„Rapgayme“-Revolution: Kay Shanghai im Interview

Kay Shanghai besitzt einen der angesagtesten Clubs im Pott und macht nun on top Rap mit LGBTQ*-Themen. Foto: Fabien Holzer
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Kay Shanghai gehört der legendäre Club „Hotel Shanghai“ in Essen. Seit Neustem macht er Deutsch-Rap mit queeren Texten. Christopher Filipecki hat ihn getroffen.

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Kay Shanghai hat sein „Hotel Shanghai“ wieder geöffnet

Das „Hotel Shanghai“ hat wieder geöffnet. Arbeitest du nun das Wochenende durch und hast unter der Woche frei oder wie sieht aktuell eine Kay Shanghai-Woche aus?

Das war eher vorher so, dass ich die Woche über frei und viel Zeit für anderes hatte. Sowohl für persönliche Dinge als auch für die Musik. Jetzt ist wieder toughes Business. Ich merke, dass ich noch nicht ganz in der Kondition bin und bin deswegen froh, dass wir noch nicht mit voller Kapazität jeden Freitag und Samstag fahren, sondern nur die Sachen machen, die wir unbedingt wollen oder nachholen.

Beschreib den Moment, als die erste Party wieder stattfand.

Ich hatte ansonsten in 18 Jahren „Hotel Shanghai“ maximal die Sommerferien frei, da hatten wir mal geschlossen. Deswegen war ich schon nervös und gespannt zu sehen, ob die Leute nach zwei Jahren und zwei Monaten noch Bock draufhaben. Aber es war toll und hat Spaß gemacht. Wir waren ausverkauft und hatten Clueso da, der seinen Geburtstag bei uns feierte. Ich habe jedoch meine Zeit gebraucht. Ich habe anderthalb Stunden im Backstage verbracht und bin dann erst raus, um zu gucken, wie es sich anfühlt. Es war aber genauso wie vorher. Ich kann nicht leugnen, dass ich das nicht sehr vermisst habe.

„Ich habe mir aber immer gewünscht, dass diese Krise ein gewisses Bewusstsein bei den Leuten erweckt“, so Kay Shanghai.

Hattest du über das Ende des Clubs nachgedacht?

Es wäre das Einfachste gewesen zu sagen: Wir machen dicht, weil man nicht weiß, wie die Zukunft aussieht. Ich habe mir aber immer gewünscht, dass diese Krise ein gewisses Bewusstsein bei den Leuten erweckt. Ihnen zu zeigen, was unser Job bedeutet und wie hart es wäre, auf die Unterhaltungs- und Kulturszene zu verzichten. Es war schon immer ein wenig Risiko, weil man nicht vorher weiß, welche Veranstaltungen gut laufen. Wir hatten oft das Glück, dass es ausverkaufte Konzerte gab, aber auch welche, bei denen klar war, dass die eigentlich nur unser Team oder mich interessieren würden und sie beim Publikum nicht so stark ankommen. Durch Corona haben die Leute jetzt mehr Check davon, wie das alles abläuft und was dahintersteckt. Eigentlich sehe ich mich für die Neuerfindung zuständig, damit über 18 Jahre das Interesse anherrscht – dieses Mal wusste ich aber, dass das Verlangen irgendwann groß genug sein wird, überhaupt etwas machen zu können. Auch von den Kids, die vor der Schließung noch zu jung waren, aber immer mal zu uns kommen wollten.

Foto: Fabien Holzer

Irgendwer zog mal den Vergleich, das Hotel Shanghai sei das Berghain NRWs. Kompliment, Beleidigung oder völlig irrelevant?

Schwierig, weil ich noch nie im Berghain war. Aber ich glaube, wir sind im Vergleich zum Berghain nicht so thematisch festgelegt.

Erinnerst du dich noch an deine Vision von damals?

Eigentlich war es eine logische Konsequenz. Das Konzept der Veranstaltungen, wie ich sie damals in verschiedenen anderen Venues gemacht habe – das haben die nicht verstanden. Ich bin sogar teilweise von meinen eigenen Veranstaltungen entfernt worden, weil sie meine Art mit stark visuellen Sachen zu provozieren, nicht gecheckt haben. Also war da nur die Möglichkeit, das an meinem eigenen Ort zu machen, auch wenn ich niemals gedacht hätte, dass ich das dann 18 Jahre machen werde. Ich hätte mich schon gefreut, wenn ich das 18 Wochen oder 18 Monate durchgehalten hätte.

Würde Kay alles so nochmal genauso machen?

Würdest du denn mit dem Wissen von heute alles nochmal genauso machen?

Wahrscheinlich hätte ich zu viel Angst. Man muss sehr unbedarft an sowas rangehen. Ich hatte nie einen Businessplan. Jetzt weiß ich natürlich, wie das Spiel läuft. Aber vielleicht wäre ich heute einfach zu vorsichtig und würde mich etwas anderem verschreiben.

Feiern Leute heute anders als Anfang der 2000er?

Ich glaube schon. Mit dem Ganzen Hip-Hop und Trap merkt man schon, dass das eine andere Generation ist. Aber vieles im Underground wiederholt sich, wenn auch vielleicht in einer anderen Musikrichtung. Ein paar Generationen dazwischen waren echt langweilig. Gerade zu dieser Minimal- und Deep-House-Phase. Das war oft sehr unpolitisch und ganz anders zu der Zeit, als ich im autonomen Zentrum in Mülheim angefangen habe. Heute die Kids der Gen-Z sind wieder aufgeweckter, mit weichen Zäunen und weniger Schubladen.

Kay Shanghai über sein erstes Album „Haram“

In der Corona-Zeit hast du ein Album aufgenommen, „Haram“. Hat das vorher zeitlich nie gepasst?

Das kam durch meine Produzenten. Es war genau der richtige Zeitpunkt. Die ersten Tracks haben kurz vor der Krise angefangen, die habe ich auf der After-Hour am Mikro improvisiert. Wir haben das zum Spaß aufgenommen. Zwei Wochen später haben die mich aber gefragt, ob wir das nicht noch mal ernster und professioneller machen wollen. Unsere Aufnahmesessions waren immer samstagmittags. Das war am Anfang schwierig, weil ich freitags auch im Club zugegen bin, aber nicht ständig alles dann absagen wollte. Die blocken ja das Studio, Produzenten kommen. Mit denen kann ich nicht einfach so spielen und wollte es auch nicht. Aber nach der zweiten Session habe ich gemerkt, dass mir das echt gut gefällt. Dass daraus ein Album entsteht, war erst nicht geplant, ging dann aber sehr schnell. Die Idee hatte ich schon immer, ich hatte auch zur Schulzeit schon eine Band, aber es kam nie so viel rum. Ich habe mich dann eher darauf konzentriert, Kunst von Anderen zu präsentieren. Es macht aber einfach Spaß mit Freunden sowas zu schreiben. Die Jungs sind auch froh, mit mir Texte aus einer Perspektive schreiben zu können, die sie ansonsten nicht einnehmen.

Du machst Deutsch-Rap mit queeren Texten. Wie kam das in der Rap-Szene an, wie in der queeren und wie in deinem privaten Umfeld?

Mein privates Umfeld hat es als erstes gehört und die haben das sehr schnell gefeiert. Das war mir auch sehr wichtig. Die Kritiker fanden’s auch super, manche sagen gar, ich sei sexpositiv. Spannend war, dass ich mit Dagobert auf Tour war. Ich war ohne Ankündigung sein Support. Obwohl wir komplett unterschiedliche Musik machen, kam da viel krasse Resonanz. Meine ersten Shows vor so einem großen Publikum, dafür bin ich so dankbar. Dagobert hat mich da super beruhigt und ich habe nach drei oder vier Shows die Angst verloren.

Frauen können durch Erfahrungen mit toxischer Männlichkeit Songs wie „Schwänze seit der Schulzeit“ für sich annehmen, das ist super. Ich kenne das eben auch, wenn Typen zu mir sowas sagen, wie „Ich steh zwar nicht auf Männer, aber wenn, würde ich’s mit dir machen“, wo ich dann immer denke, dass ich doch nicht für jeden frei verfügbar bin. Die schwule Szene hat gemischt reagiert. Es gab auch Reaktionen, in denen gefragt wurde, warum das denn sein muss und warum ich das so nach außenkehre. Aber worüber soll ich sonst rappen? Das Schlimme ist auch, dass die Leute von einem Schwulen erwarten, dass er das und das und das macht. Ich finde es gar nicht so provokant wie viele. Vielleicht sollte ich die Hater beim nächsten Album noch ein bisschen mehr abfucken… (lacht) Mein Image ist viel aufregender als die Wahrheit.

Kay Shanghai: „Früher wäre das für mich undenkbar gewesen.“

Wenn du einen Liveslot bekommst, welchen willst du lieber – CSD Köln oder Juicy Beats?

CSD Köln. Einmal hätte ich mega Bock den ganzen Tag über auf einem Wagen „Schwänze seit der Schulzeit“ zu spielen. Juicy Beats ist, glaube ich, gar nicht so LGBTQ+ orientiert. Außerdem liebe ich den Christopher Street Day und war da mal mit einem eigenen Wagen. Es hat zwar in Strömen geregnet, war aber trotzdem richtig geil. Ich liebe das, wenn Leute die Grenzen sprengen und da auch Familien mit Kindern oder andere konventionelle Lebensformen sind, es eben ein „Plus“ gibt.

Fühltest du dich denn selbst früher durch die Heteronormativität im Rap getriggert?

Ja, früher wäre das für mich undenkbar gewesen. Es ist zum Teil immer noch homophob. Heute versucht man häufiger, es als ironisch zu verkaufen, trotzdem ist das nicht cool und nicht lustig, „Schwul“ als Schimpfwort zu benutzen. Die neue Generation hat da aber eine Awareness für und geht da mehr gegen an. Das ist gut.

Dein Instagram ist voll mit queeren, teils sexuellen Inhalten – einfach nur dein Humor oder auch ein wenig Sensibilisierung?

Beides auf jeden Fall. Ich weiß, dass Leute davon schockiert und fasziniert zugleich sind. Oft sind es einfach Memes, manchmal aber eben auch politische Sachen. Ich sehe mich zwar nicht als Aktivist, aber heute ist mein schwules Leben öffentlicher als früher. Manche Leute machen es sich nicht bewusst, was es bedeutet, nicht heteronormativ zu leben. Deswegen geht mein Herz hiermit auch nochmal raus an Transkids, die sich nicht mehr verstecken brauchen und sollen. Genießt eure Freiheit.

„Jetzt lebe ich angstfrei.“

„Doch niemand hat gelernt, in meinen Fußstapfen zu gehen“ ist ein Zitat aus deinem Track „Trigger“. Klingt nach schwieriger Vergangenheit. Auch in Bezug auf deine Sexualität?

Ich komm‘ aus Essen Borbeck. Wenn ich da früher in den Club gefahren bin, hat man sich je nach Outfit ein paar Schläge eingefangen. War vielleicht kein einfacher Weg. Es macht dich aber auch zu der Person, die du nun bist. Jetzt lebe ich angstfrei.

Hotel Shanghai seit 18 Jahren – wie sieht es in 18 Jahren aus?

Ich habe gesagt, ein Vierteljahrhundert mache ich. Das ist bald geschafft. Es gibt aber so viele Dinge, die man machen sollte und die ich ausprobieren will. Was ich in 18 Jahren bin, weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich immer noch ein wenig überfordert, weil ich mir zu viel auf den Teller schaffe. Ich liebe einfach, neue Projekte zu haben. Meine Mitarbeiter müssen mich da manchmal auch echt bremsen, weil ich mir dann überlege, noch einen Plattenladen aufzumachen zum Beispiel… aber da hab‘ ich ja noch ein bisschen Zeit für.

Foto: Fabien Holzer

Soll es auch mit der Musik weitergehen?

Ich liebe es, Underground zu sein und hatte da zwischenzeitlich sogar ein bisschen Angst, dass das Album zu poppig ist, aber bei der Thematik wird es wohl auch Underground bleiben. Wir waren letztens im Studio und ich habe ein Demo aufgenommen, was ein bisschen radikaler war. Da kam dann auch die Nachfrage: „Das willst du jetzt sagen?“. Man fängt auch erstmal die Reaktionen auf das erste Album auf, um dann diese wiederum musikalisch neu zu verarbeiten. Meine Songs sind die perfekte Symbiose zu meinem sonstigen Leben. Alles gesagt habe ich noch nicht.

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