Lost Places: Marcel Hein und das vergessene Europa

Foto: Marcel Hein
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Wo Moos über Betten wächst, es durch löchrige Decken tropft, die Natur die Zivilisation besiegt, dort findet der junge Fotograf Marcel Hein seine Motive. Der Duisburger spürt verlassene Orte im Ruhrgebiet und in europäischen Nachbarländern auf, um ihre faszinierende Magie in Fotografien einzufangen.

„Als ich 17 war, habe ich eine verlassene Industrieanlage in Duisburg entdeckt. Ein riesiges Gelände, total runtergerockt, überall Graffitis – also eigentlich nichts Spannendes. Aber ich war fasziniert.“ Eine Handvoll Jahre später ist für Marcel Hein aus dem erweckten Interesse eine Leidenschaft geworden. Über das Internet recherchiert er nach immer neuen Orten, die dem Verfall überlassen wurden. Was er dort findet, will er möglichst authentisch abbilden. „Ich fotografiere nur mit natürlichem Licht und inszeniere nichts. Ich fange nur ein, was ich sehe.“

Foto: Marcel Hein

Besonders anziehend findet der selbstgelernte Fotograf alte Möbel in Umgebungen, die so wirken, als hätte hier gerade noch der Alltag getobt, wo der Verfall aber schon Einzug gehalten hat. „Etwa ein altes Hotel, in dem noch komplett eingerichtete Zimmer zu finden sind. Mit Bett, Tisch, Sessel, altem Kastenfernseher. Doch überall wuchert schon Moos und Licht fällt durch die undichte Decke. So kämpft quasi die Natur gegen die Menschheit – und andersherum.“ Motive, die unweigerlich Fragen aufwerfen. Wer hat hier wie gelebt und was ist mit ihnen passiert? „Teilweise findet man noch Unterlagen, Hefte voller Kontoauszüge und mehr. Über die Geschichte vieler Orte kann man auch durch Recherchen noch viel erfahren.“

Führten die ersten Touren den 21-Jährigen noch vor allem in die Industrieruinen des Ruhrgebiets, streckte er schnell die Fühler über die Grenzen seiner Heimat hinaus. „Klar, im Ruhrgebiet gibt es viel zu entdecken, aber auch viel Vandalismus. Das liegt vielleicht an der geballten Masse an Leuten, die hier leben. Fährt man etwa nach Belgien, sieht man teilweise kaum Menschen auf den Straßen. Hier finden sich dann auch verlassene Orte in erstaunlich gutem Zustand.“ Vandalismus ist auch einer der Gründe, warum er und andere Fotografen mit Faszination für sogenannte Lost Places nie preisgeben, wie sich die Orte in den Fotografien finden lassen. „Es gibt eine Community für diese Art von Fotografie, in der es aber schwierig ist, Fuß zu fassen. Man ist da aus gutem Grund verschwiegen. Viele Leute wissen diese Orte nicht zu schätzen, sehen keinen Wert darin und zerstören das mutwillig. Ich finde, man muss respektvoll mit diesen Sachen umgehen, in den meisten Fällen gehören sie ja auch noch jemandem.“

Ist das überhaupt erlaubt?

Foto: Marcel Hein

Ähnlich gut geschwiegen wird über die Legalität dieser Fotoexkursionen. „Sagen wir so: In den meisten Fällen ist es ne Grauzone.“ Kann Marcel die Besitzer eines Ortes ausfindig machen, zeigen die sich meist kulant und gewähren Zutritt. Unangemeldeter Besuch kann aber unangenehme Reaktionen mit sich bringen. „In Belgien hat uns ein Besitzer mit gezogener Waffe begrüßt. Wir mussten eine Strafe zahlen, die aber völlig legitim war. Danach war er freundlich und hat von der Geschichte des Ortes erzählt.“Für das perfekte Bild reiste der Duisburger schon nach Frankreich, Italien, Belgien, in die Niederlande und quer durch Deutschland. An einem Tagesausflug, der um zwei Uhr in der Früh beginnt, werden bis zu 15 Stationen abgeklappert und mehrere tausend Kilometer gefahren.

Die aufkeimende Popularität des Themas „Lost Places“ sieht Marcel Hein kritisch. „In Berlin etwa werden viele Touren angeboten. Die kosten richtig viel und darum ist alles mit Securitys abgeriegelt. Lohnt sich nicht. Auch Formate wie Galileo finde ich nicht okay. Die treten nicht nur das Thema platt, sondern verraten auch genau, wo sich die Orte befinden.“ Das locke die falschen Leute mit den falschen Ideen an. „Für mich gilt: Wir nehmen nichts mit, wir lassen keinen Müll da, rücken nichts rum, brechen nichts auf.“ Für Marcel Hein eine Ehrensache.

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