wir haben auch ganz viel draus gemacht, bei mir im Wohnzimmer war es kleiner Pop, am Ende hat sich ganz schön was verändert.

„Climate Change“ ist eher politisch und aufwühlend. Ein Thema, was dich auch im Alltag stark beschäftigt?
Mich treibt es ein wenig in den Wahnsinn, dass man das Gefühl hat, niemand würde sich richtig kümmern. Alle wissen es, aber keiner macht was. Ich bin eigentlich gar nicht so hoffnungslos, ich glaube nämlich, dass es viele Individuen gibt, die genau wissen, was für ein Scheiß passiert und die probieren, ihren Teil beizutragen. Das Große, was mich ärgert, ist, dass wir das seit 70 Jahren wissen und in der Politik ständig über Schwachsinn diskutiert wird, wir nur nicht aktiv werden. Wie kann es sein, dass wir immer noch so Unmengen an Plastik produzieren, statt die Alternativen zu benutzen? Wann kommt da der Stopp? Darüber bin ich total entsetzt. Wenn man sich dann hinstellt und noch sagt, wie stolz man auf seine politische Arbeit wäre, kann ich das echt nicht fassen.

Es gibt auf dem Album zwei zentrale Thesen: Einmal das Gefühl, dass alle Leute immer wissen, worum es geht und klare Meinungen haben, es aber nicht ok ist, wenn die Antwort vielschichtiger ist – ich würde mir wünschen, dass es ok ist, zu sagen, die Antwort nicht richtig zu wissen. Dass Meinungen voneinander lernen, weil niemand wirklich Recht hat. Wir sind Menschen, die nur einen Horizont haben und um das große Bild zu raffen, uns zusammentun müssen. Andererseits steht der Titel mit „The Old News Shrug“,  das bedeutet, dass nichts mehr spannend genug ist, um länger als fünf Minuten Relevanz zu haben. Alle machen „wow“ und nächste Woche ist es komplett egal. Diese Wegwerfgesellschaft, die auch in der Kunst zu finden ist, bringt mich zu der Befürchtung, dass die Leute sich Musik und mein Album angucken, es kommentieren, dass es geil ist, drei Tage später die Platte aber dann schon wieder als alt bewerten. Das ist auch für die Art der Musik, die ich mache, total unpassend. Man muss sich erlauben können, dass es zündet, muss sich hinsetzen und zuhören. Natürlich ist das jedem selbst überlassen, wie er es machen möchte, aber es schmerzt mir ein wenig auf der Seele und ist auch gegen die Art, wie ich selbst Musik konsumiere.

Accidental Bird ist ab Mitte April auf Tour. Foto: Joshua Hoffmann

Die Tour 2023: Ganz viel Accidental Bird und ein bisschen HONIG

Ein positiver Lichtblick: Mitte April startet die Tour.
Hoffentlich ist das positiv (lacht). Ich habe super Lust, wieder zu spielen. Wir haben natürlich keine Ahnung, wie sich das von HONIG auf Accidental Bird übersetzen lässt. Die erste Tour spielen wir als Trio, damit die Kosten im kontrollierbaren Rahmen sind. Martin, der Gitarrist von HONIG, ist dabei, weil wir auch schon vor HONIG eine Band zusammen hatten. Solang der Lust hat, werde ich mich immer freuen, mit ihm spielen zu dürfen. Dann brauchte ich allerdings auch jemanden für die Tasten, und Daniel, der dafür nun zuständig ist, hat mich gefunden statt ich ihn. Wir haben uns durch Zufall in einem Laden kennengelernt und damals hat er mich schon gefragt, ob ich nicht jemanden bräuchte, da stand aber die alte Band noch. Irgendwann hat er mich wieder gefragt und ich habe, weil er mir so sympathisch war, zurückgefragt, was er denn spielen könnte. Also haben wir das einfach mal zusammen probiert, haben uns in einem Park getroffen und dort gespielt. Das hat super funktioniert. Nach einmal Proben habe ich dann gesagt, dass ich mich freuen würde, wenn er dabei wäre. Es macht in dem Trio wirklich richtig Bock, wir haben uns super eingespielt. Für die Releaseparty zum Album gibt es auch Schlagzeug und Bass noch dazu. Ich würde mich so freuen, wenn so viele Leute kommen, dass wir beim nächsten Mal eine richtige Bandtour machen könnten. Die Songs funktionieren auch als Trio gut, aber als große Band ist es einfach noch besser.

Spielst du denn auf der Tour nur Songs von deinem neuen Projekt oder blickst du auch zurück?
Im Fokus steht auf jeden Fall das Accidental-Bird-Album. Dazu gibt es eine Coverversion, einen Song, der es nicht aufs Album geschafft hat – und vielleicht auch einen oder zwei HONIG-Songs… es gab auch eine Herausforderung für mich, die Songs so zu lernen, dass sie live klappen, weil ich sie ja in einer „Komm, wir machen das hier mal“-Laune aufgenommen habe. Genau dieser Prozess hat mir echt Spaß gemacht.

Du kommst ursprünglich aus der Nähe von Düsseldorf, hast dort lange gelebt, spielst ständig die wichtigsten Konzerte im Zakk – wenn die Stadt ein Song wäre, welcher wäre es?
„Killing in the Name“ von Rage Against The Machine. Einer der geilsten Momente, die ich dort erlebt habe, war auf dem „The Battle of Düsseldorf“-Konzert in der ehemaligen Philipshalle, als die Platte „The Battle of Los Angeles“ herauskam und ich gerade dorthin gezogen bin. Daran denke ich immer, wenn ich an der Halle vorbeifahre.

Das Album „The Old News Shrug“ erscheint am 21.4.
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15.4. Zakk, Düsseldorf
9.5. Pension Schmidt, Münster
28.5. Orange Blossom Special, Beverungen
2.7. Haldern Pop Bar, Rees
7.12. GTown Music Acoustic Session, Gütersloh

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