Mit 18 startete sie ihren eigenen YouTube-Channel, fast zehn Jahre später füllt sie die zehn größten Konzerthallen deutschsprachiger Länder: Shirin David ist für viele Menschen der Gen Z ein Sprachrohr und eine absolute Stilikone. Wir waren bei ihrer fünften Liveshow ihrer ersten Tour – so war’s in der Rudolf Weber-Arena in Oberhausen:
„Alles supersize, wie du weißt“ – Shirin David hat den Sprung geschafft
Den Traum vom Influencer:in-Dasein haben viele. Die Umsetzung ist jedoch gar nicht so einfach. Barbara Schirin Davidavicius steht kurz vor ihrem 19. Geburtstag, da beschließt sie als Shirin David auf einem YouTube-Channel mit unterschiedlichen Videos zu unterhalten. Ein wenig Infotainment. „5 Gründe, warum wir nie etwas zum Anziehen haben“, Makeup-Tipps, Haltungen zu Schönheits-OPs. In Deutschland gehört sie damit zu den Ersten und schlägt mit ihrer witzigen und direkten Art richtig ein. Keine zwei Jahre darauf landet sie als Feature von dem R’n’B-Sänger Ado Kojo einen Top-10-Hit.
Von da an gibt es quasi kein Halten mehr. Ihre Outfits inspirieren, ihr Channel wächst auf bis zu 2,8 Millionen Follower:innen, sie sitzt 2017 in der 14. Staffel von Deutschland sucht den Superstar in der Jury. Doch schon als Kind ist Shirin – Tochter einer litauischen Mutter und eines iranischen Vaters – musikalisch. Sie spielt Klavier, Geige, Oboe, bekommt Ballettunterricht, wird zusätzlich in Gesang und Schauspiel ausgebildet und spielt in mehreren Produktionen an der Hamburger Staatsoper. Genau diese Skills helfen ihr, 2019 mehr zu werden als eine bloße Influencerin. Ihre erste eigene Single „Orbit“ schafft es in die Top 5, die zweite Single „Gib ihm“ wird ihre erste Nummer 1 und kassiert Platin. Heute ein echter Kultsong.
Mit der ersten Livetour nur in die größten Hallen
Ohne Probleme hätte Shirin mit ihrem ersten Album „Supersize“, das im Herbst 2019 veröffentlicht wird, auf Tour gehen können. Doch ein halbes Jahr später, als erste Livepläne aufkommen, überrascht das fiese Coronavirus die Welt. Damit sind Konzerte erstmal ad acta gelegt. Letztendlich hat die 28-jährige die Zeit gut genutzt. Ihr zweites Album, auf dem sie sich weg vom R’n’B und Pop bewegt, ist lupenreiner Hip-Hop mit derben Beats und vor allen Dingen richtig guten Texten. Feministisch, selbstsicher, direkt, aber nie stumpf wird „Bitches brauchen Rap“ auch von der Kritik wohlwollend aufgenommen. Mittlerweile haben es fünf ihrer Singles an die Pole Position geschafft, viele weitere mindestens in die Top 10. Genug Material, um nun endlich auch live zu zeigen, was man kann.
Wo andere mit einer Clubtour oder mittelgroßen Hallen für zwei- bis dreitausend Besucher:innen starten, gönnt sich Shirin – so wie sie es eben immer tut – gleich richtig: Acht Gigs in Deutschland, einer in Österreich, einer in der Schweiz. Keine Location, die unter 12.000 Leute geht. Ansage. In NRW gibt es zwei Termine. Köln steht als zweites auf dem Tourplan, Oberhausen als fünftes.
Shirin David inspiriert ihr Publikum in Haltung und Fashion
Auch wenn die Rudolf Weber-Arena nicht ganz ausverkauft ist am 14.11., so muss man nach freien Plätzen schon etwas genauer gucken. Das größtenteils sehr junge Publikum ist mindestens zu 90 Prozent weiblich gelesen. Die meisten sind wohl um die 20. Viele huldigen der ersten deutschen Rapperin, die ein Album auf Platz 1 der Charts hievte, auch in den Outfits – entweder geht man aufreizend-sexy oder sportlich-chillig. Der Applaus für die in Hamburg geborene Künstlerin, die in Berlin lebt, ist riesig. Es wird geschrien und gleichzeitig nahezu jede Sekunde der 95 Minuten langen Show gefilmt, die pünktlich um 21 Uhr startet. Auch wenn Rap-Texte einiges mehr an Worten benötigen, können viele hier nicht nur die prägnanten Refrains, sondern auch jede Strophe. Das Mitrappen wird durch selbstbewusste Gestik unterstützt.
Denn genau dafür steht die Künstlerin: Lasst euch von den Männern nicht verarschen! Seid euer eigener Boss! Gebt gut auf euch Acht! Nehmt euch wichtig! Damit können hier wohl viele connecten. Nur einige haben eine männliche Begleitung dabei, die meisten sind mit ihren besten Freundinnen oder womöglich Partnerinnen vorbeigekommen. Sie bejubeln Shirins Ansagen, von denen es nicht allzu viele gibt, die aber dafür ebenfalls mit viel Stärke und Coolness daherkommen. Besonders schön sind Momente, in denen sie direkt einzelne Fans im Publikum anspricht. Bei einer lobt sie das Makeup, bei einem anderen männlichen Gast hofft sie, dass sie ihn am Ende des Abends überzeugen konnte. Sie sagt von sich selbst, dass sie die schönste Community hat, weil ihr besonders auffällt, wie viel Mühe sich einige beim Styling gegeben haben.
Rap mit Trap-Beats und emotionale Gesangsmomente in der Luft
Für die Bühne wird ordentlich aufgefahren. Ein meterlanger Steg bis in die Mitte der Halle, riesige Bildschirme, auf denen es aufwändige Clipmontagen und Visuals zu sehen gibt, in denen Shirin auch live zu sehen ist. Es gibt Feuereffekte, ein Jet-Ski und eine offene Halbkugel, in die sich Shirin setzt und damit zu „Fliegst du mit“ über der Bühne schwebt. Bei vielen der nach vorne gehenden Raptracks gibt es einige Backings aus den Studio Versionen, eine Liveband sucht man hier natürlich vergeblich. Dafür gibt es zehn starke Tänzerinnen und drei Backgroundladies, die bei den Tracks mit mehr Gesangsparts supporten. Für „Du liebst mich nicht“ hat sie sogar Ado Kojo dabei. In der finalen Zugabe „Ich darf das“ kommt ihr Supportact Josi auf die Bühne, mit der sie den Song gemeinsam performt. Sie ist die erste Künstlerin, die auf Shirins eigenem Label Juicy Money Records schon bald Songs veröffentlichen wird.
Am vergangenen Samstag in Zürich musste die Show gesundheitsbedingt unterbrochen werden. Schließlich brachte die Rapperin das Konzert aber trotzdem zu Ende. Auch in Oberhausen merkt man, dass sie noch nicht ganz mit voller Energie fährt. Sie weiß zwar immer, wann sie wie wo zu stehen hat und was zu tun ist, fährt aber zumindest tänzerisch nicht voll auf. Natürlich ist aber den Fans es wesentlich lieber, eine etwas zurückhaltendere Shirin zu sehen als gar keine. 26 Songs stehen auf der Setlist, bis auf „Orbit“ gibt es jede Single, die sie bisher herausgebracht hat und einige Albumtracks on top. Vorbildlich.
„Ich darf das“ – oder auch „Ich kann das“
Wenn am 23.11. der letzte Vorhang in Hamburg gefallen ist, haben über 100.000 Menschen die Show gesehen. Geht schlechter für eine erste Tour, oder? Shirin David trifft mit ihrem Faible für Style, ihrer Art, Dinge sehr direkt zu sagen und sich nicht von großen weißen Männern unterdrücken zu lassen, den totalen Zeitgeist junger Leute. Mit Sicherheit wird die nächste Tour nicht allzu lang auf sich warten lassen. Vier Jahre nach der ersten Single ist äußerst untypisch, aber auch den Corona-Umständen geschuldet. 2024 soll außerdem die neue LP folgen. „Lieben wir“.
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Wen du diesen Herbst live sehen kannst