Duisburger Akzente 2024: Schaurig-schöne Familienbande

Im Leid vereint: Die Familie Schroffenstein in der Dresdner Inszenierung. Auf dem Bild: Henriette Hölzel, Thomas Eisen, Jakob Fließ, Raiko Küster, Ahmad Mesgarha, Christine Hoppe, Karina Plachetka, Mina Pecik, Yassin Trabelsi. Foto: Sebastian Hoppe
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Nicht nur die Duisburger Kunstliebhaber:innen können sich freuen: Das Kulturfestival Duisburger Akzente lockt in die Stadt und zeigt, dass Duisburg deutlich mehr ist als negative Schlagzeilen in den Medien. Das Festival setzt sich seit 1977 jährlich mit aktuellen kultur- und gesellschaftspolitischen Themen auseinander. Die 45. Duisburger Akzente 2024 stehen unter dem Motto „Familienbande“ und finden vom 1. bis 24.3. statt.

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Zusammenhalt als gemeinsamer Nenner

Eiserner Zusammenhalt, Liebe, Hass, romantisierende Heile Welt, Patchwork; Familie kann alles und gleichzeitig nichts bedeuten. Zusammenhalt ist der gemeinsame Nenner, unter dem die Veranstaltungen in Duisburg stehen. Die Auswahl für Interessierte ist groß: Theater, Film, Literatur, Performances, Vorträge und Diskussionen, Konzerte, Installationen – das Programm ist vielfältig und spartenübergreifend.

Zum Festival gehört auch das Akzente Theatertreffen des Theaters Duisburg. Inszenierungen aus Essen, Dresden, Hamburg und Berlin sind im März am Stadttheater zu sehen.

Verwandtschaft als Fluch

Am 9. und 10.3. war das Staatsschauspiel Dresden mit seiner Inszenierung von Heinrich von Kleists „Die Familie Schroffenstein“ zu Gast.

Das erste Werk von Kleist adaptiert Shakespeares „Romeo und Julia“, versetzt die Handlung ins Mittelalter und nach Deutschland. Ein Erbvertrag zwischen Rossitz und Warwand ist die Grundlage des seit Generationen schwelenden Konflikts: „Seit alten Zeiten / Gibt’s zwischen unseren beiden Grafenhäusern, / Von Rossitz und von Warwand einen Erbvertrag, / Kraft dessen nach dem gänzlichen Aussterben / Des einen Stamms, der gänzliche Besitztum / Desselben an den andern fallen sollte.“ Als der jüngste Sohn des Grafen Rupert tot aufgefunden wird, scheint schnell klar, dass Graf Sylvester aus Warwand die Schuld trägt. Reihum schwören die Rossitzer am Sarg des toten Jungen Rache. Im weiteren Verlauf gibt es vielfältige Ereignisse und Begegnungen. Letzten Endes führt das gegenseitige Misstrauen die verfeindeten Familien in die Katastrophe. Inmitten des Familienzwistes befinden sich die beiden Liebenden Agnes von Warwand und Ottokar von Rossitz.

Schlaglicht auf das Unfassbare: Der Sarg mit dem jüngsten Sohn Ruprechts. Auf dem Bild: Mina Pecik, Raiko Küster, Thomas Eisen;
Foto: Sebastian Hoppe

Die Welt als schiefe Ebene

In Duisburg steht ein schräges Podest mit einer integrierten, zylindrischen Mini-Drehbühne, deren Wand schräg abgerundet in den dunklen Bühnenhimmel zeigt. Das Bühnenpodest ist gleichzeitig Projektionsfläche, auf die zum Anfang ein gotisches Rosettenfenster projiziert wird – das kann man als eine zeitliche Einordnung in das Mittelalter sehen. Auch die Wand der Bühne auf der Bühne ist Projektionsfläche, wenn sich die Wand zum Publikum dreht. Dort sind computeranimiert Handelnde oder auch Landschaften in den Szenen zwischen Agnes, Ottokar und Johann zu sehen.

Theater in Bestform

Kleists Drama beginnt mit der Trauerfeier. Ein schwarzer Sarg, grell beleuchtet, bestimmt die Szene. Nach dem als Prolog eingesetzten Eingangslied nimmt das Stück und damit die Inszenierung Fahrt auf. Überlebensgroß sehen die Zuschauer:innen als Projektion das hassverzerrte Gesicht des Grafen Rupert, der überdeutlich und laut seinen Racheschwur zelebriert. Der Ton in Rossitz ist gesetzt, das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Es ist eine reine Freude, dem Dresdner Ensemble zuzusehen. In der Regie von Tom Kühnel entspannt sich die Tragödienhandlung, jede Minute der Inszenierung ist durchdacht, genau geführt und hervorragend gespielt. Ein Kleist-Feuerwerk in zwei Stunden und 40 Minuten, die kein bisschen langweilig sind.

Der rachsüchtige Rupert (Thomas Eisen) ist mitunter grotesk übersteigert, was ganz im Sinne Kleists ist, der die „Schroffensteiner“ immer wieder im Sinne Shakespeares mit komischen oder grotesken Elementen in Richtung Tragikomödie verschiebt. Entwaffnender Gegensatz dazu ist Ahmad Mesgarhas Sylvester, der zunächst an das Gute in Rossitz glauben will, aber zum Ende hin ebenfalls dem bösen Schein verfällt. Im Hass und in der Liebe stark ist Ottokar, der Sohn Ruperts und Eustaches. Yassin Trabelsi spielt präsent und präzise, wechselt schnell von Rache zu Liebe, ist verletzlich und gleichzeitig erschreckend.

Gertrude und Sylvester im trauten Gespräch. Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha, Karina Plachetka. Foto: Sebastian Hoppe

Die Schauspielerinnen Christine Hoppe (Eustache), Karina Plachetka (Gertrude), Henriette Hölzel (Agnes) und Mina Pecik (Barnabe, Kammerzofe, Diener) sind durch die Bank herausragend. Eustache, die ihren Mann Rupert beschwört, nicht in Raserei zu verfallen und bei aller Trauer noch Mensch bleibt, Gertrude, die im Gegensatz zu ihr den zunächst vermittelnden Sylvester wachrütteln will – starke Frauen, stark dargestellt. Vor allem in den „Bett-Szenen“ zeigen sie, dass sie alles andere als Anhängsel in einer männerdominierten Gesellschaft sind. Zart und stark auch Agnes, die wie eine Lichtgestalt durch das Stück schwebt.

Eine der schönsten, auf jeden Fall die poetischste Szene der Inszenierung ist die letzte Szene zwischen Ottokar und Agnes. Eine zeitlupenhafte Traumsequenz zeigt, wie es ohne Missverständnisse und Argwohn sein könnte. In der Realität entkleiden sich die Liebenden und tauschen ihre Kleider, damit Agnes ohne Gefahr fliehen kann, während Rupert sich auf die Suche nach ihr begibt, um sie zu töten. Yassin Trabelsi leitet in einem sanften Monolog über ihre gemeinsame Liebe und Zukunft durch die intime Szene, bis beide schließlich nackt sind. Inmitten der Scheinwelt wird die absolute Verletzlichkeit und das entblößte Leben sichtbar. Dieser ehrliche Moment überwältigt.

Agnes (Henriette Hölzel) und Ottokar (Yassin Trabelsi) als Liebende. Foto: Sebastian Hoppe

Insgesamt ist die Dresdner Inszenierung ein Kleist-Fest. Stimmig, stark und poetisch, die vielen Mauerschau-Gräuel-Berichte mit technischen Mitteln gut gelöst. Das schwierige, sperrige Erstlingswerk von Kleist nimmt Regisseur und Ensemble Ernst und beim Wort – auch die typisch Kleistsche Sprache ist nämlich durchweg sehr gut umgesetzt.

Die Familie Schroffenstein von Heinrich von Kleist, Gastspiel des Staatsschauspiel Dresden.
Regie: Tom Kühnel; Bühne und Video: Jo Schramm; Kostüme: Ulrike Gutbrod; Videomitarbeit: Jakob Fließ; Lichtdesign: Andreas Barkleit; Dramaturgie: Kerstin Behrens
Es spielen: Thomas Eisen, Jakob Fließ, Henriette Hölzel, Christine Hoppe, Raiko Küster, Ahmad Mesgarha, Mina Pecik, Karina Plachetka, Matthias Reichwald, Yassin Trabelsi

45. Duisburger Akzente Familienbande, 1.-24.3.2024, Theater Duisburg

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