Mythen über Anime: Nur Klischee?

Schmuddelkram? Kinderkram? Was ist Anime denn nun? Grafik: Production I.G
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Gezeichnete Serien aus Japan – auch Anime genannt – erobern seit Jahrzehnten nach und nach die Welt. Die langen Corona-Lockdowns und der Existenzkampf der Comic-Industrie haben außerdem dazu geführt, dass viele Menschen ihren Weg in das faszinierende Medium gefunden haben. Trotzdem gibt es immer noch einige, die dem Thema Anime mit Argwohn begegnen. Das liegt sicher auch daran, dass Vorurteile sich über Dekaden in den Köpfen der Zweifler:innen festgesaugt haben. Wir werfen mal einen genauen Blick in das Universum Anime und inspizieren die gängigen Mythen.

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„Das ist doch nur Schmuddelkram“

Nur Schmuddelkram?! Excuse me? Allein das Zeichnerinnen-Quartett CLAMP bereichert die Welt seit Jahrzehnten mit zauberhaften Animes, die queer und inklusiv waren noch bevor sich der Westen Gedanken über diese Begriffe gemacht hat. Grafik: CLAMP

Ein Mythos so alt wie die Welt. Nun ja, so schlimm vielleicht nicht. Trotzdem hält sich seit Jahrzehnten das Gerücht, bei Anime würde es sich vor allem um Filme und Serien mit sexuellem Inhalt handeln. Betrachten wir das mal genauer: Was ist Anime eigentlich? Ein Genre? Nein! Es ist eine Darstellungsform, die ähnlich wie Lyrik oder Drama in der Literatur bestimmten Regeln folgt. Die Art der Darstellung sagt aber nichts über den Inhalt aus.

Springen wir nun weiter zum Genre. Anime wird von allen erdenklichen Genres durchzogen – dazu zählt auch Erotik. Bei Animes gibt es dafür sogar eigene Genrebegriffe: Hentai. Schaut man einen Hentai, hat man es mit sexuellen Inhalten zu tun. Etwas abgeschwächter ist es bei Ecchi, wo es viel nackte Haut gibt, es aber nicht unbedingt zu sexuellen Handlungen kommt. Hentai existiert im Anime neben vielen anderen Genres. Und betrachtet man die Filme und Serien, die Anime weltweit bekannt gemacht haben, so ist nichts davon ein Hentai. Wir reden hier von Animations-Meilensteinen wie “Akira” (1988), “Ghost in the Shell” (1995), “Die letzten Glühwürmchen” (1988) oder “Perfect Blue” (1997).

Wer auf Anime wegen Schmuddel-Vorurteilen verzichtet, dem entgeht die unglaubliche Schönheit des Mediums. Grafik: Makoto Shinkai/ CoMix Wave Films

Fraglos hat Hentai eine bestimmte Zielgruppe. Die schauen aber wahrscheinlich auch “Nymphomaniac”, “365 Days” und “Feuchtgebiete” – es ist also nicht so, dass unsere westliche Filmlandschaft zartbesaitet wäre. Anime also nur auf Hentai zu reduzieren, sollte in die Vergangenheit gehören.

„Die haben immer so dicke Brüste im Anime“

Es geht schlüpfrig weiter. Anime und große Boobies scheinen fest zusammenzugehören. Wieder nur Klischee? Nicht ganz. Es gibt zahlreiche Anime, die weder Hentai noch Ecchi sind und trotzdem viele  weibliche Figuren mit großen Brüsten beinhalten. Häufig schwingt die westliche Welt deswegen gegen Animes die Sexismus-Keule. Bleiben wir doch mal ganz entspannt.

Faye Valentine aus „Cowboy Bebop“ ist eine Femme Fatale und clevere Überlebenskünstlerin – ihre Freizügigkeit gehört dazu. Wer sie deswegen unterschützt, hat ihre Figur ebenso wenig verstanden wie die Macher: innen der Netflix-Adaption. Grafik: Shin’ichirō Watanabe/Sunrise/Bones/Bandai Visuals

Große Brüste sind erst einmal überhaupt nichts Schlimmes. Und vergessen wir nicht: Die Brüste sind gezeichnet. Hier muss sich keine echte Frau unters Messer legen, um ihre Oberweite in zwei Heißluftballons zu verwandeln. Was im Anime auch auffällig ist: Häufiger sind die Proportionen so unrealistisch, dass dahinter ein deutliches Augenzwinkern auszumachen ist. Klar ist: Das ist Fiktion und kein Körperbau, den man ernsthaft von einer echten Frau erwartet.

Also überall dicke Boobies? Nein, natürlich nicht. Stört einen die Oberweite der Figuren, macht man einen der zigtausenden Animes an, wo die Proportionen ganz normal sind. Allerdings noch ein kleiner Tipp: Die Figur sollte nur aufgrund ihrer Oberweite nicht direkt abgewertet werden. So könnten einem nämlich viele großartige weibliche Figuren entgehen.

„Mir gefallen die großen Augen nicht“

Anime-Figuren und ihre großen Augen. Da in Japan das westliche Aussehen ein Schönheitsideal ist, wurde manchmal über das Ziel hinausgeschossen. Der „typische Anime-Look“ wurde in den 70ern durch die Serie „Heidi“ (1974) in Deutschland geprägt. Es folgten die populären Titel der späten 80er und 90er wie „Sailor Moon“ (1992), „Mila Superstar“ (1969) und „Dragon Ball“ (1984).

In den frühen 2000ern strahlte RTL II den Anime „Jeanne, die Kamikaze-Diebin“ (1999) aus. Das Manga von der Zeichnerin Arina Tanemura avancierte zu einem großen Hit in Japan (später auch in Deutschland) und begründete vor allem im Romance-Bereich einen Stil besonders großer und detailreicher Augen, den viele Manga-Schaffende imitierten.

Ein Meisterwerk der Animationskunst und zeitloser Klassiker: Akira. Die typischen „Anime-Augen“ wird man hier nicht finden. Foto: Katsuhiro Otomo/Tōkyō Movie Shinsha

Also ja, große Augen sind in Animes nicht selten, aber auch nicht ausschließlich. Letzten Endes bestimmt der Zeichenstil des Manga-Zeichners oder der Zeichnerin, auf dem der Anime basiert, den Stil des Endprodukts (sofern kein Original-Anime ohne Vorlage). Mag man es realistischer, gibt es auch viele Werke, wo auf zu große Augen verzichtet wird. Dazu zählen die Titel des leider verstorbenen Regisseurs Satoshi Kon oder Filme wie „Jin-Roh“ (1999) und „Memories“ (1995). Als Serie kann man sich das zeitlose Meisterwerk „Cowboy Bebop“ (1998), „Vinland Saga“ (2005) oder „Parasyte: The Maxim“ (2014) zu Gemüte führen.

„Anime? Alles nur Kinderkram“

Du lieber Himmel, nein! Setzt um Gottes Willen keine Kinder vor den Fernseher, nur weil etwas gezeichnet ist. Bei vielen Animes kann man anhand der Optik unmöglich auf den Inhalt schließen. Der Anblick niedlicher oder kindlicher Figuren schützt nicht davor, in einem heftigen Horror-Titel zu landen.

Krassen Gore zeigen wir hier besser nicht. Dafür aber „Vampire Hunter D“, ein düsterer Anime-Vampirklassiker, der Blut und Gewalt wie Kunst erscheinen lässt. Grafik: Madhouse

Reden wir mal Tacheles. Vor allem in den 80er- und 90er-Jahren entstand die Hochzeit des Horrors im Anime. Wo reale Produktion auf technische Grenzen trafen, tobte sich Japan mit dem Stift aus. Daraus entstanden zahlreiche Titel mit extremen Gore-Faktor. Vieles davon erreichte Europa nie, dafür war es noch zu früh. Liebhaber:innen haben diese blutigen Schätze aber im Nachhinein entdeckt, sodass innerhalb der Community einige Anime großen Kultstatus erlangten. Manche Titel waren sogar Jahrzehnte lang weltweit indiziert – auch in Japan! Dazu gehört „Kite“ (1998) oder der Trauma-Garant „Midori – Das Kamelienmädchen“ (1984). Und bitte – guckt die nicht. Ihr geht nicht glücklich aus der Erfahrung und die Bilder brennen sich trotzdem ewig ins Hirn.

Unabhängig von diesen magenunfreundlichen Titeln, überzeugen Animes auch durch ungewöhnliche und avantgardistische Produktionen, die vor allem für Denker:innen und Philosoph:innen reichhaltiges Futter bieten – oder eben jenen, die sich nach einer neuen Seherfahrung sehnen. Bei Interesse checkt doch mal „Texhnolyze“ (2004), „Wolf’s Rain“ (2003) „Angel’s Egg“ (1985), „5 Centimeter per Second“ (2007), „Metropolis“ (2001) oder „Maquia“ (2018).

„Animes sind unfreundlich für Einsteiger“

Nun ja: You got a point. Tatsächlich ist für absolute Laien der Einstieg nicht unbedingt einfach, sofern man ihn alleine bestreiten will. So manche Tücken lauern auf dem Weg zum Fan. Gibt man sich naiv den populären Titeln wie „One Piece“ oder „Naruto“ hin, wird man von einer unglaublichen Anzahl von 500 bis 1000+ Folgen erschlagen. Nicht unbedingt also eine Erfahrung zum „snacken“.

Scrollt man einfach mal munter durch irgendwelche Titel und geht nach der Optik, kann man in so manch fragwürdigem Genre oder Inhalt landen. Animes können außerdem durchaus eine sehr ikonische, „exzentrische“ Bild- und Zeichensprache aufweisen, die Anfänger:innen womöglich überfordern.

„Fullmetal Alchemist: Brotherhood“ ist einfach ein sauguter Anime. Dementsprechend dominiert er Toplists auf Anime-Seiten. An die Newcomer: Vertraut den Rankings! Grafik: Bones

Wie steigt man also ein, wenn man sich Anime nähern will? Tipps von Leuten aus dem Umfeld sind grundsätzlich hilfreich, sofern dort jemand vorhanden ist, der sich auskennt. Dabei sollten die Tippgebenden nicht davon ausgehen, was sie selbst toll finden, sondern was euch gefallen und euren Geschmack treffen könnte. Doch was tun, wenn da kein Pro im Umfeld zu finden ist? Hier die gute Nachricht: Vertraut auf Bewertungen. Beispielsweise auf anisearch.de könnt ihr euch die Titel mit den besten Bewertungen anzeigen lassen.

Der Spitzenreiter hockt dort übrigens unangefochten seit über einem Jahrzehnt: „Fullmetal Alchemist: Brotherhood“ (2009). Ihr bekommt also nicht einfach nur die aktuellen Trendtitel aufgetischt, sondern tatsächlich Animes, die was draufhaben. Klickt ihr dann einen Titel an, könnt ihr zusätzlich die Haupt-, Nebengenres und Tags checken, die den Vibe des Anime sehr genau wiedergeben.

Eine weitere gute Neuigkeit gibt es für Einsteiger:innen noch: Neben Dauerläufern wie „One Piece“ oder „Detective Conan“ gibt es viele abgeschlossene Serien zwischen 12 bis 64 Episoden, die sich super zum wegsnacken eignen. Gefällt ein Titel am Ende doch nicht, hat man nicht viel Zeit geopfert. Also traut euch, begebt euch ins Anime-Wunderland und entdeckt das Fantastische darin, das Millionen Menschen weltweit seit Jahrzehnten fesselt.

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