Mit Mina Richman durfte sich dieses Jahr eine Künstlerin aus Bielefeld über den Hauptpreis beim popNRW freuen, deren Soul-Pop-Sound so international klingt, dass er äußerst positiv überrascht und auf Anhieb überzeugt. Wir sprachen mit ihr wenige Wochen nach der Verleihung über ADHS, Aufnahmesessions und das Erwachsensein.
Mina Richman über ihre Auszeichnung beim popNRW
Mina, im September wurdest du für den popNRW-Preis in der Hauptkategorie „Outstanding Artist“ nominiert. Wie war das Gefühl, als du davon erfahren hast?
Linn vom popNRW hat mich angerufen, da saß ich gerade mit der ganzen Band und meinem Partner, der das Tourmanagement für uns macht, im Auto. Ich habe ganz oft laut „Oh mein Gott“ gesagt, weil mir im gleichen Atemzug auch mitgeteilt wurde, dass wir gewonnen haben. Alle wollten sofort wissen, mit wem ich da telefoniere. Die Gewinner:innen wissen schon vorher, dass sie gewinnen, weil sie dann vor Ort bei der Verleihung auftreten. Ich durfte aber natürlich lange niemandem was sagen, was auch ganz ok funktioniert hat. Ich habe weder dem Label noch meinem Booker was verraten – nur gesagt, dass die Verleihung an dem Tag ist, wir nominiert sind und der Termin geblockt werden muss.
Für mich war es eine totale Aufregung und eine totale Erleichterung zugleich. Für die eigene Musik für einen Preis nominiert zu werden und ihn dann sogar zu gewinnen, ist einfach eine krasse Wertschätzung. Eine Validierung, die in der Musikbranche schwer zu bekommen ist. Man hat keinen Chef, der einem sagt, dass man etwas gut macht. So etwas fühlt sich aber in etwa genauso an. Eine Jury sagt, dass man das toll macht. Ich konnte mir auch angucken, wer in der Jury sitzt und war total begeistert, weil das Leute aus der Branche sind, die sich viele solcher Bands angucken und uns dann ausgewählt haben. Das tut richtig, richtig gut nach einem so harten Jahr mit viel Arbeit und viel Zweifel.
Wenn das Ganze jetzt etwas gesackt ist, motiviert es dich dann mehr oder setzt es extremer unter Druck?
Es ist sehr vielschichtig. Mich motiviert es total. Es unterstützt auch sehr, weil die Ausgaben für die nächste EP erstmal gedeckt sind. So wird etwas Druck herausgenommen, die Kosten anderweitig einzuholen. Allerdings ist für mich sowieso immer Druck da. Erst kam das Debütalbum, dann die Tour mit einigen ausverkauften Konzerten, nun die EP, dann die nächste Tour, bei der wir die größten Hallen wieder gebucht und andere vergrößert haben. Wir haben einiges gelernt, gehen nun mit einem anderen Headspace in die Tour, aber auch ins Studio. Es ist also eine Mischung aus „Es muss gut weitergehen“ und ein bisschen Entspannung.
Wem würdest du gern einen Award verleihen? Wer hat deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient?
Ich finde Stina Holmquist aus Duisburg, die letztes Jahr als Newcomer nominiert waren, echt groß. Becky Sikasa aus Köln war in beiden Kategorien schon nominiert und hätte durchaus mal gewinnen können, die macht so tollen Neo-Soul. Sehr schöne Stimme. Außerhalb von NRW fällt mir sofort King Josephine aus Berlin ein, die liebe ich.
„Ich habe schon immer wahnsinnig gern gesungen. Auch mit meiner Oma. Lieder aus einem Wanderliederbuch.“
Skizziere gerne mal deinen Weg zur Musik – wie wurdest du sozialisiert?
Ich habe schon immer wahnsinnig gern gesungen. Auch mit meiner Oma. Lieder aus einem Wanderliederbuch, weil meine Großeltern große Wanderer waren. Oder an Weihnachten. Dann aber auch im Schulchor und nonstop zuhause zu Liedern aus dem CD-Player. Richtig obsessiv mit Hyperfokus. Mein Papa hatte eine Best of von Vaya con Dios, die habe ich ganz doll geliebt, genauso die Greatest Hits von Michael Jackson. Von Mama kam hingegen Nena und Udo Jürgens, das fand ich sogar schon in der Grundschule toll. Als ich dann aber Pink und das „Funhouse“-Album entdeckt habe, war die sofort meine Lieblingssängerin, weil zu der Zeit Pink meine Lieblingsfarbe war. Später religiös Adele und Amy Winehouse gehört und dann in die Indie-Szene eingestiegen.
Ich war ein Jahr in den USA, und als ich von dort zurückkam, hat meine Mama mir vorgeschlagen, nachdem ich etwas gesungen habe, Gesangsunterricht zu nehmen, worüber ich mich riesig gefreut habe. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass man das einfach so machen kann, ich dachte, man müsse dafür vorsingen. Dann wurde es konkreter, indem ich in einer Rockband Led Zeppelin und Janis Joplin gesungen habe. Als Corona kam, war mir langweilig ohne Ende. Ich habe zwar meine Bachelorarbeit geschrieben, war aber auf der anderen Seite viel alleine, weil meine WG-Mitbewohnerin selten da war. Ich hatte dann meine Routine mit Sport, Frühstücken, Schreiben und Musizieren. Immer hin und her zwischen Schreibtisch und Gitarre. So habe ich angefangen, auch intensiv eigene Songs zu schreiben.
Habe dann Cover auf Instagram hochgeladen, ein paar Demos aufgenommen, mich bei Labels beworben und genau eins hatte Bock auf mich. Mit denen habe ich meine erste EP aufgenommen, die herausgebracht und auf einmal ging alles irgendwie weiter und ich war Musikerin. Eigentlich habe ich das nie forciert. Ich habe mich einfach hingesetzt und hatte die Idee, Konzerte zu spielen. Label, Booking-Agentur, Festivals, jetzt der Preis. Joa. (lächelt)
Klingt ein bisschen wie im Märchen!
Ja, ein bisschen. Viel dazwischen war auch harte Arbeit, Selbstzweifel und Sorgen. Einfach war das auf gar keinen Fall. Aber es ging irgendwie schnell und für das Tempo war es rückwirkend schon einfach. Doch.
Gut, dass du Amy Winehouse und Adele erwähnst. Dein Album „Grown Up“ hat auf jeden Fall viel von den Anfangszeiten dieser beiden Künstlerinnen. War das von Beginn an so geplant oder ein Weg dorthin zu genau diesem Stil?
Auf jeden Fall ein Weg. Angefangen hat das mit Singer/Songwriter auf Ukulele und Gitarre, dazu dann ein bisschen Percussion und später noch eine E-Gitarre von Freddy, meinem Gitarristen, als wir uns kennengelernt haben. Das Album ist wirklich kollaborativ mit der Band entstanden – Friedrich aka Freddy Schnorr von Carolsfeld an der Gitarre, Alexander Mau am Bass und Leon Brames am Schlagzeug.
Ich habe in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine Anfrage für ein Album bei der Initiative Musik rausgeschickt. Das war wirklich filmreif, weil die Server down waren, ich den Antrag zwar angelegt hatte, da aber was falsch war. Eine Minute vor Frist habe ich den richtigen Antrag gestellt, sodass wir Geld zugesichert bekommen haben, also ein Album machen mussten, aber bis auf zwei Songs noch nichts hatten. Keine anderen Songs, keine Produzenten. Wir haben im Januar 2023 Tobias Siebert, der unter anderem für Juli und Enno Bunger produziert hat, angeschrieben und ihm vorgeschlagen, dass wir im Herbst unser Album herausbringen und nun vorbeikommen wollen. Das fand er etwas überstürzt und meinte, dass er eher Frühjahr 2024 vorschlägt. Trotzdem hat es sofort zwischen allen geklickt.
Also waren wir im Sommer im Studio, haben uns vorab regelmäßig an Abenden getroffen und in ganz dubiosen Proberäumen Songs geschrieben. Freddy steckte noch in seiner Ausbildung, wir waren eigentlich alle mit anderen Dingen beschäftigt und hatten keine Kapazitäten – dafür bin ich aber wahnsinnig stolz, was dabei herausgekommen ist. Das ist für mich der Beweis, dass wir auch unter fragwürdigen Bedingungen gut arbeiten und tolle Songs entstehen können. Man darf das nicht so zerdenken, die erste Intuition ist oft die richtige. Mittlerweile weiß ich auch selbst während der Produktion, was ich gern anders hätte oder wo ich mich einbringen kann. Das ist meinerseits nun mehr als nur Stimme und Text.
„Ich glaube nicht, dass man überhaupt wirklich erwachsen wird.“
Wenn dein Album „Grown Up“ heißt, wie ist denn nun erwachsen zu sein oder zu werden?
Ich finde, erwachsen zu sein oder zu werden, ist eine Illusion. Eine totale Lüge. Ich glaube nicht, dass man überhaupt wirklich erwachsen wird. Entweder lernt man, wie man ein Mensch wird, der man sein möchte und der mit anderen Menschen gut zusammen sein kann, vielleicht sogar einen positiven Einfluss auf die Welt hat – oder man lernt es eben nicht. Es gibt manche, die sehr früh erwachsen sind, weil sie gute Startbedingungen haben, selbstreflektiert sind. Andere brauchen länger. Und ich habe gelernt, radikal ehrlich zu sein. Das klappt immer ein Stück besser. Für mich bedeutet es, mit eigenen Fehlern umzugehen. Eine gesunde Fehlerkultur zu haben, Selbst- und Fremdfürsorge zu praktizieren. Eine gewisse Zufriedenheit mit sich selbst zu haben.
Das Album ist in einer Phase der Selbstreflexion und In-Mich-Schauens entstanden. Ich glaube, ich bin seitdem auch etwas erwachsener geworden, wobei der Begriff nicht so gut zu mir passt. Ich finde, dass erwachsen sein häufig auch bedeutet, dass man keinen Spaß haben darf. Ich bin aber ein totales Spielkind. Ernster bin ich also nicht geworden, ich gehe nur noch früher ins Bett als zuvor, weil ich so gerne um 6 aufstehe und um halb 10 schlafen gehe. Stundenlang vor dem ersten Termin rumrödeln und auf meiner Switch zocken zu können, das liebe ich.
Was ich andererseits gemerkt habe, ist, dass Glück eine Momentaufnahme ist. Ein Auftritt bei einem Festival oder in der Hometown, wenn die Leute schon klatschen, bevor man auf die Bühne kommt – das sind kurze Augenblicke. Von denen zehre ich zwar mehrere Tage, das Dopamin und Adrenalin hält lange an. Gleichzeitig ist nach Hause zu kommen und den ganzen Tag nur mit der Switch auf dem Sofa zu chillen, genauso toll. Ganz ohne Bestätigung von außen, sich cool zu fühlen. Ich übe das zwar immer wieder und habe es noch nicht perfektioniert, sonst wäre das Leben auch langweilig und schon vorbei – aber das nehme ich auf jeden Fall für mich aus diesem krassen Jahr mit.
Ist auch etwas, was wir in der Gesellschaft extrem vernachlässigen. Der Leistungsdruck ist so hoch. Ich unterrichte einen Englischkurs in der Schule, die sind alle um die 16. Die sind einerseits so cool und zielstrebig, andererseits aber so unsagbar erschöpft. Die machen sich immer Sorgen, sind natürlich noch nicht so strukturiert. Ich probiere den Leuten aber mit Entspannung gegen zu wirken, schlage ihnen eine Atemübung aus dem Yoga vor, bei der es mir gar nicht darum geht, dass sie die toll finden, sondern nur, dass sie es probieren. Ich zeige ihnen, dass es nicht um die Bewertung im Außen geht und es für mich ok ist, wenn sie mich blöd finden. Wenn ich das auf meine Musik ausweite, hilft mir das enorm. Ich brauche nicht, dass man meine Musik mag, ich möchte nur, dass man ihr die ehrliche Chance gibt, reinzuhören und sie zu testen.
Nicht zuletzt finde ich es noch wichtig, nicht mehr etwas zu verstecken, wofür man sich schämt, sondern die Scham loszuwerden. Das ist gerade im Kampf um Frauenrechte wichtig. Die Scham muss die Seite wechseln. Ich habe einfach irgendwann gesagt „Fuck it, they‘re gonna hate me anyway“, von daher mache ich es einfach so, wie ich es gut finde.
Hat dir denn dein Lehramtstudium für deine Musik geholfen – oder auch umgekehrt?
Ich kann durch das Studium auf jeden Fall bessere Pressetexte schreiben, die schreibe ich nämlich alle selbst. Mein Englisch ist besser geworden. Ich konnte das Album für kreatives Schreiben als Prüfungsleistung einreichen, das war echt praktisch. Und am Ende bedingt sich für mich beides irgendwie gegenseitig. Ich glaube, dass ich die erarbeitete Bühnenpräsenz schon immer in mir hatte, weil ich früher als Kind auch ganz lange Bauchtanz gemacht habe. Deswegen stehe ich vor meinen Schüler:innen so wie vor einem Publikum. Ich verstelle mich nicht, erzähle nur andere Geschichten. Etwas, was mir schon immer lag. Ich habe zum Beispiel auch immer gerne Referate gehalten.
Du gehst auf deinem Instagram-Profil offen mit deiner ADHS um. Möchtest du eine Identifikationsfläche bieten oder geht es da auch um die Rückmeldungen deiner Community?
Beides. Zunächst habe ich den Anspruch an mich selbst, ehrlich zu sein. Eine gewisse Privatsphäre finde ich schon wichtig, aber es gibt zu wenig diagnostizierte ADHS-Erkrankungen bei Frauen, weswegen ich das thematisieren möchte. Da herrscht noch so viel Scham, ich merke das ja auch manchmal bei mir, wenn Leute sagen: „Konzentriere dich doch mal, das ist doch nicht so schwer!“. Doch, ist es. Meine Gehirnhälften können nicht richtig miteinander kommunizieren, das läuft einfach anders.
Ich möchte, dass Leute das wissen. Ich probiere damit auch zu erklären, warum ich manchmal Dinge verpeile oder in den privaten Nachrichten nicht gut beantworte. Ich habe aber auch viele Menschen mit ADHS um mich herum, es gibt also einen Austausch privat wie öffentlich. Auch auf der Bühne sage ich etwas dazu. Es gab so viele liebe Nachrichten zu dem Thema, somit glaube ich, dass das genau das Richtige war. Es ist ein Teil von mir und den möchte ich teilen. Vielleicht motiviere ich jemanden dazu, sich selbst diagnostizieren zu lassen. Worst Case: Die Leute denken „Ok, Mina hat ADHS, alright“ und Ende.
Mina Richman über ihre iranische Familie, Feminismus und Queerness.
Du erzählst aber auf der Bühne noch viel mehr über dich. Du redest über deine Queerness oder von deinen iranischen Wurzeln, du wirst politisch. Wie ist das für deine Familie? Kollidieren da mal deine Weltanschauungen mit denen der anderen?
Nö. Mein Vater brauchte einen kurzen Moment mit dem Queer-Ding. Ich weiß auch gar nicht, ob er das ganz genau gecheckt hat. (lacht) Aber ansonsten komme ich aus einer sehr liberalen und progressiven Familie mit vielen starken Frauen. Mein Vater hat seinen Vater mit 13 verloren, die Mutter mit vier Kindern war also sehr früh alleinerziehend. Der Onkel von meinem Vater hat mehrere unverheiratete Töchter in Führungspositionen, die selbst demonstriert haben. Die Attitüde ist also auch bei denen „Kein Bock auf Heiraten, ich brauche keine Zustimmung von meinem Mann, um das Land zu verlassen“. Die eine, die von denen geheiratet hat, hat das sogar unterschreiben lassen, dass sie die Erlaubnis von ihm nicht braucht. Sowieso sind in dem Land sehr viele total progressiv.
Bei mir wurde also immer ganz klar vermittelt, dass eine Ausbildung und ein Job erstmal vorgehen. Lediglich mit dem Wort Feminismus ist mein Vater erst angeeckt, weil er so wie die meisten erstmal nur an Alice Schwarzer gedacht hat, mit der ich jetzt nicht unbedingt in Verbindung gebracht werden will. Dafür, dass er im Iran sozialisiert wurde, ist es unglaublich, wie wenig er an Geschlechterrollen glaubt. Als ich mit 13 eine Fliege wollte, ist er los und hat sie mir gekauft. Das Einzige, was er wollte, ist, dass ich kein Kopftuch trage. Und ob ich heute einen Anzug oder ein Kleid trage, ist ihm egal. Die Familie im Iran ist auch sehr unterstützend und feiert, was ich tue. Das ist echt schön. Alles war irgendwie sehr einfach.
Was ist denn deine Lieblingsaufgabe in der Musik? Schreiben, Aufnehmen, Livespielen?
Livespielen. All the way. Ich mache den Rest nur dafür. Mittlerweile machen das Aufnehmen und Schreiben auch Spaß, aber dabei sehe ich uns immer, wie wir es live spielen werden. Ich sage währenddessen schon „Hey, ich sehe schon die Menge, hier klatschen wir jetzt alle!“. Wir lieben das einfach. Wenn ich nur noch live spielen könnte, würde ich es machen.
2025 steht an. Was wünschst du dir für die Welt und für dich?
Weltfrieden wäre richtig geil. Einfach nirgendwo mehr Krieg. Und gutes Wetter hier im Sommer wäre auch geil. Und zur Musik: Ende März kommt eine neue EP mit fünf Songs, dann gehen wir wieder auf Deutschlandtour, sind mehrmals in NRW unterwegs. Einige Festivals sind auch schon bestätigt. Außerdem kommt im März noch eine weitere krasse Sache, die darf ich aber noch nicht verraten. Wir machen einfach weiter wie bisher. Gleiche Tour, gleiche Masche, gleiche Mina, paar neue Songs. Das wird gut.
Mehr über Mina Richman auf ihrer Website, bei Instagram, Facebook und TikTok.
NRW-Termine: 18.1. Schwarzer Adler Rheinberg, 19.1. Hutkonzert Krefeld, 2.4. Gdanska Oberhausen, 5.4. Forum Bielefeld, 2.5. Musikbunker Aachen, 14.5. Gleis 22 Münster
Komm gut durch den Winter!