Konzerthaus Dortmund: Neuland – Experiment und Innovation

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Die Reihe „Neuland“ soll frischen Wind in den Konzertalltag bringen. Raphael von Hoensbroech, Intendant und Geschäftsführer des Konzerthauses Dortmund hat uns erzählt, warum es nötig ist, aus Gewohnheiten auszubrechen und sich auf neue Formate einzulassen.

Sie sind seit einem Jahr in Dortmund. Wie haben Sie sich eingelebt?
Super. Es dauert ja immer, sich in einer neuen Stadt einzuleben, aber Dortmund hat es mir sehr einfach gemacht. Eigentlich so einfach wie keine andere Stadt, in der ich mich einleben durfte. Das liegt an den Menschen, die unglaublich offen, humorvoll und warmherzig sind.

Hat sich in Ihrem ersten Jahr als Intendant und Geschäftsführer Ihr Blick auf das Konzerthaus Dortmund gewandelt?
Nein. Das Konzerthaus ist eines, das ich schon seit vielen Jahren beobachte. Wenn Sie mir eine Karte der deutschsprachigen Länder geben und fragen würden, welches Konzerthaus ich gerne führen würde, würde ich die Nadel auf Dortmund setzen. Mein Blick hat sich nicht gewandelt, sondern eher geschärft. Die Künstler, die hier spielen, spielen auf der ganzen Welt. Dass sie mit einer solchen Begeisterung hierher kommen, das wusste ich tatsächlich nicht. Die Künstler lieben das Haus.

Was begeistert Sie – und offenbar auch die Künstler – an dem Haus?
Ich finde, dieses Haus hat mit seiner Größe und mit dem Standort Dortmund ein sehr ungewöhnliches Potenzial. Sie müssen hier nicht das Wiener Publikum bedienen, das spezielle Vorstellungen davon hat, wie der Wiener Musikverein zu sein hat. Man kann experimentieren und gleichzeitig kommen auf Grund dieser unglaublichen Akustik die besten Künstler der Welt. Sie wollen kommen. Das heißt, denen kann ich vorschlagen in eine Richtung zu experimentieren.

Es ist keine Reihe für Spezialisten.

Beschreiben Sie die neue Konzertreihe in drei Worten.
Innovation. Experiment. Und – Neuland. Deswegen haben wir sie ja so genannt. Wir brauchen eine Konzertreihe, die bewusst mit dem Format Konzert spielt – in Verbindung mit neuen Technologien und allem, was der Konzertbetrieb zu bieten hat. Erst seit den 1870er-Jahren haben wir das klassische Konzertformat – also Ouvertüre, Solistenkonzert, Pause, Symphonie als Block, zwischen den Sätzen wird nicht applaudiert, Dauer: rund zwei Stunden. Wir sind heute in der Gewohnheit verhaftet, es könne nur genauso sein und es spricht ja auch viel dafür. Ich liebe es, mich zwei Stunden auf die Musik konzentrieren zu können. Vor 1870 war das Konzert aber alles Mögliche. Man ging raus, man aß, man applaudierte zwischen den Sätzen. Wir müssen schauen, dass wir in unserer Branche nicht museal werden und aufhören, das aktuelle Konzept zu hinterfragen.

Wie lange wird das aktuelle Konzept noch funktionieren?
Ich habe keinen Zweifel daran, dass das Konzept „Konzerthaus“ langfristig funktioniert. Wir haben steigende Besucherzahlen und überall in Deutschland entstehen neue Konzertsäle. Wir erleben ein wieder aufflammendes Interesse an Live-Erlebnissen. In der jetzigen Zeit, in der wir immer mehr in virtuellen Welten unterwegs sind, ist die Berührung mit einem Künstler im Saal wieder gefragt. Und der letzte Punkt: Die klassische Musik kommt wieder in die Ohren der Menschen. Vor 30 Jahren mussten Sie sich gezielt eine CD mit klassischer Musik kaufen. Heute sind Sie in Playlists unterwegs. Viele davon wie „Musik zum Dinner“ beinhalten völlig selbstverständlich klassische Musik, nur dass die Konsumenten oft nicht wissen, was sie da hören. Es ist eine andere Herangehensweise, aber die Akzeptanz von klassischer Musik steigt. Die neue Reihe ist auch nicht Abwehr gegen das Konzept sondern Investition in neue Möglichkeiten.

Wie gut passt Pekka Kuusisto, der erste Neuland-Künstler, in diese Umbruch-Denke?
Pekka ist einfach ein abgefahrener Typ, der nicht dem klassischen Star-Geiger entspricht. Er ist einer, der sich mit dem Konzertbetrieb auseinandersetzt. Er kommt mit der Academy des Mahler Chamber Orchestra: hälftig die Stammbesetzung und hälftig Jungprofis. Sie werden weniger das Verhältnis Publikum-Orchester aufbrechen – das haben wir in späteren Konzerten – als eher das Verhältnis Solist-Orchester. Eigentlich ein Einsteigerschritt in die Reihe.

Pekka Kuusisto | Foto: Felix Broede
Florian Sempey / Insula Orchestra | Foto: Julien Benhamou
Foto: Konzerthaus Dortmund
Foto: Konzerthaus Dortmund

Wen wollen Sie mit Neuland erreichen?
Es ist keine Reihe für Spezialisten. Neuland bietet die Chance, sich in einem ungezwungenen Rahmen mit klassischer Musik zu beschäftigen. Wir wollen Reibungspunkte bieten, woraus etwas Großartiges entstehen kann. Und ich möchte jeden einladen – und zwar wirklich jeden – sich mit offenen Augen, offenen Ohren, offenen Herzens in solch ein Experimentalkonzert hineinzubegeben. Wir haben das extra niedrigpreisig angesetzt, damit es sich jeder leisten kann. Und eines weiß ich ganz sicher, dass wenn man bei Neuland gewesen ist und die gleichen klassischen Stücke in einem anderen Konzert hört, dann sitzt man da mit anderen Ohren.

Wie haben Sie die Künstler ausgesucht?
Die Reihe geht über mehrere Saisons. Im ersten Schritt gehen wir auf die Suche und gucken, was es überhaupt gibt. Einige der Künstler kenne ich aus Berlin, sie habe ich mitgebracht – wie das Stegreif.orchester. Zu Nico and the Navigators hatte ich eine Idee, die ich umsetzen wollte. La Fura del Baus habe ich selber noch nicht erlebt, denke aber, wenn es eine Performancegruppe gibt, die hineinpasst, weil sie mit Multimedia arbeitet, dann müssen wir sie uns anschauen. So entstehen Bausteine. Das Potenzial fängt jetzt erst an. Künstler und Agenturen bekommen langsam mit, was wir hier machen und es entstehen neue Ideen. Wir haben bis jetzt noch nicht das Thema Digitalität integriert. Also so etwas wie Augmented Reality, Virtual Reality. Das sind Elemente, die ich unbedingt einbauen möchte.

Ja, ich will!

Wird es auch eine Zusammenarbeit mit der neuen Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität geben?
Ich habe an dem Tag, an dem der erste Stipendiat dort aufgenommen wurde, Kay Voges vorgeschlagen, etwas zusammen zu machen. Ich habe kein Projekt bisher auf der Bühne gesehen, in dem Augmented-Reality-Elemente wirklich künstlerisch gut eingesetzt wurden. Die Akademie hat die Leute, die an so etwas Spaß haben.

Planen Sie noch, das Brückstraßenviertel mehr einzubinden?
Bei uns hat gerade ein neuer Mitarbeiter angefangen, der das Thema entwickeln soll. Er macht seit zehn Jahren nichts anderes in Großbritannien als solche Community-Projekte. Auch an dieser Stelle werden wir in anderer Form echtes Neuland betreten. Im Moment kann ich nur sagen, ,Ja, ich will!‘, weil für mich die Diskrepanz zwischen Konzerthaus und den Häusern drum herum im Brückviertel zu groß ist: Es gibt viele Menschen, die laufen um das Konzerthaus herum und gehen nie hinein und es gibt andere, die gehen rein und raus, aber sie würden sich sonst nie in diesem Viertel bewegen – und das kann nicht sein.
Neuland: ab 19.11., Konzerthaus, Dortmund

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