Casper im Gespräch: „Musik war immer mein kleiner, sicherer Raum“

Foto: Landstreicher Booking
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„Alles war schön und nichts tat weh“ heißt Caspers neues Album. Sandra Heick sprach mit dem Rapper, bürgerlich Benjamin Griffey, über das Leben, die Angst und den Tod.

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Grüße an Muff Potter

Alles war schön und nichts tat weh, der Titelsong deines neuen Albums – ist das ein liebevoller Gruß an Muff Potter, Benjamin?
Ich muss ganz ehrlich sagen: Mir war nicht bewusst, dass es einen Muff-Potter-Song mit diesem Titel gibt. Ich hab‘s erst rausgefunden, als ich den Albumtitel verkündet habe und ganz viele wütende Muff-Potter-Fans geschrieben haben, dass ich geklaut habe. Liebe Grüße an dieser Stelle an Muff Potter, an alle Muff-Potter-Fans, an Nagel: Das wollte ich so nicht! Wir haben einfach das gleiche Buch gelesen, fanden das gleiche Buch schön: „Slaughterhouse Five“ von Kurt Vonnegut.

„Everything was beautiful, and nothing hurt“, schreibt er. Was dir oft wehtut, ist das Loslassen von Alben. Wie schwer war es diesmal?
Ich muss sagen, dass ich es diesmal richtig gut hingekriegt habe, nicht meinen Verstand zu verlieren, konzentriert zu Ende zu arbeiten und – Premiere – sogar Spaß daran zu haben, diese Platte zu machen.

„Was Corona Gutes mit sich gebracht hat: Entschleunigung.“ – Rapper Casper über aktuelle Umstände.

Wie hast du das geschafft?
Wir befinden uns ja in einer weltweiten Pandemie, und natürlich gibt‘s da ganz viel Schlimmes, viele Schicksale. Aber was Corona Gutes mit sich gebracht hat: Entschleunigung. Ich glaube, das hab ich gebraucht – einmal kurz absoluter Stillstand, um dann wieder richtig Bock zu haben, Musik zu machen.
Die Casper-Maschine, die rollt ja immer weiter, ob eine neue Platte ansteht oder nicht. Da sind Konzerte, Statement-Aktionen wie „Wir sind mehr“ – da ist immer Bewegung. Und plötzlich war da Ruhe und ich war nur noch Musiker. Das hatte es ganz lange nicht gegeben.

Warst du mal an dem Punkt, an dem du gedacht hast: Ich will nicht mehr. Ich verkriech mich jetzt einfach endgültig?
Diesen Punkt gab es immer mal wieder tatsächlich. Ich hab mich dann darüber geärgert, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Früher – in meiner Jugend, als ich noch jung und schön war – war die Musik meine Zuflucht. Egal was für Jobs ich hatte, was für Hochs und Tiefs das Leben mit sich brachte: Musik war immer mein kleiner sicherer Raum. Und jetzt, wo sie mein Beruf ist… Du kennst das als Journalistin ja auch, wenn da Deadlines sind: Man muss so vieles tun, was man grad nicht von Herzen tun will. Das kann runterziehen. Aber jetzt ist da zum Glück ein neuer Aufwind, eine neue Energie.

„Ich hab aus traurigen Songs immer viel Kraft ziehen können.“ – Casper rückblickend über seine eigenen Songs.

Die hört man, wenn man das neue Album hört. Und man hört auch ganz viel persönliches. Zum Beispiel den Song „Fabian“, der vom Kampf eines guten Freundes gegen Leukämie erzählt. Ich musste sofort an „Michael X“ von 2011 denken, den Song, in dem du einen Selbstmord im Freundeskreis thematisierst. Ist es am Ende nicht ein unendlicher emotionaler Kraftakt, solche Lieder live zu performen?
Ich hoffe, dass ich sehr bald erfahren darf, wie es ist, „Fabian“ live zu performen. Kulturschaffende sind ja aktuell in der Pandemie ganz schön hinten angestellt. Was ich sagen kann: Mich haben melancholische Lieder nie runtergezogen, auch in meiner Kindheit und Jugend nicht. Ich hab aus traurigen Songs immer viel Kraft ziehen können. Und das Tolle an „Fabian“ ist ja: Es fängt an wie ein Lied über einen schweren Schicksalsschlag, endet aber in einem Lied aufs Leben. Es ist im Kern ein Lied über einen tollen Freundeskreis. Deswegen freu ich mich drauf, es mit den Leuten zu teilen – grad den letzten Teil zusammen mit ihnen bei Konzerten zu singen.

Eine Stelle in dem Song ist emotional besonders heftig. Du fragst „Wie sing ich heute ‚Lang lebe der Tod‘ auf der Bühne, während der Freund gegen den Tod kämpft…
Man muss sich das mal vorstellen: Ich mache eine Platte mit dieser Zeile als Titel, gehe dann mit meinem Kumpel Marteria auf Tour – und plötzlich bekomme ich einen Anruf. Ich muss auf die Bühne und „Lang lebe der Tod“ singen, die Diagnose Leukämie meines Freundes im Kopf. In dem Moment habe ich an alles gedacht, nur nicht daran, den Tod glorifizieren zu wollen.

„Ich finde es total spannend, wie meine Werke mit mir mitwachsen.“

Ist es oft so, dass dich Songzeilen einholen?
Songs verändern sich mit der Zeit. Manche werden besser, andere schlechter. Ich finde es total spannend, wie meine Werke mit mir mitwachsen. Es ist wie mit Fotos: Du guckst dir Bilder von früher an, und bei manchen Styles, die du trägst, denkst du dir: „Wow, das ist ja wieder modern! Witzig.“ Und bei anderen denkst du dir: „Oh mein Gott, das habe ich damals angezogen?“ Jahre nach der Entstehung siehst du manche Songs wie manche Bilder dann lieber im Schuhkarton als präsent im Raum.

An welche Songs denkst du, wenn du an Songs denkst, die mit der Zeit an Bedeutung gewonnen haben?
Es geht mir mit der gesamten „Lang lebe der Tod“-Platte so. Die habe ich 2017 stressig zu Ende gebracht, angelegt als dystopische Fiktion. Und dann hab ich mir die Songs zu Lockdown-Zeiten angehört und dachte mir: Das ist ja irre, wie aktuell die Platte ist! Vor allem „Morgellon“. Ich weiß noch, wie ich damals immer wieder gefragt wurde, warum ich einen Song über Verschwörungstheorien schreibe. Und dann kam Corona.

„Ich neige dazu, Sachen zu überdenken.“

Corona hat auch viel Zeit zum Nachdenken mit sich gebracht. „Ich hab heute wieder dran gedacht, dass ich mir zu viel Gedanken mach“ ist eine Zeile des Titelsongs vom aktuellen Album. Sie sagt viel über dich aus, oder?
Auf jeden Fall, ich neige dazu, Sachen zu überdenken. Ich kann mich von der Wahl der Hafermilch in einer Abwärtsspirale bis zum Weltuntergang runterdenken – und ich glaube, dass das viele, die mental mit ungesunden Konditionen ringen, gut nachvollziehen können. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der einen Nervenzusammenbruch kriegt, wenn er vorm Reisregal steht. Gott, wie viel Reis gibt es!

Das ist ja das Schöne an Musik. Dass sie Menschen verbindet und verschiedensten Menschen verschiedenstes geben kann.
Ich höre in den Entstehungsphasen meiner Alben ja auch viel alte Musik – Steely Dan, INXS, Nick Cave etc. – und liebe es, wie sie viel später, aus dem Kontext der Zeit gerissen, neue Bedeutung bekommt und neue Kreativität entfacht.
2021 sitzt da so‘n Typ wie ich in seiner kleinen Wohnung, hört Nick Caves „Abattoir Blues“, um Erkenntnisse über sein Leben zu gewinnen und eine Platte schreiben zu können. Das ist doch ein toller Schaffensfluss.
Und du selbst willst auch unbedingt ein Teil dieses Flusses sein. Ich wünsche mir sehr, dass da in 30 Jahren ein junger Künstler oder eine junge Künstlerin sitzt und Sachen von mir findet, aus denen dann wieder was Neues entsteht.

„Michael X“, „Im Ascheregen“, „20qm“

Bleiben wir bei dem, was bleibt: Wenn du drei Songs von dir auswählen könntest, die für die Ewigkeit bleiben – welche wären das?
Auf jeden Fall „Michael X“. Dann noch „Im Ascheregen“. Und mein persönlicher Favorit ist „20 qm“. Ja… die drei, glaube ich.

Du hast dich schnell entschieden – ich hab länger nachdenken müssen…
Sag!

Auf jeden Fall „So perfekt“ und „Michael X“. Und für Song Nr. 3 auf der Ewigkeitsliste hat sich „Alles war schön und nichts tat weh“ beworben.
Es gibt ja viele casperbezogene Tätowierungen – aber es waren Wochen vor Album-Release schon hunderte mit diesem Zitat! Da denkst du dir dann schon: Vielleicht ist das einer dieser Songs, der im Lebenswerk eine zentrale Rolle haben wird rückblickend.

„Ich will schon seit langem Taxidermie lernen“ – Was macht Casper neben dem Songwriting?

Da sind Tattoos, da ist Fan-Liebe – aber da sind auch die Schattenseiten des Ruhms. „Nimm meine Schuhe, lauf ‘ne Meile darin“ heißt es in „Kein Held“ von 2008. Du siehst die Blasen am Fuß, siehst den Schmerz und die inneren Kämpfe des anderen nicht – doch statt Verstehenwollen sind da oft Hass und Missgunst. Prallen fiese Kommentare an dir ab oder ist da doch viel, das trifft?
Ich hab‘s geschafft, mir über die Jahre eine relativ dicke Haut anzulegen. Und die brauchst du, denn bei Hasskommentaren wird oft ausgeklammert, dass da reale Menschen hinter dem Bildschirm sitzen mit realen Gefühlen. Ich lese trotzdessen alles – weil es mich interessiert. Weil ich es wichtig finde, neben Lob auch Kritik an sich ran zu lassen, um am Boden der Tatsachen zu bleiben.

Um von allem was runterzieht Abstand zu nehmen, geht dein Kumpel Marteria Angeln. Du sagst oft, dass du ihn um sein Hobby beneidest, aber das Angeln einfach nicht magst. Hast du inzwischen eine Alternative gefunden?
Ich weiß, dass es ein bisschen creepy klingt – aber ich will schon seit langem Taxidermie lernen. Tiere auszustopfen. Es findet sich nur niemand, der es mir zeigt. Statt Tiere auszustopfen, habe ich dann in der Pandemie viel gekocht – und gegärtnert.

Casper (r.) mit Marteria (l.). Foto: Sandra Heick

Casper x Lena

Wilder Garten oder akkurater Rasenschnitt?
Sehr akkurater Rasenschnitt, dazu aber ein Kräutergarten, ein Gemüsebeet, Apfelbäume, Beerensträucher, Kartoffelpflanzen, … ich war echt stolz, als ich in unseren Garten gegangen bin und zum ersten Mal alles für einen Salat ernten konnte. Das macht was mit einem.

Wie wär‘s ansonsten mit Malerei? Beim Song „Lass es Rosen für mich regnen“ hast du Lena Meyer-Landrut mit ins Boot geholt – eine Kombi, bei der ich sofort an die Sendung „Durch die Nacht“ denken musste. Du hast damals, 2012, eine herzige Katze gemalt – und Lena hatte nur Sticheleien übrig…
Lena stand zu der Zeit extrem unter Druck. Sie stand sehr jung in der Öffentlichkeit, es wurde nach dem ESC-Sieg sehr viel erwartet von ihr – und sie hatte, als wir drehten, einen schlechten Tag, wie ihn jeder mal hat. Nur waren halt Kameras auf uns gerichtet. Kurz nach dem Dreh haben wir uns darüber unterhalten und alles war fein. Ich möchte auf jeden Fall eine Lanze für sie brechen: Sie musste so viel aushalten und ist trotz allem eine tolle Person heute wie damals.

„Ich musste erst lernen, besser zu kommunizieren, was geht und was nicht.“

Man muss ja auch erst lernen, im Strudel des Showgeschäfts auch mal „Stopp“ zu sagen.
Auf jeden Fall. Ich musste auch erst lernen, besser zu kommunizieren, was geht und was nicht. Wenn du neu im Geschäft bist, dann weißt du oft nicht, wo du deine Grenze ziehen darfst und taperst in manches rein, was nicht gut für dich ist. Du bist oft überarbeitet und übermüdet und machst trotzdem immer weiter. Heute weiß ich, wie wichtig Wochenenden sind.

Auch wenn vieles heller geworden ist – in „TNT“ sprichst du von einem schwarzen Loch in deinem Bauch, das die Sonne frisst.
Der Song ist entstanden, weil ich viele Freund:innen habe, denen ich oft erklären musste, wie‘s mir geht in meinen dunklen Phasen. Bis heute sind da oft Aufmunterungsversuche. Ich höre: „Der muss jetzt was Witziges erleben!“ Und ich denke mir: nee. Denn da ist dieses Loch. Es könnte die Sonne scheinen, wir könnten bei 40 Grad im Disney World Resort sein – und ich wäre trotzdem nicht glücklich in einem solchen Moment. Wobei der Versuch, mich aufzumuntern, natürlich lieb ist. Ich empfehle jedem die Serie „Kidding“ mit Jim Carrey – da schlüpft er in die Rolle eines Kinderfernsehmoderators, der in eine schwere Lebenskrise gerät. Ich hab mir oft gedacht: Genau so ist es.

Um etwas zu verstehen, braucht es manchmal Zeit – und die gibst du den Songs auf „Alles war schön und nichts tat weh“.
Ich freu mich über jeden, der sich die Zeit nimmt, das Album von vorne bis hinten zu hören. Und ja, ich weiß – was ich mache, ist nicht zeitgemäß. Lange Songs sind in diesen Tagen Luxus – und den habe ich meinen Fans zu verdanken. Dank ihnen kann ich meine Kunst so machen, wie ich will. Das ist das Größte für mich.

Der nächste geplante Casper-Termin in NRW:
16.5.22 (verschoben vom 25.3.22), FZW Dortmund

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