Unter Druck – Ein Psychiater spricht über Bodyshaming

Mobbing trifft das Opfer meist mit voller Wucht. Foto: Adobe Stock
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Selbsthass ist eine weit verbreitete Form des Hasses. Er wächst bei vielen, je mehr Finger auf sie zeigen. Und der Leidensdruck ist groß. Ulrike Böhm-Heffels hat mit Psychiater Hans Joachim Thimm über das Thema Bodyshaming gesprochen – denn ein Urteil über die Körper anderer ist schnell gefällt. Online werden rund um die Uhr Menschen für ihr Aussehen beleidigt. Dabei hat Schönheit unendlich viele Facetten.

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Selbst Promis sind nicht davor geschützt

Sängerin Adele hat den Hass zu spüren bekommen, US-Schauspielerin Sophia Bush wettert gegen Bodyshaming und Autorin Magda Albrecht schrieb vor wenigen Jahren ein Buch mit dem Titel „Fa(t)shionista – Rundum glücklich durchs Leben“. Mit ihrem Buch gegen das geradezu inflationäre Mobbing in unserer Gesellschaft möchte sie anderen helfen, sich in ihrem Körper wohlzufühlen. Adele dürfte das ewige Gemecker um ihre Kilos („Zu dick!“ / „Viel zu krass abgenommen!“) auch gründlich satt haben, aber gleichzeitig steigt das Selbstbewusstsein bei der Frau mit der bombastischen Stimme. Adele findet es wichtig, zu sich selbst zu stehen. In einem Radiointerview sagte sie: „Dich gibt es nur einmal, also warum solltest du so aussehen wie alle anderen?“

Schönheitswahn und fiese Kommentare können schlimme Folgen haben. Foto: Pixabay

Das Problem mit den sozialen Netzwerken

Sophia Bush äußerte sich zum Thema Bodyshaming. Seit es soziale Netzwerke und Photoshop gebe, stünden alle Menschen mehr unter Druck. „Das ist doch verrückt! Wir sind als Frauen darauf konditioniert, uns ständig selbst zu hassen. Doch wir haben es in der Hand, das zu ändern. Let’s go!“ Die Bilderflut auf Instagram, Formate wie „Germany’s next Topmodel“ tauchen Tausende vor allem jüngere Frauen in Selbstzweifel und treiben viele von ihnen in die Praxen der plastischen Chirurgie: Fettabsaugungen, aufgespritzte Lippen, vergrößerte Busen, Korrekturen im Intimbereich – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wenn die Beurteilung von Menschen ausschließlich anhand derer Körper und Äußerlichkeiten stattfindet, ist das Bodyshaming. Bei einer Umfrage der internationalen Data and Analytics Group YouGov vor zwei Jahren kam heraus, dass bereits 25 Prozent der Deutschen die Erfahrung von Bodyshaming gemacht haben. Besonders häufig werden Frauen aufgrund ihres Körpers beleidigt (29 Prozent, bei Männern sind es 20 Prozent).

Was kann ich tun? Ein Interview mit Psychiater Hans Joachim Thimm

Wie also entkommt man der Spirale aus verordneter Schönheit, dem inneren Zwang, sich daran halten zu müssen und der Verzweiflung, diesem angeblichen Ideal nicht näherzukommen? Fragen an den Psychiater Hans Joachim Thimm, der viele Jahre als Leitender Oberarzt die Allgemeine Psychiatrie der LWL-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Dortmund führte und dabei Tag für Tag Depressive behandelte.

Hans Joachim Thimm. Foto: privat

Herr Thimm, früher sprach man von Hänseln, das gerne schon mal im Kindergarten begann und immer Spielkameraden betraf, die irgendwie anders waren, nicht der vermeintlichen Norm entsprachen. Ist dieser miese Charakterzug, andere niederzumachen, also per se in uns Menschen angelegt?

Außerhalb einer Gruppe, die „Anderen“ zu finden und sie mit unterschiedlichen Attributen zu bezeichnen, das ist nicht nur einfach, sondern hilft auch, den Zusammenhalt der eigenen Peer Group zu stärken. „Wir, mich natürlich eingeschlossen, sind alle gleich (gut) und besser als die anderen Menschen.“ Das Phänomen beginnt schon im Kindergarten und setzt sich in der Schule fort. Erziehung und soziale Kontrolle können die Entwicklung solcher dissozialen Charakterzüge sicher beeinflussen.

Wird das Mobben uns heute leichter gemacht durch die angeblich sozialen Medien?

Mobbing bekämpft man, indem man die Mobbenden und ihre oft fragwürdigen Behauptungen ins Licht der Öffentlichkeit stellt. Dies ist in sozialen Medien leider kaum möglich, solange sich Mobber hinter Pseudonymen verstecken. Manchmal wird dann deutlich, dass eine diffamierende Aussage wie „Du bist zu dick und unförmig“ aufzeigt, dass der Mobbende möglicherweise ein sehr beschränktes Schönheitsbild hat oder vielleicht auch an seinem eigenen Körper zweifelt. In sozialen Medien ist zudem das schnelle Statement üblich. Es lohnt sich, vor der rasch hingeschriebenen emotionalen Äußerung das Hirn einzuschalten.

Und die durch Social Media erreichte weltweite Öffentlichkeit wirkt beim Bodyshaming wie ein Turbo, nicht wahr?

Die überlegten, leider auch die unüberlegten Äußerungen, erreichen über Social Media in Sekundenschnelle eine große Öffentlichkeit. Sie werden von vielen Usern, oft ohne weitere Reflektion, zitiert. Das macht solche Äußerungen sehr brisant. „Wenn so viele Menschen dies oder jenes Denken, dann muss das wahrhaft sein.“ Wahrhaft? Mitnichten. Wahnhaft sehr oft!

Mit welchen Konsequenzen? Man liest immer wieder von Selbsthass bis hin zum Suizid.

Soziale Medien machen Personen zu Objekten. Ohne persönliche Begegnung und ohne Diskurs entfernen wir uns von menschlichem und solidarischen Zusammenleben. Das macht es den Tätern leicht, sich herablassend und beleidigend über Andere, die vielleicht nicht der Norm entsprechen, zu äußern. Opfer von Bodyshaming oder Mobbing im Netz sind oft allein. Es fehlt die offene Auseinandersetzung mit den Urhebern. Auch für die Opfer wird viel zu oft die Meinung anderer Menschen zur Wahrheit. Der Gedanke: „Ich bin anders, gehöre nicht dazu“, macht einsam, kann zur Selbstabwertung führen und macht mitunter depressiv.

Fallen Angriffe im Netz oft auch auf fruchtbaren Boden, weil man sich selbst zu dick, zu klein, zu alt, zu hässlich findet? Was lässt sich also tun, um endlich mit sich ins Reine zu kommen, damit die verbalen Angriffe künftig nur abprallen, ohne seelischen Schaden anzurichten?

Zunächst einmal sind die Täter, die Urheber von Bodyshaming, meist selbst unsicher und brauchen den Feind da draußen. Sie wollen sich möglicherweise, wie schon im Kindergarten, durch ihre Äußerungen der Solidarität ihrer Peer Group versichern.

Aber auch die Opfer halten es mit dem, oft transportiertem Idealbild von der Frau, die gertenschlank und stets attraktiv zu sein hat oder mit dem Mann, der hochgewachsen und trainiert zu sein hat. Menschen, die diesem Idealbild entsprechen, haben es oft leichter an Jobs zu kommen und gelten als erfolgreich. Studien belegen, dass Bewerber:innen, die dem Idealbild nicht entsprechen, weniger oft von Arbeitgebern eingestellt werden und später beruflich nicht so erfolgreich sind. Solche Misserfolgserlebnisse, gepaart mit beschämenden Äußerungen, führen bei den Gemobbten dazu, dass sie sich überkritisch betrachten. Den Fülligen sagt man viel zu oft nach, dass sie zwar lustig und kumpelhaft aber auch undiszipliniert und faul sind. Welch ein Unsinn.

Bei der Frage, was hilft gegen Bodyshaming, mit einem Patentrezept zu antworten, scheint mir zu einfach. Mir fällt auf, dass nur sehr wenige Menschen dem transportiertem falschen Idealbild entsprechen. Dicke, Dünne, Schwarze, Gelbe, Weiße, Couchpotatoes oder Sportliche, Einfache, Schlaue, Mobber oder Opfer zeigen mir: Die Welt ist vielfältig, divers. Ich bin entschieden gegen Einheitsbrei.

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