non-existent im Theater Essen: Leben im Dazwischen

Sabine Osthoff (Orysja), Ines Krug (Marija), Beritan Balci (Daryna). Foto: Nils Heck
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Die Bilder von Geflüchteten aus der Ukraine, meistens Frauen mit Kindern, haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Mit Rucksäcken und Taschen bepackt, mitsamt ihren Haustieren flohen (und fliehen sie immer noch) aus ihren umkämpften Heimatorten. Die Geschichte ihres Ankommens und Eingewöhnens in der neuen Welt erzählt Natalka Vorozhbyt in dem Auftragswerk „non-existent“ in der Casa am Essener Theater. Ariane Schön hat es sich angesehen.

Ein karg gedeckter Tisch spielt in der Inszenierung von Andreas Merz-Raykov eine zentrale Rolle, an diesem kommen Großmutter, Tochter und Enkelin zusammen. Sie reden über Alltägliches, aber bald wird klar, das Essen steht für ihre Heimat, aus der sie geflohen sind. Die Erinnerung hält das Trio zusammen und mit dem Verlust des Gewohnten geht jeder anders um. Enkelin Daryna (Beritan Balci) scheint ein ganz normaler Teenager, sie daddelt an ihrem Handy, hat keine Lust auf die Schule. Szenen mit einer Mitschülerin zeigen aber, dass es für sie schwierig ist, Anschluss zu finden; geprägt von ihrer Kriegserfahrung, kann sie die Probleme anderer zunächst kaum nachvollziehen. Ihre Mutter Orysja (Sabine Osthoff) hat die Flucht initiiert und trägt die Verantwortung. Hinter der starken Fassade ist auch sie voller Zweifel und Sehnsucht, zudem hat sie Angst um ihren in der Ukraine zurückgebliebenen Mann Walik (Philipp Noack) mit dem sie regelmäßig chattet. Dieser hat sich in der Heimatwohnung verschanzt, um nicht zum Militär zu müssen. Am meisten hadert die Großmutter mit der neuen Heimat, sie will zurück, doch im letzten Moment scheitert ihre Rückreise ins Nirgendwo. In einer fiktiven Auseinandersetzung mit ihrem verstorbenen Mann befreit sie sich schließlich von ihrer Vergangenheit und vergisst sogar die Namen der Gerichte ihrer Heimat.

Die Autorin hat einen berührenden Text geschrieben, der die Gefühlswelt von Menschen in der Warteschleife eindringlich beschreibt; das Leben ist auf Pause gestellt. Mit der Figur des Katers gibt sie der Geschichte aber auch Leichtigkeit: Wunderbar ironisch beklagt das mitgeflohene Haustier, dass sein Leben in Unordnung geraten ist und dass es sich eine bessere Zukunft in einer Nachbarwohnung erträumt. Jeder Auftritt von Jan Pröhl als meckerndes Felltier bringt Heiterkeit und Zuversicht in die Szene ebenso wie die traditionellen ukrainischen Lieder, die gesungen werden. Ein weiterer Regiekniff ist die Doppelung der drei Frauen, die zunächst wie Statist:innen eingesetzt werden und immer wieder wie Gespenster aus einem anderen Leben auftauchen und wieder verschwinden. Später erzählen sie von ihrer eigenen Fluchtgeschichte nach Essen. Das ist wohl eine der bewegendsten Szenen in der knapp zweistündigen Inszenierung.

Unabhängig von der Aktualität erzählt „non-existent“ jedoch eine universelle Fluchtgeschichte, es ist das bittere Schicksal von vielen Menschen, die sich von einer Aufenthaltsgenehmigung zur nächsten hangeln und deren Heimat nur noch in ihrer Erinnerung existiert. Das Leben in einem Dazwischen zehrt an der Substanz und fehlende Zukunftsplanung macht Menschen depressiv. Das ist das eigentliche Drama für das das Theater leider auch keine Lösung parat hat.

non-existent
7.4, 25.4., 2.5., 18.5., 30.5.; Casa, Theater Essen

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