Ruhrtriennale: Rauschende Ballnacht in Industriekathedrale

Strike a Pose! Foto: Carolin Windel
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Discokugeln, fünf an der Zahl, von imposanter Größe baumeln von der Decke. Entsprechende House-Beats mit den Ornamenten der 70er, 80er und 90er pumpen durch den Raum. Beim Hochkultur-Fest Ruhrtriennale ist es Zeit für eine Party, diesmal soll es sogar ein Ball sein. Der „Pump into the Future Ball“. Natürlich, so gebietet es die Institution, wird hier nicht ansatzlos gefeiert (das gibt es aber durchaus auch im Programm). Hier, am Samstagabend, mit ordentlichem Überhang in die Nacht, hält die Ballroom-Szene Hof. Eine seit Jahrzehnten immer wieder in den Mainstream abfärbende Subkultur, deren Wurzeln in der queeren Subkultur amerikanischer Großstädte seit den 1960ern liegen, wo sich zumeist schwarze und hispanische Marginalisierte fern weißer Heteronormativität sichere Räume schufen, um nach eigenen Regeln zu feiern, zu tanzen, zu lieben.

Eine einzige Hommage. Foto: Carolin Windel

Bei den „Balls“ traten und treten „Häuser“ gegeneinander an. Das sind soziale und ästhetische Konstruktionen, Wahlfamilien quasi, denen eine respektierte „Mutter“ oder ein ebensolcher „Vater“ vorsteht. Sie benennen sich dabei gerne nach populären teuren Modemarken, deren eigentlicher Erwerb ökonomisch unerschwinglich sein sollte. Es konkurrieren bei den Treffen die Mitglieder der Häuser in verschiedenen Disziplinen, die mal tänzerische-physische Skills erfordern, mal modische Extravaganz, dann auch wieder Stil und Attitüde. Eine Subkultur, die visuell reich ist, voller Rituale und Codes, geprägt zusätzlich von überaus viel Toleranz und Respekt. Die „Häuser“ sind hochkomplexe soziale Orte, in denen Kunst und Kreativität Wege sind zur Emanzipation und Selbstverwirklichung.

Eine solche Subkultur wird und wurde immer gerne wieder vom Mainstream adaptiert, in den frühen 1990ern etwa bei den Vogue-Videos von Madonna, der ausgezeichneten und weltbekannten Doku „Paris brennt“ von Jennie Livingston oder der Serie „Pose“ von Ryan Murphy auf Netflix. Populärer: seit 2009 mundgerecht für alle bereinigt von Ru Paul mit seinen „Drag Races“.

Und so ist in Bochum auch schnell mal ein kleiner Diss in diese Richtung zu hören: Man sei hier nicht bei Ru Paul, wird das Publikum ermahnt, das hier, das sei authentisch. Tatsächlich gastierten vor allem wichtige Protagonist:innen der deutschen und europäischen Ausprägung der Szene. Host und Mikrofon-Taktgeberin ist Georgina Philp, „Legendary Trailblazer European Mother Leo St. Laurent“. Das Setting in der Industriekathedrale: Zentral eine karierte Mischung aus Laufsteg und Tanzfläche, links und rechts davon je zwei Stuhlreihen für Dutzende Performer:innen in auffälligen Kostümierungen, dahinter Stehplätze für Fans, die gerne nah dran sind an der „Community“. Ein Jurytisch, ein DJ-Pult (an den Reglern: Ceekay). So das Ensemble.

Mehrere Stunden Voguing bis weit nach Mitternacht verspricht „Pump Into The Future Ball“. Foto: Carolin Windel

Das bildet räumlich durchaus das politische und soziale Selbstverständnis der Szene ab: Ein Großteil der Triennale-Gäste schaut aufs faszinierende Geschehen von einer Tribüne. Doch das ist offiziell eben „keine Produktion der Ruhrtriennale“, sondern ein „Community-Event“. Nicht unproblematisch, denn die Standards einer „Produktion“ werden entsprechend auch nicht eingehalten. Statt der Programmankündigung: „Beginn 20 Uhr, vier Stunden mit Pausen“, geht es um 20.30 Uhr los, die Pause wird gegen 23.30 Uhr abgesagt, weil man mit der Running Order zurückliege, tatsächlich hat man die Halbzeit nicht erreicht. Als die Jury gegen Mitternacht mit Pizza versorgt wird, ist das Publikum auf der Tribüne entsprechend ausgedünnt und ausgetauscht. Bis dahin ist aber auch schon Erstaunliches zu sehen gewesen.

Das restlos ausverkaufte Spektakel, das Mode, Musik, Tanz mit Extravaganz, Attitüde und eben für Neu-Zuschauer:innen schwer zu decodierenden Ritualen verbindet, reißt mit. Die Ballroom-Szene feiert sich. Vor allem die Mitglieder der ersten und zweiten Generation der Berliner Szene seit 2012, die hier sind. Aber auch Performer:innen aus ganz Europa und den USA.

„Von der Underground-Kultur zum globalen Phänomen“, wie es die Ruhrtriennale selbst beschreibt. Foto: Carolin Windel

Natürlich wird auch in dieser Szene darüber gesprochen, wohin der Weg einer solchen Subkultur führen kann (Pariser Modenschauen, Netflix, Ruhrtriennale, RTL+, what‘s next?). Doch genießen viele Protagonist:innen das Sichtbarwerden, die Wahrnehmung, die Jobs in den Medien. Doch der Community-Gedanke scheint sehr stark zu sein, glaubt man Interviews und Artikeln. Man weiß, wo man herkommt.

Preise gibt es an einem solchen Abend reichlich, Kategorien wie Hand- und Arm-Performance zu Klassischer Musik muten speziell an. Es gibt Laufsteg-Performances (Runway), tanz- oder körperbasierte Kategorien, modische Duelle, mal Male, mal Female, mal non-binär, Big & Beautiful Performances oder auch „Realness“ (traditionelle Kategorie, die sich um Stärke und Resilienz vor allem von trans Personen dreht).

Tribünenbesucher:innen staunen, klatschen mit, lassen sich einsaugen und fühlen sich durchaus eingeladen und abgeholt, auch wenn ein Rest eines voyeuristischen Gefühls bleibt. Der Kunst- und Hurz-erfahrene Ruhrtriennale-Dauergast schaut sich derweil das Treiben gutgelaunt und wohlwollend an. Wer die letzten Performance-Acts („Drag Performance“, „Legendary Performance“, „realness with a Twist“ und „Tag Team Performance on nostalgic Pop Music“) sehr, sehr weit nach Mitternacht noch miterlebt hat, hat den ersten Schritt von eine:r Zuschauer:in in die Community gemacht.

Mehr zur Ruhrtriennale, die noch bis zum 15.9. läuft, auf der Website, bei Facebook & Instagram.

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