Mensch und Natur stehen im Mittelpunkt der Ruhrtriennale 2024. Ariane Schön hat für uns (und euch) das Programm mal etwas genauer unter die Lupe genommen.
Ivo Van Hove weiß, worauf er sich als neuer Leiter der Ruhrtriennale einlässt: Der belgische Theatermacher kennt das Festival von Beginn an und hat dort bereits mehrfach mit eigenen Arbeiten überzeugt. Er profitiert auch von seinen Erfahrungen mit der Bespielung großer Hallen in der ganzen Welt. Beim Blick ins Programm fallen Namen wie Björk, PJ Harvey und Herbert Grönemeyer auf, die Ausgangspunkt für Kreationen modernen Musiktheaters sind – und genau das macht das Festival so besonders. In der Produktion „Abendzauber“ vereinen sich Kompositionen des Romantikers Anton Bruckner mit der avantgardistischen Sängerin Björk.
Es geht um das Verhältnis des Menschen zur Natur in Zeiten der Industrialisierung und des Klimawandels. Krystian Lada, Alexander Lüken, Sebastian Breuing kreieren gemeinsam mit dem Chorwerk Ruhr eine Installation in der Mischanlage auf der Zeche Zollverein, in die das Publikum eintauchen soll. Und wenn man schon auf dem Essener Gelände ist, locken Urbane Künste Ruhr zur aktuellen Ausstellung „Landscape of an Ongoing Past“ mit Utopien aus Vergangenheit und Gegenwart im Salzlager (mittwochs bis sonntags 12-19 Uhr).
Magie und Drama
Eine magische Anziehung wird „Haugtussa“ nachgesagt, sie ist die Titelfigur aus einem Lyrikwerk von 1895 des norwegischen Nationaldichters Arne Garborg. Seinerzeit hat der Text Edvard Grieg zu einem Liederzyklus inspiriert und Regisseurin Eline Arbo führt dies zu einem Gesamtkunstwerk in der Bochumer Jahrhunderthalle zusammen. Im Zentrum steht das Hirtenmädchen Haugtussa, das, im Gegensatz zum damaligen Frauenbild, ein selbstbestimmtes Leben führt, sich aber auch in ihrem Anderssein und in einer unerwiderten Liebe verliert. Eine ebenfalls dramatische Liebesgeschichte erzählt Jean Racines „Bérénice“. Regisseur Romeo Castellucci setzt das Sujet mit der Schauspielikone Isabelle Huppert in Szene. Die auf einen Monolog gekürzte klassische Tragödie des römischen Kaisers Titus, dessen Heirat mit der jüdischen Königin Bérénice per Gesetz verboten war, liegt ganz in den Händen von Hupperts Schauspielkunst. Um soziale Rollen, Erwartungen anderer und den Wunsch nach Selbstverwirklichung geht es in „I Want Absolute Beauty“. Songs von PJ Harvey bieten die Grundlage für Schauspielerin Sandra Hüller, die sich gemeinsam mit Tänzer:innen vom Ballet National de Marseille (LA)HORDE auf eine Identitätsreise begibt.
Film im Theater
Eine theatrale Reise in den Kosmos des georgischen Filmregisseurs Sergey Paradjanov ist mit „Legende“ betitelt, dem Künstler ist in Armenien ein ganzes Museum gewidmet. Inspiriert von seinen surrealen Bildern bringt Kirill Serebrennikov das Schaffen des 1990 verstorbenen Filmemachers in einen neuen Zusammenhang, musikalisch unterstützt vom Trinity Cathedral Choir aus Georgien.
Im Metropolis Kino Bochum kann man in einer speziellen Filmreihe noch mehr über Serebrennikow, Isabelle Huppert und andere Festivalakteur:innen erfahren. Live in der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord gibt’s anarchische Unterhaltung von Regisseur Herbert Fritsch. Zusammen mit den Bochumer Symphonikern mitsamt Chor wird „Pferd frisst Hut“ als Slapstick-Musical von Herbert Grönemeyer präsentiert. Das Kreativduo hat sich die Verwechslungskomödie „Der Florentinerhut“ von Eugène Labiche vorgenommen und die Dialoge und Songtexte aktualisiert.
Freie Liebe im Tanz
Zwischen Barock, Broadway und Rave bewegt sich das Musikspektakel „The Faggots and their Friends between Revolutions“ nach dem gleichnamigen Kultroman des Amerikaners Larry Mitchell aus den späten 70ern. Die Bochumer Jahrhunderthalle wird zur lustvollen Schau der freien Liebe in einer deutschen Erstaufführung des New Yorker Opernregisseurs Ted Huffmann. Mit dabei ist der britische Komponist Philip Venables, der sich in seinen Theaterarbeiten mit Zusammenhängen von Sexualität, Gewalt und Politik beschäftigt. Einen Blick in die Zukunft wirft das Opera Ballet Vlaanderen in „Futur Proche“ und dabei geht es wieder um das Verhältnis von Mensch und Natur. Choreograf Jan Martens und seine 20 Tänzer:innen präsentieren ihre Version in der Jahrhunderthalle Bochum.
Minimal Music, Elektronik & Hip Hop
Eine Konzertreihe stellt vergessene Musiktalente ins Zentrum, als erster steht der US-amerikanische Komponist Julius Eastman im Fokus. Das Grammy-nominierte Ensemble „Wild Up“ aus Los Angeles wird Eastman als Vertreter der Minimal Music dem Publikum vorstellen. Aus der Region kommt Pianist Nils Frahm mit „Music for Ruhr“, der Klassik mit Elektronik verknüpft, Flügel, Synthesizer, Loops und Echos kommen zum Einsatz. Und mit ihren gesellschaftskritischen Themen ist die ukrainische Rapperin alyona alyona die Stimme einer Generation, sie singt über Geschlechterrollen, Ausgrenzung und Selbstbestimmung. Beim diesjährigen Eurovision Song Contest überzeugte sie im Duett und belegte den 3. Platz, nun bringt sie stimmgewaltigen Hip Hop nach Duisburg.
Wochenende im Wunderland
Das Festivalzentrum rund um den Wasserturm an der Bochumer Jahrhunderthalle lädt zu vielen kostenlosen Aktivitäten ein: Samstags um 11 Uhr gibt’s Do-it-yourself-Workshops für Kinder und Erwachsene zu verschiedenen Themen, abends locken DJs und Partys. Jeden Sonntag um 14 Uhr geben Musiker:innen aus dem Festivalprogramm musikalische Einblicke in ihre Arbeit. In Bewegung kommen Interessierte bei den sonntäglichen Tanzworkshops, Choreograf:innen laden zum Kennenlernen verschiedener Stile ein (Anfänger:innen willkommen!). Theaterbesucher:innen, die in eine Sonntagnachmittagvorstellung gehen, können das „Happy Sundays“-Angebot nutzen und ihre Kinder für ein zeitgleiches Aktivangebot anmelden. Ebenfalls am Sonntag läuft die Literaturreihe „Brave New Voices“, in der Autor:innen wie Édouard Louis (18.8), Sivan Ben Yishai (25.8), Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah (1.9), Jeremy O. Harris (8.9) sowie Cemile Sahin (15.9) im Gespräch mit der Moderatorin Fatima Khan über ihre Texte und die Welt sprechen (mit Gebärdendolmetscher:innen). Dafür ist eine Eintrittskarte erforderlich.
Junge Triennale sucht Gesprächsanstifter
Programmdramaturgin Britta Schünemann lockt das junge Publikum mit dem Figurentheaterstück „Little Ears, Tiny Feet“, älterer Nachwuchs kann sich für das Mitmachangebot „Triennale Teens Talk“ bewerben. Letzteres richtet sich an Jugendliche, die zu „Gesprächsanstiftern“ werden möchten; Probenbesuche und Workshops inklusive. Am Ende steht ein eigenes Projekt. Familien und Schulklassen sind aufgerufen, sich an der „Celebration Parade“ mit eigenen Tierfiguren-Kreationen zu beteiligen (29.-31.8.). Die Handspring Puppet Company aus Südafrika schickt lebensgroße Elefanten durch den Bochumer Westpark, den Landschaftspark Duisburg-Nord und das Gelände von Zollverein und bringt einen Hauch von Afrika im Revier.
Ruhrtriennale – Festival der Künste: 16.8.-15.9., Bochum, Duisburg, Essen.
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