Street Art: Häuser als Leinwände

Denis Klatt, Foto: Kevin Kindel
Teilen
Teilen

Wer öfter im Pott unterwegs ist, hat mit recht großer Sicherheit schon eines seiner riesigen Kunstwerke gesehen. Oft sind es farbenfrohe, kontrastreiche und surreale Unterwasserwelten, die Denis Klatt (42) an große Fassaden sprüht. Wie es bei ihm angefangen hat, wen er mit seiner Kunst erreichen möchte und was seine bisher coolste Reise war? André Kaminski hat ihn gefragt.

Wie hat es bei dir eigentlich damals mit dem Sprayen angefangen?
Ganz klassisch: Graffitis gesehen, abgemalt, angefangen. Später einen „echten“ Sprayer als Sitznachbar in der weiterführenden Schule gehabt. Das war 1994. Vorher habe ich schon sehr gerne und viel gezeichnet, am liebsten mit Bleistift.

Woher nimmst du die Inspiration für deine Kunstwerke?
Meine Arbeiten können autobiografisch, gesellschaftlich oder von der Natur inspiriert sein. Ich beschäftige mich zudem gerne mit dem Lichtfall und der Anatomie aller Objekte – ob technischer oder biologischer Natur. Viele Arbeiten entstehen auch einfach durch ein starkes Gefühl, das ich in ein Bild verwandel. Symbolik ist ein starkes künstlerisches Mittel, das ich nutze.

Dieses Bild hat Denis Klatt an der Malteserstraße in Bochum gesprüht.

Wen möchtest du damit erreichen?
Heute haben meine Arbeiten nur noch einen Bezug zu Graffiti, selbst sind sie ja nur noch eine Wandillustration. Hier ist der Adressat der Passant, der Anwohner. Es kommt also auf die Lage des Kunstwerkes an. Natürlich hat man auch zwangsläufig eine Reichweite über die neuen Medien.

Da wird es dann natürlich für jemanden im Ausland schwer, den lokalen Kontext der Arbeit zu verstehen. Die sehen dann etwa nur noch den süßen Vogel. Kinder sind die, die ich am liebsten erreichen möchte, denn ich wurde selbst als Kind von Fassadenmalereien gecatched. Ich erinnere mich noch an alte Fassadenwerbung, die in Bergkamen, wo ich aufwuchs, die Wände prägten.

Viele deiner Bilder zeigen Meerestiere und die Unterwasserwelt. Was reizt dich an diesen Motiven?
An den Unterwasserwelten reizt mich vor allem das Licht. Ich habe mich in allen meinen Zeichnungen viel mit dem Licht und der Lichtgebung auseinandergesetzt. So eine Wasserunterfläche ist also eine recht große Herausforderung für einen Maler. Ich mag die Ruhe, die es vermittelt. Außerdem verbinde ich das Meer mit Familien-Urlaubsreisen meiner Kindheit in die Türkei. Und die türkische Version meines Namens bedeutet ja auch Meer.

Ebenfalls in Bochum (Franz-Vogt-Straße) entstanden ist dieser Pottwal, der den Strukturwandel symbolisiert.

In Bochum hast du einen riesigen Pottwal gesprüht. Unter anderem sind darauf auch sinkende Fördertürme zu sehen…
Zu dem Zeitpunkt, als ich den Wal malte, der sinnbildlich für den „Pott“ stehen soll, stand die letzte Zeche im Ruhrgebiet vor der Schließung. Stellvertretend für bereits andere geschlossenen Zechen, Kokereien und Stahlwerke habe ich versunkene Zechen dargestellt. Die Zeche Prosper-Haniel auf dem Rücken des Wals steht also kurz vor Schließung. Der Wal selber begibt sich in die neue Zeit, dargestellt durch die Farbänderung. Strukturwandel wäre der Oberbegriff für das Motiv.

Und unweit vom Dortmunder U hast du gerade einen Vogel gesprüht…
Genau, das Bild am Dortmunder U zeigt eine Blaumeise, die ich als Anwohner des Wohnblocks vom Balkon aus in der Baumkrone einer riesigen Birke oft beobachte. Sie steht für Freiheit, für die Ortsgebundenheit und Freude. Dargestellt auf der Wand finden wir die Dürre, die für das aktuell brachliegende Kulturleben und die Wirtschaft steht. Der berühmte Rhino mit Flügeln ist nur noch ein gewöhnlicher Rhino auf der Suche nach Wasser. Ein trockener Baum treibt Kirschblüten, dies steht für die Hoffnung.

Das Dortmunder U wirft weit seine Schatten ins Leere. Hinter dem Berg, der auch für die Vergangenheit steht, zeigt sich die alte Silhouette der Kokerei Kaiserstuhl. Es zeigt das Vergängliche. Der umgefallene Bierkrug steht ganz klar für die brache Gastro und Vergnügungswirtschaft. Dem Vogel ist das Ganze völlig egal.

Das neueste Werk in Dortmund an der Ecke Rheinische Straße/Augustastraße

Du bemalst riesige Wände, stehst aber gleichzeitig direkt davor, während du malst. Wie funktioniert das?
Das hat der eine oder andere schon in der Grundschule gelernt. Das nennt man Rastervergrößerung. Man überträgt maßstabsgerecht einfach ein Raster. Ich habe damals schon für meine Mitschüler Rastervergrößerungen gegen Bezahlung gemalt. Eins davon, ein Stillleben, hängt vielleicht immer noch in Arnsberg im Schulministerium – unter einem anderen Namen.

Aber es gibt viel Wege. Man kann frei arbeiten oder Programme nutzen, um Motive transparent digital auf die abfotografierte Fassade zu legen. Wenn es wirtschaftlich sein soll und die Möglichkeit besteht, kann man auch einen Beamer benutzen.

Du hast mittlerweile schon in diversen Ländern gesprüht. Was war deine bisher spannendste Reise?
Ich würde Kirgistan und die USA nennen. Kirgistan bereiste ich auf Einladung der Deutschen Botschaft. Es hatte ein bisschen etwas von einer Zeitreise in die alte Türkei, die ich als Kind durch Urlaube kannte. Aber auch einfach eine wahnsinnig spannende kulturelle Mischung.

In den USA war ich in Austin/Texas als Künstler für die Formel1. Eine super lebendige und liberale Stadt, die unter anderem berühmt für ihr Nacht- und Konzertleben ist. Da trifft alles aufeinander. Das Stadtmotto ist „Keep Austin Weird“. Die 6th Street, eine Partymeile, ist einfach einmalig.

Hast du abschließend vielleicht noch ein paar Tipps für junge Nachwuchskünstler, die Interesse an Street Art haben?
Street Art kann ja so vieles sein. In meinem Fall wäre Höhenangst für Nachwuchskünstler eher hinderlich. Gute handwerkliche Basics sind zum Vorteil. Respekt, Disziplin, Sicherheit, Arbeitseifer und ganz wichtig: die Liebe zur Kunst. Es sollte eine Passion sein. Nicht ein Weg, um Geld zu verdienen.

Beste Events, Trends und Reportagen für die Rhein-Ruhr-Region