Am Limbecker Platz in Essen und am Dortmunder Westenhellweg brummt der Einzelhandel weiterhin so sehr, dass die Einkaufsmeilen laut einer Analyse zu den beiden besten Adressen in ganz Westfalen gehören. Auf den Lorbeeren ausruhen sollten sich die Oberzentren dennoch nicht, denn Online-Handel und veränderte Kundenansprüche erfordern von Händlern, Politik und Shopping-Center-Entwicklern ein zügiges Umdenken, wenn man längerfristig wettbewerbsfähig bleiben will.
Die guten Nachrichten könnten schöner kaum sein: Laut dem aktuellen „High Street Report“ des Düsseldorfer Makler- und Beratungsunternehmen Comfort sind Dortmund und Essen die attraktivsten Einkaufsstädte in Westfalen. Der Analyse zugrunde gelegt wurden verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel der Umsatz der Einzelhändler im Jahr 2016, die Kaufkraft sowie Lage und Einzugsgebiete von bundesweit 70 Städten. Wie aus dem „High Street Report 2018“ hervorgeht, erzielte Dortmund im Gesamtjahr 2016 einen Einzelhandelsumsatz von 3,42 Milliarden Euro, davon 769 Millionen in der Innenstadt. Essen positionierte sich gleich dahinter mit 3,27 Milliarden Euro Umsatz, 766 Millionen davon im Innenstadtbereich. Als absolute Top-Lagen werden von Comfort der Dortmunder Westenhellweg und die Limbecker Straße in Essen benannt. Weiter heißt es, dass die beiden ECE-Einkaufscenter vor Ort – Thier Galerie und Center am Limbecker Platz – die Einkaufsstraßen gestärkt hätten. Alles in bester Ordnung also im Ruhrgebiet, obschon der Online-Handel den stationären Einzelhandel vermeintlich geschwächt hat?
Das lässt sich pauschal so nicht behaupten, wie Frank Osterhage vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund (ILS)anmerkt. Der Leiter der Forschungsgruppe „Metropole und Region“ beim ILS beschäftigt sich intensiv mit den Auswirkungen des Online-Handels auf die Handels-Infrastruktur von Innenstädten. Und so sehr er es begrüßt, dass Essens und Dortmunds Einkaufs-Hot-Spots weiterhin eine hohe Kundenfrequenz generieren, so weist Osterhage auch auf die durchaus vorhandenen Schattenseiten dieser Entwicklung hin. „Allgemeingültig lässt sich nicht beantworten, ob nun die Ansiedlung eines Einkaufscenters im Innenstadt-Gefüge einen Aufschwung für den stationären Handel in nächster Nähe mit sich bringt, oder gar ein Innenstadt-Killer ist“, sagt Osterhage. Denn ebenso, wie die Center mit ihren Angeboten ihren jeweiligen Standort aufwerten könnten, so führe eine so starke Konzentrierung von Handel und Gastronomie auch zu unerwünschten Nebeneffekten.
Viel Licht und viel Schatten
Die Center haben dazu beigetragen, dass sich auf den Einkaufsstraßen ein Ungleichgewicht gebildet hat“, so Frank Osterhage. Deutlich wird das in Dortmund zum Beispiel, wenn man den Ostenhellweg genauer betrachtet. Frank Osterhage: „Da hier die Mieten der Ladenlokale nach wie vor so kalkuliert werden, wie zu Zeiten vor der Thier-Galerie, hat man Mühe, Mieter für leer stehende Ladenlokale zu finden. Auf der anderen Seite wächst die Anzahl von Billiganbietern wie Tedi und 1-Euro-Shops weiter.“ Der Westenhellweg ist die Top-Adresse, aber Ostenhellweg und das Brückstraßen-Viertel wirken weniger attraktiv auf Kundenströme. Ein ähnliches Bild zeichnet sich in Essen ab. Während das Center am Limbecker Platz ordentlich brummt und seitens des Entwicklers ECE sogar als Creative Lab für neue Konzepte zur Kundenbindung genutzt wird, sorgt die Lage auf der Kettwiger Straße für Sorgenfalten. Statt Einkaufserlebnis gibt’s hier immer mehr Billigläden der üblichen Filialisten. Durch den stetigen Wegfall von Fachhändlern droht der Innenstadt an dieser Stelle ein Niveauverlust.
Abseits der Einkaufsmeilen, in den Randlagen droht zudem dem Handel der Bedeutungsverlust. In Essen-Holsterhausen versucht man den Leerständen ebenso Herr zu werden, wie in Dortmund-Dorstfeld. Hohe Fluktuationen bei den Mietern beherrschen jedoch auch die vermeintlichen Top-Lagen, denn deren Popularität bestimmt die Mietpreise. So kann der Quadratmeter auch bis zu 150 Euro kosten, wenn man als Händler vom Kundenstrom am Westenhellweg in Dortmund profitieren möchte. In Essen sieht’s ähnlich aus. Laut dem „High Street Report“ liegt man bei den Mietpreisen bis zu zehnmal höher als bei Gewerbe-Immobilien in den Innenstädten von Iserlohn oder Lüdenscheid, die die Comfort-Gruppe innerhalb der Analyse als mitunter unattraktive Standorte der Region ansieht. „Dennoch könnten den Oberzentren bald noch mehr Probleme ins Haus stehen, wenn sie sich nicht zukunftsorientiert aufstellen“, warnt Frank Osterhage. „Der Online-Handel ist ein Markt mit starkem Wachstum und die Kundenansprüche an Einkaufsstädte und Shopping-Center haben sich stark verändert. Der Einzelhandel steckt längst schon in einem Prozess, sich völlig zu verändern.“
Politik und Handel müssen reagieren
Das Ende des stationären Einzelhandels werden wir zwar laut Osterhage nicht erleben, doch räumlich wird er in Zukunft weniger präsent sein, als es in den vergangenen Jahren noch der Fall war. Der Kunde von heute verlange nach Erlebniswelten und sei nicht mehr damit in die Geschäfte zu locken, dass Filialisten nur oft genug Schilder mit der Aufschrift „Sale!“ in ihre Schaufenster klebten. „Die Zukunft gehört Innenstädten, die mit attraktiven Freizeitangeboten und spannenden Gastronomie-Konzepten punkten. Gastronomie ist der neue Handel“, erklärt Frank Osterhage.
Diese Veränderungen betreffe die city-integrierten Shopping-Malls ebenso wie den verbliebenen inhabergeführten Handel. „Onlinehandel muss als verlängerter Arm der eigenen Geschäftsfelder betrachtet werden und nicht als übermächtiger Feind.“ Multi-Channel-Konzepte, wie Klick’n‘ Collect, bei denen man online bestellt und die Waren im Laden vor Ort bekommt, sind auf dem Vormarsch, hat man beim ILS festgestellt. Direkte Kommunikation mit den Kunden über Onlinetools und vor Ort lösten die Marktschreier-Mentalität im Einzelhandel ab. Die Politik müsse zudem die Rahmenbedingungen für eine positive City-Entwicklung im Fokus haben, denn sonst drohe der baldige Bedeutungsverlust.
Bochum investiert in den Telekom-Block
Die Zeichen der Zeit hat man indes auch bei der Stadt Bochum erkannt und Nägel mit Köpfen gemacht, was die Revitalisierunng der Innenstadt angeht. Im Juli wurde deshalb der Kaufvertrag für den Telekom-Block unterzeichnet. An prominenter Stelle soll künftig ein „Haus des Wissens“ entstehen, in dem VHS, Bibliothek und eine urbane Markthalle beheimatet sein werden. „Mit dem Kauf der Immobilie erhalten wir die Gelegenheit, eine große Fläche in der Innenstadt im Ganzen als Handels-, Arbeits- und Freizeitbereich weiterzuentwickeln“, so Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke. „Das wird ein bedeutender Schritt nach vorne, durchaus auch ästhetisch.“ Für Andor Baltz, Geschäftsführer des Modehauses Baltz, ist die Übernahme der Immobilie durch die Stadt „ein gutes Signal dafür, dass die Innenstadt klar im Fokus ist und die erhoffte Aufwertung nun erfolgen kann.“