Mine im Gespräch: „Für mich ist Schreiben immer ein wenig wie Therapie“

Christopher Filipecki hat mit Mine über ihr Album "Hinüber" und die bevorstehende Tour gesprochen. ©Simon Hegenberg
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Seit 2013 macht die Wahl-Berlinerin Mine Musik und hat sich seitdem eine große Fanbase erarbeitet. Christopher Filipecki sprach mit ihr über das Komponieren, ihre Tour und mehr.

Letztes Jahr veröffentlichst du dein Album „Hinüber“ während einer bundesweiten Ausgangssperre, dieses Jahr gehst du zu den politisch unsichersten Zeiten auf Tour. Wie fühlst du dich damit? 
Es ist irgendwie ein total seltsames, zwiegespaltenes Gefühl. Meine Band und ich sind mega hyped und freuen uns krank auf die Bühne, weil es so lange her ist und wir noch nie so wenig Gigs gespielt haben wie in den letzten zwei Jahren – gleichzeitig hat man aber das absurde Gefühl, es wäre nicht der richtige Zeitpunkt auf Tour zu gehen, weil es wirklich Wichtigeres gäbe. Andererseits denke ich mir aber auch: „Was soll man sonst machen?“. Es ist unser Job und wir sind kulturelle, emotionale Wesen, die das brauchen. Die Welt hält trotz des Gefühls nicht an.

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Mine: „Flexibel zu sein ist schwierig, sobald man ein Team hat, das man auch bezahlen will.“

Wie ist es generell, wenn man bis zur letzten Minute nicht weiß, ob irgendetwas stattfindet? Bist du da schon so eingegroovt, dass nötige Flexibilität kein Thema mehr ist? 
Flexibel zu sein ist schwierig, sobald man ein Team hat, das man auch bezahlen will. Spontane Absagen sind nicht immer möglich, da braucht man einen Plan B. Woran ich mich aber traurigerweise gewöhnt habe, ist an Dinge, auf die man sich freut und die dann nicht stattfinden. Deswegen gehe ich mit meiner Vorfreude etwas vorsichtig um. Dieses Mal können wir aber zum ersten Mal sehr sicher sein. Es ist wirklich unwahrscheinlich, dass die Tour nicht stattfinden darf, deswegen explodieren wir innerlich vor Freude.

„Hinüber“ hat für dich den bisher höchsten Platz in den Charts geschafft und viele tolle Kritiken erhalten. Konntest du das während des Lockdowns im letzten Frühjahr überhaupt feiern? 
Auf Charts lege ich gar nicht so viel wert. Ich bin zwar jedes Mal aufs Neue überrascht, dass es Menschen gibt, die dafür Geld und Zeit investieren und es geil finden, aber das kommt eher on top. Für mich bereitet das Abschließen des Albums am meisten Freude, lang bevor es veröffentlicht wird und dann der Moment des Herausbringens. Der Erfolg ist nicht so wichtig. Aber es ist schön zu sehen, dass ich dadurch immer mehr Möglichkeit habe, Ideen umzusetzen und das Projekt auszubauen. Ich habe bei der Tour das erste Mal ein Bühnenbild und das Beste: Ich kann die Gang, die schon seit Ewigkeiten mit am Start ist, besser bezahlen. Manche von denen haben am Anfang für ‘nen Fuffi gespielt. Das macht mich nach zehn Jahren nun sehr stolz, da mehr machen zu können.

Heißt, dass es langsam mehr wurde, kommt dir auch eher entgegen, als wenn es von Null auf Hundert sofort durch die Decke gegangen wäre? 
Sagen wir: Es ist durch Handwerk langsam gewachsen. Das ist auch ein Wachstum, das sich für mich gesünder anfühlt, weil es dadurch nicht so eine Fallhöhe hat. Projekte, die schnell groß werden, können auch schnell wieder im Nichts versinken. Ich glaube aber, dass ich zumindest die nächsten fünf Jahre erstmal nichts anderes machen brauche neben der Musik. Das ist ein schönes Gefühl.

…und alles andere als selbstverständlich in der jetzigen Zeit. 
Voll. Es ist so krass, dass gerade die Künstlerinnen und Künstler, die nicht so erfolgreich sind, jetzt am meisten hustlen. Die oberen Paar kommen safe durch. Ich bin zwar nicht eine von den Oberen, aber zumindest so lange am Start, dass ich nicht mega Angst haben muss. Aber 90 Prozent der Kulturlandschaft und somit die, die unsere Kulturlandschaft ausmachen, strugglen am meisten.

Mine, es gab schon viele schöne Features. Sowohl du bei anderen als auch sie bei dir. Wie sucht ihr euch aus? Schlägt man dir die Leute vor? Hast du eine Feature-Anekdote? 
Mir wird nie jemand vorgeschlagen. Es ist meistens so, dass man sich persönlich kennt und man mal was zusammen machen will, oder ich die Leute musikalisch feiere. Der Großteil kam auch, weil ich angefragt habe und nicht ich angefragt worden bin. Ich bin so ein euphorischer Mensch. Wenn ich was geil finde, habe ich sofort das Handy in der Hand und gucke, ob ich da irgendwie einen Kontakt aufbauen kann, um zusammen was zu schreiben, weil mich das auch oft total weiterbringt. Und eine lustige Geschichte war mit Crack Ignaz. Ich habe getwittert: „Oh, Crack Ignaz folgt mir, jetzt muss ich mich aber zusammenreißen“, daraufhin kam von ihm: „Oh, Mine folgt mir, jetzt müssen wir ein Feature machen“. Das war eine Woche vor Albumabgabe und ich hatte zufälligerweise noch einen Song, bei dem ich dachte, dass etwas fehlt. Dann hat er innerhalb kürzester Zeit was gedroppt und es kam gerade noch so aufs Album.

Du hast als eine der wenigen im Pop-Bereich auch Komposition, Produktion und Gesang studiert. Danger Dan zum Beispiel ist ein riesiger Fan deines Könnens. Setzt dich das unter Druck oder siehst du es als Kompliment? 
Ich habe immer das Gefühl, die Leute überschätzen mich total. Gerade die Künstlerinnen und Künstler, die Kunst machen, aber es nicht im Studium gelernt haben, denken dann immer „Wow, krass! Die kann Noten lesen!“. Aber für mich ist da kein Unterschied. Es ist einfach nur, dass ich das eben in der Uni kurz gelernt habe, aber das macht mich zu keiner besseren Musikerin. Danger Dan ist da ein super Beispiel – krassester Pianist, der keine Noten lesen kann. Das finde ich dann beeindruckend, weil ich gar nicht weiß, wie das geht und es somit nur zurückgeben möchte. Die Leute denken manchmal, dass ich das voll gut kann, aber eigentlich ist das nicht so. Ich mache es einfach. Wenn ein Arrangeur, der das hauptberuflich fürs Orchester macht, sich meine Arrangements anguckt, würde der das als dilettantisch bezeichnen. Ich habe nur keine Angst davor, dass es nicht perfekt ist.

Raubt dir dein Theoriewissen denn manchmal deine Leichtigkeit oder siehst du nur Vorteile? 
Wichtig ist, dass wenn man ein theoretisches Wissen hat, man es auch ablegen kann und die Musik dadurch nicht komplexer sein muss. Ich gehe total emotional ans Songwriting. Wenn ein Song vier Akkorde hat, dann hat der halt vier Akkorde. Für mich braucht es, nur weil ich Jazz studiert habe, keinen Fünfklang. In einfachen Dingen etwas Komplexes reinzuballern, würde es total verhunzen. Man sollte sein Wissen nutzen, um schneller ans Ziel zu kommen, aber nicht damit schreiben. Am Ende eines Schreibprozesses setze ich mich hin, gucke, was herausgekommen ist und schreibe dann manchmal noch ein paar Streicher dazu. Ich nutze es also mehr für andere Dinge.

Letztes Jahr im April gab es für dich den Deutschen Musikautorenpreis. Konntest du den entgegennehmen und dich darüber freuen oder war das mehr nebensächlich? 
Für mich persönlich war das die krasseste Ehre. Ich weiß gar nicht, wer das überhaupt mitbekommen hat, weil ich immer dachte, dass der Preis etwas untergeht. Annette und Inga Humpe haben mir dann aber einen Brief geschrieben und mir dazu gratuliert, das war unglaublich. Mir ist Songwriting das Wichtigste, ich schreibe alles allein in meinem kleinen Kabuff. Zu dem Zeitpunkt war aber nicht nur Corona, sondern ich war noch schwanger, somit konnte ich auch nichts trinken und war in Sachen Feiern total off.

Warum Mines Song „Unfall“ erschreckend aktuell ist

Ein Zitat aus deinem Song „Unfall“ vom aktuellen Album: „Die Welt ist ein Unfall. Wo soll ich anfangen? Die Welt brennt!“. Das kommt ein Jahr nach der Veröffentlichung nochmal heftiger, oder? 
Ich fühle es mindestens genauso, wenn nicht noch mehr, ja. Ich dachte eigentlich schon vor Corona „Oh Gott!“, wegen der Klimakrise zum Beispiel. Dann kam Corona und ich dachte „Das jetzt noch on top? Wow!“. Durch den Krieg in der Ukraine nun habe ich das Gefühl, ich bin in einer Starre, als ob einen schon nichts mehr schocken könnte. Ich weiß gar nicht, wo das noch hinführen soll. Gefühlt ging es die letzten zehn Jahre dauerhaft bergab.

Deswegen kommen wir lieber zu einem schöneren Gefühl. Dein Song „Mein Herz“ ist eine sehr feinfühlige Beschreibung für Liebeskummer. Findest du, dass Liebe hilflos macht? Wie rettest du dich in schweren Phasen? 
Liebe macht auch hilflos, aber Liebe macht auch, dass man viel, viel mehr überwinden kann. Ich habe den Song für eine Freundin geschrieben. Dabei ging es also gar nicht um eine Liebesbeziehung, auch wenn Freundschaft eine Form von Liebe ist. Ich war mega heartbroken, traurig und sauer. Alles gleichzeitig wie beim klassischen Liebeskummer. Wir haben aber wieder zueinander gefunden.

Ich bin ein Mensch, der, wenn er Liebeskummer hat, dann richtig. Dann bin ich auch der Typ, der sich mit sehr viel Eiscreme auf dem Sofa einrichtet und extrem leidet. Ich bin sowieso ein sehr fühlender Mensch und habe das manchmal gar nicht unter Kontrolle. Wenn ich drin bin, möchte ich, dass es aufhört, weil es ein unaushaltbarer Schmerz ist. Für mich ist genau dann oft der einzige Ausweg, zu schreiben. Ich setze mich hin und schreibe Songs, von denen ich in dem Moment denke, dass ich sie niemals veröffentliche, weil es viel zu privat ist und es niemanden was angeht. Am Ende bringe ich sie dann aber doch raus.

Schaut man sich mal deine Musikvideos an oder hört dein Album aufmerksam, bemerkt man schnell große Detailverliebtheit und einen hohen künstlerischen Aufwand. Untypisch in Zeiten, in denen es eigentlich nur um Klicks bei Spotify gibt. Dir ist das wohl eher egal, oder? 
Ehrlich gesagt, ist mir das wirklich völlig egal. Der Erfolg spielt für mich keine so große Rolle. Als ich mit dem Projekt angefangen habe, habe ich gedacht, dass ich das eh niemals beruflich mache. Ich wollte eine Gesangsschule aufmachen und mir damit meine eigenen Aufnahmen finanzieren, genau so, wie ich sie mag und sie dann einfach herausbringen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich damit meine Miete bezahlen kann.

Ich mag diese künstlerische Freiheit aber und brauche sie auch. Sonst würde es mich nicht mehr glücklich machen. Wenn ich darüber nachdenken müsste, wie ich den Leuten gefallen oder einen gewissen Erfolg halten könnte, wäre ich viel zu unfrei und der Spaß wäre weg. Für mich ist Schreiben immer ein wenig wie Therapie und Loswerden von zu viel Energie. Wäre also ein Anspruch da, etwas zu erfüllen, wäre die Freiheit nicht mehr da und es wäre nur noch ein Job. Genau das will ich nicht. Dann würde ich sogar eher aufhören. Wenn ich mit anderen Kolleg:innen spreche, merke ich, dass die unter einem enormen Druck stehen – den fühle ich aber ganz selten zum Glück.

„Ich liebe einfach diese große künstlerische Freiheit.“ – Mine im Interview mit Christopher Filipecki. Foto: Simon Hegenberg

Mine über ihre Tour 2022: „Ich freue mich, die neuen Songs endlich mal zu spielen!“

Ende April geht endlich deine Tour los. Worauf freust du dich besonders, Mine? 
Ich freue mich auf ganz viel und bin ganz aufgeregt. Am meisten freue ich mich, dass wir erstmalig ein Bühnenbild haben, das ich mit zwei Bühnenbildnerinnen entwickelt habe. Außerdem freue ich mich, die neuen Songs endlich mal zu spielen. Auf einigen Festivals haben wir zumindest ein paar Songs gespielt, aber noch nicht in der Gänze. Das Wichtigste ist aber, meine Gang wiederzusehen und mit ihnen in den Tourbus zu hüpfen. Wir sind voll die Family. Normalerweise verbringt man so viel Zeit miteinander und ist so eng, das hat mir schon sehr gefehlt.

Deine Fans konnten nun die Songs schon ein Jahr hören. Vorteil oder Nachteil? 
Für mich persönlich ist es eher ein Nachteil, weil ich im Kopf schon weiter bin und fürs nächste Album schreibe. Ich muss da also neureinfinden, kann aber die Songs auch wieder neuentdecken. Beim Publikum habe ich gar keine richtige Meinung, wahrscheinlich gibt es da beide Meinungen. Bei manchen könnte ich mir vorstellen, dass sie das Konzert schon gar nicht mehr sehen wollen, weil sie von dem Album keinen Hype mehr spüren, andere haben aber ewig drauf gewartet und nun noch mehr Bock. Da ist bestimmt alles dabei.

Dann nenn mir doch mal gern das, wo dein Herz am ehesten aufgeht: Der Gedanke ans erste Konzert? Eine bestimmte Stadt oder Location? Oder doch ein bestimmter Song? 
Gute Frage. Ich freue mich auf die Umsetzung der ersten beiden Songs, weil ich mir da showmäßig etwas ausgedacht habe, was ich hier aber noch nicht verrate. Eine Stadt kann ich gar nicht sagen, weil jede Stadt einen anderen Vibe hat. Jede Stadt hat ihr geiles Gefühl. Köln ist zum Beispiel immer super offen, Berlin eher zurückhaltend, aber dafür sind dort viele meiner Freunde. Meine Lieblingslocation ist die Alte Feuerwache in Mannheim, da ist unser fester Tontechniker der Haustechniker und wir proben dort sogar. Da fühle ich mich sehr zuhause. Vor dem ersten Konzert – das ist in Braunschweig – habe ich eher Angst, weil ich ein Lampenfiebertyp bin und noch nicht weiß, wie schlimm es wird. Mir wird dann teilweise richtig übel, auch wenn ich Bock habe. Leider habe ich noch nichts gefunden, was gegen Lampenfieber hilft. Autogenes Training hat nichts gebracht, ich trinke dann eher einen Weißwein.

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