Architekt Walter Brune im Interview: Streiter für die City

Foto: Fabian Paffendorf
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Der Düsseldorfer Walter Brune hat als Architekt, Stadtplaner und Immobilien-Unternehmer ein umfangreiches Gesamtwerk vorzuweisen. Kaum jemand hat die Einzelhandelsarchitektur in Deutschland so geprägt, wie der mittlerweile 92-Jährige. Er schuf unter anderem die Kö-Galerie und Schadow-Arkaden sowie namhafte Gewerbebauten im Ruhrgebiet. Allerdings ist Walter Brune auch ein leidenschaftlicher Streiter für den Erhalt der Innenstädte und steht an vorderster Front, wenn es darum geht, Ansiedlungen von Outlet-Centern auf der grünen Wiese zu verhindern. Vor Outlet-Centern warnt er eindrücklich. Wir sprachen mit ihm.

Wie kamen die Shoppingcenter nach Nordrhein-Westfalen? Steckten große Warenhäuser hinter den Ansiedlungen?
Die Sache ist anders gelaufen. Das Konzept Shoppingcenter stammte aus Amerika. Der Architekt Victor Gruen hatte festgestellt, dass dort den großen Städten die Innenzentren fehlten und wenn es Innenstädte gab, dominierten die großen Bürogebäude die Straßen. Einzelhandel gab es nur wenig, dadurch bestand ein Defizit hinsichtlich der Versorgung. Gruens Idee war, dass man in den Randbereichen Stadtteilzentren gründen sollte. Unter einem Dach sollte eingekauft werden, Dienstleister und Restaurants dort zu finden sein. So hat das gegen Ende der 40er-Jahre angefangen. Da hat man das erste Center gebaut – und es war ein riesiger Erfolg. Deshalb hat der Investor noch mehr bauen wollen. Man hatte erkannt, welche Chancen es bietet, wenn Läden in einem ausgewogenen Branchenmix konzentriert werden. Dann haben sie allerdings angefangen, solche Center überall zu bauen, wo Platz war. Als die Bewegung nach Deutschland kam, hat man es mit einzelnen Center-Ansiedlungen versucht. Der Ruhrpark in Bochum ist eines der ersten Beispiele – ein offenes Center, in dem man verschiedene Läden und Supermärkte an einen Platz gelegt hatte. Das lief ganz gut. Den Drive, den die ganze Sache aber in den USA schon hatte, der war noch nicht da.

Und Sie haben den Drive dann mit dem Rhein-Ruhr-Zentrum nach Deutschland gebracht?
Die Stinnes AG kam Ende der 60er auf die Idee, eine alte Zechenanlage bei Mülheim mit einem Shoppingcenter zu bebauen. Mehrere Architekten wurden aufgefordert, etwas zu entwerfen. Sie haben Malls geplant, die mehrere Läden unter einem gemeinsamen Dach hatten. Der Karstadt-Konzern wurde angefragt, ob er sich mit einem Warenhaus daran beteiligen wolle. So ein Center fand man interessant und Karstadt hatte noch kein Haus in Mülheim. Der Konkurrent Kaufhof war schon da und das gab den Ausschlag, dass Karstadt nach Mülheim wollte. Als Bedingung setzte man jedoch voraus, dass das Warenhaus in Kombination mit einem Möbelhaus ins Center kommen würde und dass ich die Planung des gesamten Centers übernehmen sollte. Ich hatte gerade einige Wochen zuvor die Hauptverwaltung von Karstadt in Essen übergeben, die ich gebaut hatte. Und weil das Projekt ohne Termin- und Kostenüberschreitungen oder Mängel realisiert wurde, brachte Karstadt mich als Vertrauensarchitekten ins Gespräch. Zu der Zeit hatte ich bereits 20 Kaufhäuser für Karstadt gebaut. Die Stinnes-Architekten legten mir ihre Pläne vor. Mit einem Shoppingcenter wie ich es aus Amerika kannte, hatte das nichts zu tun. So wie die Läden verteilt waren, wäre das Projekt eine Totgeburt gewesen. Zu jener Zeit hatte ich auf der 5th Avenue in New York ein gemeinsames Büro mit dem weltbekannten Architekten Marcel Breuer. Dadurch kannte ich die amerikanische Shoppingcenter-Szene quasi aus dem Effeff. So kam ich an Bord. Das Rhein-Ruhr-Zentrum sollte 70 000 Quadratmeter groß werden. Was folgte, waren intensive Verhandlungen mit der NRW-Landesregierung wegen der Genehmigung des Baus. Man wurde sich einig, unter der Voraussetzung, dass das Center an der Autobahn gebaut werden sollte, die Autobahn auch die Haupteinfallsquelle für Kunden sein müsste. Der Gedanke war, dass das Center eine alternative Einkaufsmöglichkeit für das gesamte Ruhrgebiet sein würde. So wurde es genehmigt, geplant und gebaut. 1973 wurde das Center eröffnet – und das lief ohne Probleme wie die Feuerwehr!

Eigentlich doch alles bestens, oder?
Nein. Nach zwei Jahren kam ich wieder einmal nach Mülheim und war auf der Schlossstraße unterwegs. Da war kein Laden mehr. Die Erklärung war, dass die Idee mit der Autobahneinfahrt für das Rhein-Ruhr-Zentrum geplatzt war. Die Leute aus Essen und Mülheim kauften nur noch in dem Center ein, was die Mülheimer Innenstadt kaputt und leer machte. Da habe ich zu mir gesagt: „Mensch, Walter Brune! Du bist doch Architekt und Städteplaner, du willst den Menschen doch schöne Städte bauen. Du bist doch kein Städte-Kaputt-Planer!“ Da schwor ich mir, nie wieder so etwas zu machen!

Das Rhein-Ruhr-Zentrum sollte eine alternative Einkaufsmöglichkeit darstellen.

Aber trotzdem haben Sie später weitere Center wie die Schadow-Arkaden und die Kö-Galerie in Düsseldorf gebaut.
Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, dass diese Funktion der Center, konzentriert Handel, Dienstleitung und Gastronomie zusammenzuführen, die Innenstädte beleben könnte. Schließlich bekam ich die Aufträge von Karstadt nicht, weil ich schöne Fassaden baute, sondern weil meine Raumkonzepte gut waren, die Umsätze pro Quadratmeter Verkaufsfläche stimmten da. Wenn die Eingänge gut platziert sind, die Rolltreppen an den richtigen Stellen sind, schafft man es, die Leute festzuhalten. Die rennen dann nicht hier rein, da raus – die bleiben! Ich hatte da das Feeling für. Deshalb bekam ich die Aufträge von Karstadt schneller, als ich das zu leisten vermochte. Meine Idee war, genau das in die Innenstädte zu bringen. Die Leute sollten nicht mehr auf die grüne Wiese zum Shopping, sondern in ihrer Innenstadt das vorfinden, was sie brauchten. Für so ein Center hatte ich mir gewünscht, auf der Düsseldorfer Kö zu bauen. Tatsächlich bekam ich ein 12 000 Quadratmeter großes Grundstück auf der Königsallee. Also habe ich die Kö-Galerie gebaut. Die Kö war zu der Zeit für Gastronomiebetriebe nicht mehr bezahlbar, bei bis zu 300 D-Mark pro Quadratmeter – also habe ich die Gastronomen in die Galerie geholt. Die Menschen wollen nicht immer nur einkaufen, die wollen auch gemütlich einen Kaffee trinken oder was essen. Die Sache mit den Parkplätzen löste ich dadurch, dass ich vier Geschosse tief ausheben ließ, sodass 1000 Autostellplätze realisiert werden konnten. Die Kö-Galerie hatte beim Sortiment nicht die Highlights der Königsallee zu bieten, aber ergänzende Angebote. Es gab Anbieter, die preiswerter waren. Sie wollten an der Kö Läden haben, aber konnten die sonstigen Mieten nicht bezahlen. Plötzlich war die Königsallee voller Leben, denn neben den hochpreisigen Waren gab es nun Sachen, die sich die Leute leisten konnten. Auf der gesamten Kö gab es durch die Galerie 20 bis 30 Prozent höhere Umsätze. Das war also der richtige Weg. Für die Rheinische Post habe ich später die Schadow-Arkaden gebaut.

Die heutigen Center der Hamburger ECE wie zum Beispiel die Dortmunder Thier-Galerie basieren grundlegend auf ihren Entwürfen für Stadtgalerien.
Beim Otto-Versand hatte man gesehen, welche Umsätze sich durch Shoppingcenter machen ließen, jetzt wollte der Konzern in Center machen. Die ECE wurde als Tochter von Otto gegründet und man schrieb einen Wettbewerb für Architekten aus, an dem ich teilnahm. Das war zu der Zeit, wo ich noch nicht wusste, was in Mülheim geschehen war. Ich nahm mit zwei weiteren Architekten teil. Jeder bekam 20 000 D-Mark in die Hand gedrückt und dann war man weg. Und zwei Jahre später sehe ich dann, dass überall mein Center entsteht. Also weitgehend hatten sie meinen Entwurf übernommen. Hätte ich früher gewusst, was diese Center für die Städte bedeuten, hätte ich niemals mitgemacht. Man muss aber klar sagen, dass ich gegen die ECE selbst nichts habe. Ich habe nur was dagegen, wenn unsere Städte kaputtgemacht werden.

Mit welchen Konzepten lässt sich eine angeschlagene Innenstadt retten?
Zum Beispiel mit Centern, die Kommunikation fördern, Nahversorgung, Unterhaltung und Mehrwert bringen. Ich habe in Düsseldorf-Kaiserswerth die Fläche eines alten Gartencenters gekauft und dort ein kleines Nahversorgungszentrum gebaut. Bäcker, Metzger, kleine Boutiquen, Arztpraxen und Restaurants rein – und Wohnungen darüber gebaut. Das hat den Vorort aufgewertet und wiederbelebt. Eine Alternative zur aktuellen Bauwut, was Outlet-Center angeht.

Aber offensichtlich vertrauen doch viele Kommunen aktuell darauf, dass Outlet-Center eine Aufwertung der Städte mit sich bringt.
Die Kunden wollen die Outlet-Ware haben. Ich habe das getestet, für meinen Sohn jeweils eine teure Hose für 120 Euro und eine optisch identische für 9,90 Euro aus dem Outlet-Shop gekauft. Ich habe ihm beide Hosen gegeben und gefragt, welche er haben möchte. Er fühlte den Stoff und schaute sie sich an, um sich schließlich für die 9,90 Euro-Hose zu entscheiden. Billig und gut geht also – und das kann tödliche für die Innenstädte sein, wenn man in den Außenbereichen Outlet-Center ansiedelt.

Outlet-Handel in den Innenstädten wird sich durchsetzen. Das wird kommen, das lässt sich nicht aufhalten.

Die Gefahr, dass viele andere Shoppingcenter verkommen, ist doch ebenfalls gegeben, wenn bald in Wuppertal oder Remscheid die geplanten Outlet-Center entstehen.
Für Wuppertal habe ich die Rathaus-Galerie für das Architekturbüro RKW entworfen. Wenn jetzt dort die Bauprojekte Primark und Outlet-Center realisiert werden, ist die Innenstadt kaputt. Die nehmen sie so in die Zange, dass da bald nichts mehr ist. Für Remscheid-Lennep lässt sich ebenfalls sagen, dass es keine Stadt mehr geben wird, wenn die das Outlet bauen. In Duisburg hatten sie dasselbe vor, da bin ich aber eingeschritten und habe die Einzelhändler zusammengetrommelt, damit man auf die Barrikaden geht. Weil es einen Ratsbeschluss gab, dachte man, das Projekt sei nicht mehr zu stoppen. Wir haben 13 000 Bürger mobilisiert, die dagegen waren. Beim Bürgerentscheid haben 51,01 Prozent dann gegen das Outlet-Center gestimmt. Da war die Sache vom Tisch. Was Duisburg braucht, um seine Stadt aufzuwerten ist, dass Outlet-Ware in die Innenstadt kommt. Da gibt’s freie Flächen, wo sich was machen lässt. Lieber 30 Outlet-Läden in der Innenstadt, die die Leute in die City bringen, als 120 Läden im Center, das die Kunden aus der Stadt rauszieht. Die Händler müssen sich bewusst machen, welche Chancen Outlet-Handel bietet. Der kann der Tod des Internet-Handels sein.

Wie soll das funktionieren?
Nehmen wir mal an, Sie bestellen sich im Internet drei Anzüge. Sie können bei Nichtgefallen einen oder alle zurückschicken. Machen Sie das, dann gibt’s Verkehr auf den Straßen. Fahrer, die die Ware anliefern, wieder abholen und so weiter. Für die Umwelt taugt das nicht, was da an Abgasen in die Luft geblasen wird. Außerdem entstehen dadurch Kosten, die vermeidbar wären. Da greift man lieber direkt zur 9,90-Euro-Hose im Outlet, oder?

Wie könnten Ihrer Meinung nach die Innenstädte in 15 Jahren aussehen?
Outlet-Handel in den Innenstädten wird sich durchsetzen. Das wird kommen, das lässt sich nicht aufhalten und das Internet wird darunter leiden.

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