Unterhaltsame Mind Games: Timon Krause verdreht Köpfe

Keine Zauberei, nur Psychologie: Timon Krause lässt ratlos zurück - auf unterhaltsamem Wege. Foto: Murat Aslan
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Zaubershows setzten sich immer aus vielen Pyroeffekten, lauter, dramatischer Musik, leicht bekleideten Frauen und einem Magier zusammen, der mit großen Gesten davon ablenkt, wie die gelenkige Assistentin gerade im zweiten Boden der Holzbox verschwindet. Möglich. Aber genau deswegen ist Timon Krause auch kein Zauberer, sondern Mentalist – und sorgt in der Lichtburg in Essen für offene Münder.

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Timon Krause: Moers, Amsterdam, Welt

Timon Krause wird 1994 in Moers geboren und wächst im Kreis Borken auf. Beides keine Metropolen, um Menschen mit Tricks hinters Licht zu führen. Dafür zieht es ihn nach dem Abi nach Amsterdam, wo er Philosophie studiert und plötzlich ganz tief abtaucht, wie er am 27.09.2023 in dem alten Essener Kino, der Lichtburg, selbst erzählt. Dafür werden auch mal einige Substanzen eingeworfen, um auch die letzten Sperren im Kopf über Bord zu werfen. So entwickelt er durch Beobachten, regen Austausch und Begegnungen mit Menschen „Mind Games“ – das Programm, mit dem er einige Zeit später auf allen Kontinenten der Welt auftreten soll. Dazwischen veröffentlicht er seine ersten eigenen Bücher „Du bist Mentalist!“ und „Kennen wir uns? Eine Anleitung zur Menschenkenntnis.“

Traut man dem Blick oder eher nicht? Entscheide selbst! Foto: Murat Aslan

Mit „Let’s Dance“ den Sprung in die breite Öffentlichkeit

Schließlich wird Timon 2016 mit 22 Europameister im Mentalismus, also im Lesen von Gedanken und geschicktem Manipulieren, um andere dorthin zu führen, wo er sie gerne hätte. In den USA gewinnt er 2018 als erster Deutscher eine Talentshow zum Thema Zauberkunst. Das allein beeindruckt schon allemal. Trotzdem bleibt er wohl für viele bis Anfang 2023 eher im Verborgenen. Man musste schon in der Szene unterwegs sein, um ihn auf dem Radar zu haben. Doch von Februar bis Mai diesen Jahres ist er  Teilnehmer bei der RTL-Show „Let’s Dance“, erreicht mit seiner Tanzpartnerin Ekaterina Leonova den vierten Platz und verblüfft mehrfach während der Folgen mit kleinen Gedankenexperimenten, die alle funktionieren und einen immer stirnrunzelnd zurücklassen.

Timon Krause: Die letzten Termine 2023

War das Interesse vor „Let’s Dance“ schon ordentlich, ist es danach riesig. Gleich 16 Zusatztermine finden diesen Herbst in deutschsprachigen Ländern statt, obwohl die Show eigentlich schon letztes Jahr lief und im Frühjahr kurz vor dem Start der Staffel weitergeführt wurde. Doch auch nach Essen, einem der letzten Auftritte, stürmen fast 1000 Besucher:innen, die wissen wollen, ob das wirklich funktioniert, was der große Typ mit der lockigen Frise und dem verschmitzten Lächeln verspricht. Mit nicht einmal zehn Minuten Verspätung geht die erst 65, dann im zweiten Akt 75 Minuten dauernde Show los und löst Fragezeichen, Irritationen und Staunen aus.

„Mind Games“ ist sowohl entspannend, als auch extrem nervenaufreibend. Foto: Murat Aslan

Wie funktioniert das Ganze nun live?

Jetzt haben wir so einen Spannungsbogen erzeugt – und möchten eigentlich gar nicht so viel sagen. Denn hiermit möchten wir euch, wenn ihr überlegt, die Show zu besuchen, eine Empfehlung aussprechen: Lest vorab möglichst wenig Kritiken und schaut keine Videos! Je weniger ihr vorab wisst, desto besser. So ist’s natürlich per se bei Events, die darauf setzen, dass sie in bestimmten Momenten überraschen wollen, aber bei Timon Krause kommt obendrein noch ein anderer Aspekt hinzu. Es lohnt nämlich, beim Verlassen des Saals und auf der Rückfahrt darüber zu spekulieren, was nun geplant, was improvisiert und was gerade wirklich Mindblowing ist. Kennt man Teile der Show, zerstört man sich dieses Erlebnis womöglich unnötig selbst.

Erste Hälfte: Kurzweilig-witzig

Stattdessen macht der erste Akt, der enorm auf Tempo setzt, schlichtweg Spaß und unterhält kurzweilig. Timon ist wirklich klug, reißt einen Witz mit aktuellem Zeitgeist nach dem nächsten. Hier muss man nicht nur gut zuhören, sondern auch ein wenig über Internetphänomene informiert sein, um jeden Gag zu verstehen. Die Dichte ist hoch, die Treffsicherheit nicht immer garantiert, einfach weil viele manchmal gar nicht hinterherkommen. Das macht das Entertainment aber aus.

Anfangs wirken viele der Experimente, für die Timon gefühlt willkürlich Leute aus dem Publikum fischt – manche werden zum Beispiel durch geworfene Frisbees ausgesucht – so, als ob man sie mit ein wenig Übung nachmachen könnte. Hat die Besucherin nun die Babyente in der linken oder in der rechten Hand? Welche gezeichnete Skizze gehört zu welchem der vier Männer, die vor ihm stehen? Wie entstehen Verschwörungsmythen? Mit einer ordentlichen Portion Comedy, die mal schlüpfrig, mal selbstironisch und mal ultra sarkastisch wirkt, prasselt die erste Stunde wie nie enden-wollende TikTok-Videos auf einen ein. Timon hostet freundlich und charmant, dennoch sehr direkt und bestimmt. Unterstützt wird das Ganze von einer zweiköpfigen Band, die das passende musikalische Setting liefert.

Zweite Hälfte: Atemberaubend

…bis dann direkt nach der Pause die quantitativ längste und qualitativ beste Nummer kommt. Und genau hier darf nahezu nichts verraten werden. Man muss definitiv offen für ein wenig Esoterik sein, sich bestimmt auch mal das eine oder andere Lachen verkneifen, aber spätestens nach 20 oder 30 Minuten ist man von der Gruppenhypnose (!) die auf der Bühne passiert so fasziniert, dass man zwischenzeitlich kaum das Atmen wagt. Das Publikum ist still, die Freiwilligen, die Timon in einen besonderen Zustand versetzt, wirken wie fremdgesteuert. Schließlich gipfelt alles in einem der wohl besten Turning Points, die man in deutschen Shows sehen kann. Wirklich sensationell. Mehr gibt’s an dieser Stelle von uns nicht. Du bist neugierig, steckst immer noch im „Ach, das ist doch alles Blödsinn“-Modus fest und hast einen kleinen Hang zum psychologischen Mindfuck? Dann ist Timon Krause dein Mann.

Timon Krause: Tour für 2024 angekündigt

Mit Sicherheit geht hier am Ende nicht jeder vollends befriedigt nach Hause, weil es eben recht speziell ist, es Offenheit benötigt, Grenzen im Kopf über Bord geworfen werden müssen und von einigen der letzte Funken Misstrauen einfach nicht abgelegt werden kann.  Dann ist das halt so. Für alle anderen ist „Mind Games“ aber eine tolle Erfahrung abseits der typischen Unterhaltungsshows. Das neue Programm „Messias“ wurde für 2024 schon angekündigt, Termine folgen in Kürze. „So viel zum Thema Größenwahn“, scherzt Timon selbst über den Namen seiner nächsten Gigs. Und seine Person lässt auch da nie ganz klar durchblicken, wie viel Scherz und wie viel Ernst in solchen Kommentaren dabei ist. Gut so, denn das Undurchsichtige verliert wesentlich langsamer an Faszination.

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