Viele verdrehen die Augen, sobald man ihnen deutsche Filme empfiehlt. Das liegt vor allen Dingen an den immer gleichen flachen Komödien und Romcoms, die unser Land in den letzten zwei Dekaden massenweise produziert hat und die kurioserweise auch immer wieder von Millionen von Menschen abgefeiert wurden. Ist ja auch voll ok, feel free! Wir haben uns aber etwas tiefer mit der Materie beschäftigt und die besten Indie-Hits, Oscar-Kandidaten und echte Genreperlen des aktuellen Jahrhunderts rausgesucht, die ihr womöglich noch nicht alle gesehen habt. Chillt euch aufs Sofa und lasst euch reinsaugen in unsere liebsten Filme made in good old Germany!
Das Leben der Anderen (2006)
Erst vier deutsche Filme haben es in fast sieben Dekaden geschafft, den Oscar als „Bester internationaler Film“ zu gewinnen. Einer unter ihnen: „Das Leben der Anderen“ beschäftigt sich mit Loyalität gegenüber dem Vaterland. Dramatiker Georg und seine Lebensgefährtin Christa-Maria, die Theater spielt, werden beschattet, ob sie wirklich der DDR so treu sind, wie sie behaupten. Um das zu kontrollieren, wird Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler auf sie angesetzt. Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck legt hier sein Kinodebüt vor und hat direkt ins Schwarze getroffen. An dem Drehbuch saß er mehrere Jahre.
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Systemsprenger (2019)
Wie geht man mit einem verhaltensauffälligen Kind um, wenn man schon mit seinem eigenen Leben völlig überfordert ist? Dieser Frage geht „Systemsprenger“ nach. Regisseurin Nora Fingscheidt hat mit ihrem Film ein absolutes Meisterwerk geliefert. Eine Story mit äußerst viel Identifikationsfläche, wahnsinnig mitreißend inszeniert und mit der womöglich besten schauspielerischen Performance, die ein Kind jemals in Deutschland abgeliefert hat: Helena Zengel als 9-jährige Benni ist viel zu krass. Unbedingt ansehen, aber nur in guter seelischer Verfassung.
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Toni Erdmann (2016)
Es gehört längst zum festen Bestandteil der deutschen Filme und unserer Fernsehkultur: Das Fremdschämen. Aber „Toni Erdmann“ geht dabei auf ein ganz anderes Niveau als das typische Trash-TV. Viele Charaktere in dem fast dreistündigen Werk kennen wir zwar aus dem wahren Leben, aber ihr Handeln ist teilweise so unangenehm, dass man weder hin- noch wegschauen kann. Die Vater-Tochter-Beziehung von Winfried und Ines ist komisch, traurig und einfühlsam. Wer „Toni Erdmann“ durchhält – und dafür braucht es schon etwas Sitzfleisch und Motivation – wird belohnt!
Aktuell im Stream auf: Netflix
Der freie Wille (2006)
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob und wie Menschen nach ihrem Gefängnisaufenthalt resozialisiert werden können. In „Der freie Wille“ spielt Ausnahmeschauspieler Jürgen Vogel Theo Stoer, der wegen eines sexuellen Übergriffs neun Jahre hinter Gittern saß. Nun kommt er raus und probiert im Leben wieder anzukommen – dabei verliebt er sich in Nettie, die ein Missbrauchsopfer ist. Sehr feinfühlig, sehr intensiv, manchmal kaum auszuhalten. Das 163 Minuten lange Erlebnis ist auf keinen Fall etwas für jede:n, aber trotzdem eine Perle des deutschen Kinos.
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Nirgendwo in Afrika (2001)
Hier ist der zweite Kandidat der Filme, die die Academy überzeugen konnte. Auch „Nirgendwo in Afrika“ wurde mit einem Goldjungen ausgezeichnet und könnte auch heutzutage helfen, ein immer wieder aktuelles Thema besser greifen zu können: Das Flüchten aus der Heimat. Hier einmal im umgekehrten Sinne, denn Jettel und Regina verlassen während des Aufkommens des dritten Reiches Deutschland. Sie ziehen nach Kenia, dort ist auch schon Jettels Mann Walter hingezogen. Gezeigt wird, wie jedes Mitglied der jüdischen Familie mit der neuen Situation umgeht. Stimmt nachdenklich.
Aktuell im Stream auf: Netflix, Joyn, Kabel Eins CLASSICS, Seven Entertainment (Prime-Video-Channel)
Das Experiment (2001)
Nicht umsonst ist „Das Experiment“ gern Schulstoff in der Oberstufe. Es ist einfach eine Situation, die sich äußerst schnell sogar in Klassen rekonstruieren lässt und in die sich somit viele schnell hineinfühlen können: Du bekommst 4000 DM, wenn du dich eine Zeit lang in ein simuliertes Gefängnis begibst. Ob du Gefangener oder Wärter wirst, entscheidet das Los. Was macht Macht mit dir? Moritz Bleibtreu liefert als Tarek Fahd eine seiner besten Performances. Völlig zurecht gilt „Das Experiment“ auch heute noch als einer der Besten der letzten Jahre.
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Aus dem Nichts (2017)
Seine Liebsten zu verlieren, ist immer eine absolute Zerreißprobe. Wann drehen wir aufgrund des Schmerzes völlig durch? Noch schlimmer wird das Ganze jedoch, wenn dein Ehemann und dein Sohn durch einen Anschlag getötet werden, und zwar wegen ihrer Nationalität. Diane Kruger spielt Katja Sekerci, die sich für den Tod ihres deutsch-kurdischen Partners sowie des gemeinsamen Kindes rächen will. Beide starben durch eine Nagelbombe, die von einer rechtsextremistischen Gruppierung gezündet wurde. Wem die Geschichte bekannt vorkommt: Sie beruht auf den wahren Geschehnissen rund um Beate Zschäpe und ihre beiden Mittäter.
Aktuell im Stream auf: nur käuflich erwerbbar
Victoria (2015)
„Victoria“ ist ein filmisches Spektakel sondergleichen. Sebastian Schipper, den man sowohl als Schauspieler (u.a. „Lola rennt“, „Der Krieger und die Kaiserin“, „Der englische Patient“) als auch als Regisseur kennt (u.a. „Absolute Giganten“), wollte es wissen und hat einen 140 Minuten langen Film ohne Schnitt gedreht. Ja, das hat tatsächlich funktioniert und ist absolut unglaublich. Fast zweieinhalb Stunden lang folgt man der Spanierin Victoria, die im Club vier junge Männer kennenlernt, mit denen sie in einer Nacht in Berlin Sachen erleben wird, die sie wohl nie vergisst.
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Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders (2006)
Das Buch von Patrick Süskind ist ein weltweiter Bestseller, aber auch die Verfilmung von Tom Tykwer (u.a. „Lola rennt“, „Cloud Atlas“, „Der Krieger und die Kaiserin“, „Drei“) kann vollends überzeugen. Jean-Baptiste Grenouille hat die beste Nase, die man sich vorstellen kann und wird durch seine Begabung zum besten Parfümeur Frankreichs. Doch wie fantastisch würde wohl ein Duft riechen, der aus Menschenhaut von den schönsten Frauen gewonnen wurde? In stilvollen und äußerst ästhetischen Bildern wird man in eine Welt entführt, die Gänsehaut bereitet.
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Der Nachtmahr (2015)
Deutsche Filme, die sich dem Genre Horror zuwenden? Gibt’s nicht oft, gibt’s noch seltener mit gutem Ergebnis, aber „Der Nachtmahr“ hat es geschafft. Ein wirklich spannender Mix aus Coming-of-Age, Drama und Psychothriller-Elementen, auf die man sich erst einmal einlassen muss. Kriegt man das hin, wird man mit einem tollen Film belohnt, der immer wieder überrascht und im Nachhinein für Gespräche sorgt. In Nebenrollen: Wilson Gonzalez Ochsenknecht und Rapperin Nura (ehemals SXTN).
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Oh Boy (2012)
Berlin hat immer ein ganz besonderes Flair. Besonders fancy wird die Großstadt aber, wenn man sie in Schwarz-Weiß packt. Tom Schilling spielt Niko, der sich auf die Suche nach einem guten Kaffee begibt. Das ist allerdings schwieriger als gedacht. Innerhalb von 24 Stunden geschehen ihm die abstrusesten Dinge. „Oh Boy“ ist witzig, extrem cool, schick und trifft das Feeling von Endzwanziger:innen auf den Kopf. Regisseur Jan-Ole Gerster hat übrigens mit seinem Nachfolger „Lara“ auch richtig gut abgeliefert.
Aktuell im Stream auf: Netflix, MagentaTV
3096 Tage (2013)
Ob man das Leiden der Natascha Kampusch in einem Spielfilm nachzeichnen muss, ist sicherlich Ansichtssache. Allerdings ist das Ergebnis in „3096 Tage“ wirklich gelungen und weniger reißerisch und voyeuristisch, als man zunächst vermuten mag. Stattdessen bekommen die Zuschauenden nochmal einen besseren Zugang zu der tragischen Geschichte. An dem Drehbuch schreib die Filmlegende Bernd Eichinger (u.a. „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, „Manta, Manta“, „Der bewegte Mann“, „Werner – Beinhart!“) mit, der jedoch vor Vollendung starb. Beide Natascha-Schauspielerinnen spielen toll.
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Fikkefuchs (2017)
Keinen Bock mehr auf die immer gleichen Komödien à la „Fack Ju Göhte“? „Fikkefuchs“ geht an die Sache ganz anders heran. Konsequenter, derber, aber auch authentischer. Hauptdarsteller Jan Henrik Stahlberg ist zusätzlich auch Regisseur und Drehbuchautor. Sein Hauptcharakter Rocky ist Ende 40 und äußerst erfolglos. Von einem auf den anderen Tag besucht ihn sein längst verdrängter Sohn Thorben, der gerade erst aus einer Psychiatrie ausgebrochen ist. Beide probieren gegenseitig eine emotionale Stütze zu sein und irgendwie mit dem Leben in Berlin klarzukommen. Skurril, manchmal heftig drüber, aber dadurch auch einzigartig.
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Berlin Calling (2008)
Paul Kalkbrenner gehört seit Mitte der 2000er zu den höchstangesehenen DJs des Landes. An dem Dauerbrennersong „Sky and Sand“ konnte man eigentlich nicht vorbeikommen. Den Ursprung hat der Technoklassiker in dem Film „Berlin Calling“, in dem man dem DJ Ickarus, gespielt von Paul Kalkbrenner, durch die Nachtszene folgen kann. Dabei gibt es unangenehme Drogenerfahrungen und Liebesstorys. Für Fans von elektronischer Musik ein Manifest, aber auch so ein interessanter Streifen für Abende auf der Couch, an denen man nicht den Arsch hochgekriegt hat, um wegzugehen.
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Freier Fall (2013)
Queere Filme gibt es einige, nur die wenigsten sind aber sehenswert. „Freier Fall“ erreicht zwar kein Hollywood-Niveau, ist aber für einen deutschen Gay-Film sehr stark besetzt, mutig in der Geschichte und zieht durch. Ganz besonders die schauspielerischen Leistungen von den eigentlich heterosexuellen Hauptdarstellern Hanno Koffler und Max Riemelt wurde mehrfach gelobt. Marc lebt in einer Beziehung mit seiner schwangeren Freundin Bettina. Er ist Polizist, genauso wie sein Kollege Kay, den er auf einer Fortbildung kennenlernt. Beide erleben miteinander Seiten, von denen sie wünschen, dass niemand sie sonst mitbekommt – und genau das wird zum emotionalen Verhängnis.
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Feuchtgebiete (2013)
Wir alle erinnern uns an den Moment, als Charlotte Roche mit ihrem Debütroman „Feuchtgebiete“ 2008 durch die Decke ging. Ganze 1,3 Millionen Mal verkaufte sich das Skandalwerk. Fünf Jahre später folgte eine Verfilmung mit Carla Juri in der Hauptrolle, die zwar nicht ganz so extrem auffährt wie das Buch, aber trotzdem bei manchen Zuschauenden wohl Grenzen überschreitet. Regisseur David Wnendt (u.a. „Kriegerin“, „Er ist wieder da“) hat aber einen unterhaltsamen Film geschaffen, der für Indie-Fans genau das Richtige ist.
Aktuell im Stream auf: Netflix, ARTHAUS+ (Prime-Video-Channel), Paramount+, MagentaTV
Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte (2009)
Dass „Das weiße Band“ in Schwarz-Weiß gefilmt ist, ist einerseits auf jeden Fall ein passendes Stilmittel, andererseits aber auch genau das Richtige, um der Handlung, die 1913 spielt, ihren Anstrich aus fast vergessenen oder eher verdrängten Zeiten zu verpassen. In Norddeutschland in einem protestantischen Dorf ist merkwürdige wie mysteriöse Stimmung. Es geschehen mehrere Ereignisse, die der gemütlichen Atmosphäre in der Einöde alles andere als gut tun. Michael Haneke ist einfach ein Meister, der nicht mit jedem seiner Werke jeden Geschmack trifft, aber für jeden Geschmack mindestens ein Werk im Repertoire hat.
Aktuell im Stream auf: Netflix, MagentaTV
Gegen die Wand (2004)
Ein Fatih Akin wäre auch wirklich zu wenig. Neben „Aus dem Nichts“ ist „Gegen die Wand“ wohl mindestens genauso ein echtes Must-seen. Eben deutsche Filme, die im Kopf bleiben. Sibel und Cahit sind türkischer Herkunft und führen eine Scheinehe. Deswegen interessieren sie sich auch nur bedingt füreinander. Sibel dreht frei und nimmt alles und jeden mit, der will. Cahit probiert seine Drogenabhängigkeit unter Kontrolle zu kriegen. Allerdings scheint Cahit tief im Inneren doch mehr für Sibel zu empfinden, als er sich zunächst eingestehen mag. Eine wahrlich aufrüttelnde Liebesgeschichte.
Aktuell im Stream auf: Disney+, Netflix, ARTHAUS+ (Prime-Video-Channel), Paramount+
Die Welle (2008)
Ähnlich wie „Das Experiment“ steht auch in „Die Welle“ ein gesellschaftlicher Versuch im Fokus. Der Roman „The Wave“ des US-amerikanischen Schriftstellers Morton Rhue ist schon ewig Pflichtlektüre in vielen Schulen. Die Handlung wurde für den 2008 erschienenen Film nach Deutschland geholt und zeigt Entwicklungen eines Spiels in einer Schulklasse, die von dem Lehrer Rainer Wenger – gespielt von Jürgen Vogel – geleitet wird. Der gilt als beliebt und äußerst locker. Als er jedoch in einer Projektwoche beschließt, die Klasse diktatorisch zu leiten, entwickelt sich eine Eigendynamik. 15 Jahre später aktueller denn je.
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Good Bye, Lenin! (2003)
Man gewöhnt sich an alles. Besonders an seine alltägliche Umgebung. Die Sozialistin Christiane fällt ins Koma, weil sie beobachtet wie ihr Sohn Alexander während einer Anti-DDR-Demo festgenommen wird. Als sie wieder aufwacht, ist die DDR Geschichte, allerdings würden ihr zu große Veränderungen und Überforderungen beim Genesen schaden. Also versuchen Alexander und seine Schwester Ariane die DDR für ihre Mutter aufrechtzuerhalten. Für die, die ein Stück DDR mitbekommen haben, ein emotionaler Flashback – für alle anderen ein guter Weg, um Zugang zu finden.
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Der Untergang (2004)
Über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte gibt es deutsche Filme noch und nöcher. Einer der besten, womöglich sogar der beste unter ihnen ist „Der Untergang“, der sich mit den letzten Jahren des dritten Reiches beschäftigt. Nicht zuletzt die hochkarätige Besetzung und das aufwändige Szenenbild brachten dem Film eine Oscar-Nominierung als „Bester internationaler Film“ ein. Übrigens existiert eine 25 Minuten längere TV-Fassung, die als Zweiteiler in der ARD gezeigt wurde, aber auch gekauft werden kann.
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Im Westen nichts Neues (2022)
Zum krönenden Abschluss der aktuellste Film in unserer Liste und die Megaüberraschung bei den diesjährigen Oscars: „Im Westen nichts Neues“ ist ein deutsches Remake zum gleichnamigen Klassiker, der auf dem 1929 erschienenen Roman von Erich Maria Remarque beruht. Die Netflix-Produktion erlangte gleich mehrere Rekorde. Erstmalig wurde ein deutscher Film als „Bester Film“ nominiert, erstmalig schaffte ein deutscher Film vier Preise zu gewinnen (Bester internationaler Film, Beste Kamera, Beste Filmmusik, Bestes Szenenbild) und neun Nominierungen zu holen. Berechtigt? Überzeugt euch selbst, besonders optisch ist das aufwühlende Kriegsdrama ein Brett.
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Für Cineast:innen