Wenn Coldplay Konzerte ankündigen, bleibt für sehr viele Fans für ein paar Sekunden die Welt stehen – Herzrasen vor Freude, dass man endlich wieder eine dieser fulminanten Shows erleben darf, aber auch Herzrasen vor Angst, keine Tickets zu bekommen. Denn auch wenn Chris Martin und seine Band die Ersten sind, die die Merkur Spiel-Arena in Düsseldorf auf einer Tour gleich dreimal vollkriegen, reichen auch diese Plätze noch längst nicht. Wir waren für euch bei der ersten Deutschland-Show seit zwei Jahren.
Vom Indie-Rock zum globalen Phänomen
Wahnsinnig selten schaffen es Bands aus dem Indie- und Alternative-Genre in den Mainstream. Als Coldplay kurz nach dem Millennium ihr Debütalbum „Parachutes“ veröffentlichen, bekommt es auf Anhieb sehr gute Kritiken, ist aber doch eindeutig für Liebhaber:innen aus der Singer/Songwriter- und Dream-Rock-Ecke. Die Nachfolger „A Rush of Blood to the Head“ und „X&Y“ sind ebenso Millionenseller, funktionieren aber zumindest bei uns in Deutschland meist nur als Album, weniger als Single oder in den Radios.
Doch 2008 dreht sich das Blatt, „Viva la Vida“ wird ein Hit, der selbst 2024 immer noch überall zu hören ist und präsentiert den Grundstein der zweiten, noch viel größeren Coldplay-Ära: Man wagt den Sprung in die größten Konzertarenen, verkauft sie alle aus und wird die Neudefiniton von „Stadionhymnen“. Das Ganze gipfelt in der ersten Verwendung der Xylobands zur Tour zum Album „Mylo Xyloto“ in 2012 – Fans bekommen bei den Konzerten Leuchtarmbänder, die ferngesteuert in den buntesten Farben scheinen und eine riesige Lichtchoreografie passend zur Musik bilden. Coldplay und ihre Konzerte bekommen ein Alleinstellungsmerkmal.
Coldplay in Düsseldorf: Eine Tour, die vier Kontinente gesehen hat
Und dieser Wow-Effekt, der durch die Armbänder bei einem Coldplay-Konzert entsteht, hat sich herumgesprochen. Aus Hallen werden Stadien, aus vielen Fans unzählbare Menschenmengen. Coldplay haben sich mit ihren funkelnden Farbenspielen in die Riege der ganz großen Liveacts gespielt, über die alle reden. Beyoncé, Lady Gaga, Pink, Sam Smith sind alles Künstler:innen, bei denen man sich danach erzählt, wie sensationell die Show war – und genauso ist es seit vielen Jahren auch bei Coldplay.
Wer dabei sein möchte, braucht Geduld, Geld und Glück. Günstig ist der Spaß nicht, trotzdem möchten alle an ihm teilhaben. Fans klagen bei den Vorverkäufen zur aktuellen Tour „Music of the Spheres“ – passend zum gleichnamigen Album, das bereits im Oktober 2021 erschien – über elendig lange Wartezeiten, um dann final doch zu erfahren, dass schon längst alle Tickets weg sind. 7,6 Millionen Menschen sahen und sehen zwischen März 2022 und November 2024 die Shows der Tour, die in ganz Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Ozeanien hält. Schon im Sommer vor zwei Jahren fanden je drei Gigs in Frankfurt und Berlin statt, 2024 folgt aber auch endlich NRW. Dreimal ist die Merkur Spiel-Arena voll, im August wird dreimal das Olympiastadion in München als letzter Halt Deutschlands gefüllt sein.
Erst zwei Voracts, dann Regen und Blitze
Wenn selbst 177 Auftritte weltweit längst nicht genügen, wird man wirklich neugierig, woran das denn nun liegt. Der 20.7., ein Samstag, ist in vielerlei Hinsicht eine echte Herausforderung. Auch Chris Martin, der 47-jährige Frontmann der Band, spricht seinen Respekt sowie seine Dankbarkeit gegenüber den Fans aus, die vor dem Einlass unzählige Stunden bei 32 Grad in wirklich schwer auszuhaltender Hitze verharren. Gegen 17 Uhr folgt die Erlösung – vermeintlich.
Schnell füllen sich die Ränge sowie der in drei Bereiche aufgeteilte Innenraum rund um den meterlangen Steg und der Extrabühne, die nur ein paar Meter vor der Tribüne gegenüber der Mainstage aufgebaut ist. Das Dach des Stadions, das ansonsten Fortuna Düsseldorf beheimatet, ist geöffnet, ein wenig schattig ist es aber zum Glück nun für die über 50.000 Menschen auch.
Schon um 18:45 Uhr spielt für fast eine halbe Stunde die ehemalige „The Voice Kids“-Teilnehmerin Zoe Wees. Die mittlerweile 22-jährige Hamburgerin zeigt ihren facettenreichen Soul- und Dance-Pop sowie ihre äußerst international klingende Stimme, die schnell in den Bann zieht. Ihr Hit „Control“, der zu Corona-Zeiten durch die Decke ging, wird von vielen im Publikum mitgesungen. Um 19:50 Uhr folgt für einen Block von 40 Minuten Janelle Monáe. Die non-binäre Künstlerin aus den USA ist in ihrer Heimat längst ein Superstar, veröffentlicht Musik seit 2010 und ist auch durch ihre Filmrollen in „Hidden Figures“ oder „Glass Onion: A Knives Out Mystery“ in Hollywood ein Name. Ihr Auftritt erinnert an die Energie von Beyoncé. Sie wechselt sogar mehrfach ihr Outfit, spielt Instrumente und zeigt in einer Choreo, dass sie sogar Michael Jacksons Moonwalk draufhat.
Endlich soll das Warten ein Ende haben. Coldplay sollen um 21 Uhr auf der Bühne stehen. Das Event, auf das so viele so lange hingefiebert haben, kann beginnen – doch exakt eine Minute vor dem geplanten Start sind es nicht mehr nur dunkle Wolken am Himmel. Es regnet. Und zwar richtig. Dazu Blitze und Donner. Sofort verlassen zig Fans den Innenraum, um sich im Stadion zu schützen. Bestürzte Gesichter überall, denn gerade sieht es so aus, als ob das Konzert abgesagt werden muss.
Chris Martin strotzt dem Regen
Doch stattdessen geht es nur wenige Minuten später los. So, als wäre nichts. Zwei Asiatinnen begrüßen das Publikum und weisen auf die unzähligen Hilfsprojekte hin, die man automatisch durch den Ticketkauf unterstützt, zum Beispiel das Säubern der Meere. Einige Fans haben schon im Vorprogramm Energie produziert, indem sie auf Podesten getanzt haben und gesprungen sind. Diese Energie wird bei einem der nächsten Konzerte genutzt, um Strom zu sparen. Die bereits erwähnten Leuchtarmbänder werden recycelt. Es gibt sogar einen Wettbewerb, denn in manchen Städten haben gleich 97 Prozent der Besucher:innen am Ausgang ihr Band zurückgegeben – ob Düsseldorf das toppt, erfährt man die Tage.
Um 21:09 Uhr sieht man über die riesigen, runden Leinwände, wie Chris Martin sowie Jonny Buckland (Gitarre), Will Champion (Schlagzeug) und Guy Berryman (Bass) – bis heute die Originalbesetzung – aus dem Backstage in den Innenraum laufen. Sie wandern direkt hinter der Absperrung an den vordersten Fans vorbei und kommen am Ende des Stegs die Treppen hoch. Der gesamte Boden ist nass, eigentlich hat man schon in den ersten Sekunden Angst, dass irgendwer sich hier ordentlich langlegt.
Doch ein Glück bleiben die 115 Minuten Show unfallfrei. Sänger Chris Martin dreht stattdessen sogar nochmal mehr auf. Er küsst den glitschigen Boden, tanzt wild, springt und zeigt auch im Regen durchtränkten Shirt, wie gut er drauf ist. Er bedankt sich, dass alle sich diesen irren Ritt überhaupt antun. Im letzten Block nimmt er sich sogar mehrere Leute persönlich vor. Kameras suchen auffällige Leute aus dem Publikum aus, zeigt sie auf Leinwand und Chris singt für sie ein spontan gedichtetes, oft auch ironisch-witziges Ständchen. So geht Fannähe.
Coldplay in Düsseldorf: 21 Songs, Zigtausende Lichter, Konfettibomben & Feuerwerk
Die fast zwei Stunden sind übersät mit magischen Bildern. Wenn direkt beim Opener „Higher Power“ – kein Witz, passender geht’s wohl nicht – die Armbänder erstmalig aufblinken, ist das ein total beeindruckender Moment. Eine besondere Idee, da so jede:r Besucher:in ein Teil des Ganzen wird. Ferngesteuert leuchten die Armbänder in unterschiedlichen Farben, oft sogar so, als ob sie durch die Ränge fliegen. Da gibt mal ganz schnelle Bewegung, dann wieder ruhigere oder wellenförmige. „Yellow“, einer der ältesten Hits, ist selbstverständlich komplett in Gelb gehalten, „Clocks“ hingegen in Grün. In so vielen Momenten weiß man gar nicht, wo man hinschauen soll, weil einfach überall etwas passiert.
Wetterbedingt gibt es ein paar kleinere Technikprobleme, die sich jedoch in Grenzen halten. Manchmal dauert der Übergang zum nächsten Song einige Sekunden länger, sodass es still und dunkel ist. Auffälliger sind einige Aussetzer in der Musik, sodass der Backingtrack – der Teil der Musik, der vom Band kommt, zum Beispiel manche Beats – hin und wieder verzerrt. Das passiert aber vielleicht fünfmal. Chris Martin probiert, sich zu konzentrieren, hatte gesanglich aber auch schon mal einen besseren Tag. Verübeln kann man es ihm nicht, ist er eben damit beschäftigt, zu hoffen, dass überhaupt alles klappt und er nicht ausrutscht.
Viele „Ohohos“ wie in „Viva la Vida“ und „Paradise“ hallen durch die Merkur Spiel-Arena. Bei „People of the Pride“ hält die Band Fahnen der queeren Community hoch, passend zum CSD-Wochenende, das parallel in Köln stattfindet. Bei „Infinity Sign“ trägt die Band Alienköpfe und Printshirts mit „Everyone is an Alien Somewhere“. Schon lange sind Coldplay auch für ihre politischen Aussagen und Aktionen bekannt, was mit viel Applaus gewürdigt wird. Zu „Everglow“, das der gerade erst in NRW aufgetretenen Taylor Swift gewidmet ist, holt Chris Martin einen Fan auf die Bühne, mit dem er sich gemeinsam ans Piano setzt und ihm einen „Once in a lifetime“-Moment beschert.
„A Sky Full of Stars“ im Hier und Jetzt – ohne Handys
In der zweiten Konzerthälfte wird es trockener. Doch dann der nächste Schreck: Bei der EDM-Hymne „A Sky Full of Stars“ bricht Chris völlig überraschend nach einigen Takten den Song ab. Er sagt „Auf Wiedersehen“, was sich aber als „britischer Witz“ herausstellt, wie er sagt. Er und die Jungs möchten das Lied erneut starten, allerdings wünschen sie sich, dass alle für diesen einen Track ihre Handys in die Tasche packen und stattdessen alle Arme nach oben reißen. Der Rest darf gern gefilmt werden, aber jetzt soll es einmal nur den Moment geben. Das wird von fast allen Zuschauer:innen gern befolgt – bis auf die letzten Sekunden, denn dann geht ein äußerst schönes Feuerwerk los, und das möchten sie doch alle auf Insta posten. Wegen dieser Überraschung wurde beim Beginn des Unwetters auch das Dach nicht geschlossen.
Doch das Feuerwerk teilt sich auf mehrere Parts auf. Chris Martin selbst findet, dass die Deutschen Feuerwerk besonders gut können, war er selbst erst den Abend zuvor von dem an der Rheinkirmes mehr als überzeugt. Bei einer Ansprache motiviert der Frontmann dazu, die Hände nach oben zu strecken und einer Person Liebe zu schicken. Er zählt einen Countdown herunter und bei 0 gehen weitere Raketen in die Luft. Zum Megafinale mit „Good Feelings“ und dem neusten Song „Feels Like I’m Falling in Love“ vom für Oktober angekündigten neuen Album „Moon Music“ – neue Tour incoming, sagen wir an dieser Stelle – folgen dann die letzten Feuerwerkskörper, zu denen es sich lohnt die am Eingang verteilten 3D-Brillen aufzusetzen. So erscheinen zusätzlich auch noch funkelende Herzen bei jedem Roteffekt, der durch die Rakten oder Leuchtarmbänder ausgelöst wird.
Coldplay in Düsseldorf: Wenn Regen das Ganze noch aufwertet
Dass die Band sich das Wetter antut und voller Professionalität durchzieht, ist das Gegenteil von selbstverständlich. Hut ab für diese Konsequenz und der Empathie gegenüber den Menschen, die gerade vor ihnen stehen. Bekannterweise lassen sich Shows dieser Größenordnung nur schwer verschieben, sodass die Wahrscheinlichkeit groß war, den Auftritt komplett zu streichen, statt nachzuholen.
Eigentlich kann man sogar sagen, dass der prasselnde Regen und noch mehr die furchteinflößenden Blitze am Himmel das Erlebnis noch intensiver gemacht haben. Coldplay zeigen in Düsseldorf, dass sie mit ihrer Show etwas sehr Besonderes kreieren, bei dem alle ein wenig emotional werden. Da setzt ein Trostpflaster-Stück wie „Fix You“ dem berauschenden Event nur noch die Krone auf. „Lights Will Guide You Home“, heißt es in den Lyrics. Und ob die Lichter nun künstlich erzeugt oder vom Wettergott gemacht wurden – vergessen kann man sie so schnell nicht.
Mehr zu Coldplay auf der Website, bei Facebook, Instagram, TikTok, X und Threads.
Der letzte Düsseldorf-Gig findet am 23.7. statt.
Mehr Sommer geht nicht