Es ist das Jahr 2019, im Sommer erreichen die Temperaturen über 40 Grad, wir befinden uns im Zeitalter des Klimanotstandes. Über 40 deutsche Städte, etliche davon in NRW, sind den Aufrufen der Demonstranten von Fridays for Future gefolgt und haben den Klimanotstand ausgerufen. Doch was genau bedeutet dieser Notstand für einen Ort und seine Bewohner? Und wie setzen die Städte der Region ihn um?
Als erste Stadt in NRW rief die niederrheinische Gemeinde Tönisvorst am 16. Mai den Klimanotstand aus. Eingereicht wurde der Antrag dafür von den Bürgern der Stadt selbst – der Rat stimmte deren Resolution zu. Diese erklärt den Kampf gegen den Klimawandel zur „Aufgabe von höchster Priorität“ und dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen „um die Erwärmung bis 2050 auf die angestrebten 1,5°C zu begrenzen“. Diese Formulierungen finden sich in jeder Resolution bzw. jedem Ratsbeschluss, die den Klimanotstand ausruft – mal mehr, mal weniger explizit. Grundlage für diese Beschlüsse ist eine Resolution der Konstanzer Fridays-for-Future-Bewegung, nach der sich der Rat der Stadt am Bodensee richtete, als er am 2. Mai als erster den Klimanotstand für eine deutsche Stadt ausrief. Dem Beispiel folgten auch in NRW etliche Städte, etwa Bochum, Leverkusen, Düsseldorf, Köln, Bonn, Aachen, Herne und Gelsenkirchen. Die wichtigsten Forderungen aus der wegweisenden Konstanzer Resolution: Eine Anerkennung der Dringlichkeit der Klimakrise, das Eingeständnis, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen und ein Zugeständnis, zukünftig bei allen politischen Entscheidungen die Auswirkungen auf das Klima zu berücksichtigen und Lösungen mit positivem Effekt auf den Klimaschutz zu bevorzugen. Zudem soll die Stadtverwaltung, die Öffentlichkeit regelmäßig zu dem Thema informieren.
Thema Nachhaltigkeit
Düsseldorf mit großem Ziel
Klimanotstand ist aber keine bindende Maßnahme mit rechtlichen Konsequenzen bei Nichteinhaltung, dazu haben die Stadträte rein rechtlich auch gar nicht die Möglichkeit – es ist eine freiwillige Selbstverpflichtung. Wie diese ausgelegt wird, wie streng die Ziele ausfallen und wie akkurat sie verfolgt werden, obliegt jeder Stadt selbst. Düsseldorf etwa formulierte nebst Klimanotstand eine überraschend konkrete Zielsetzung: Bis 2035 will die Stadt klimaneutral werden. Nur noch zwei statt 6,6 Tonnen CO2-Emission sollen pro Kopf pro Jahr aus der Landeshauptstadt kommen. Dazu sollen alle relevanten Beschlussvorlagen mit entsprechenden Informationen ausgestattet werden. Schon am 21.11. soll ein Konzept zur Emissionsreduzierung vorgelegt werden. Auch die Metropole Köln gab ihrer Klimanotstandsausrufung etwas Handfestes mit: Relevante Ausschuss- und Ratsentscheidungen werden auch hier mit einer Klimafolgenabschätzung versehen, die explizit die Auswirkungen auf den Klimaschutz benennt. Was die Ausschuss- oder Ratsmitglieder mit dieser Information anstellen, ist nicht definiert. Ähnliche Vorschläge wurden in anderen Städten oft abgelehnt.
Teufel im Detail
So wird beim Blick auf weitere Ratsbeschlüsse zum Klimanotstand aus der Region deutlich: Jeder Beschluss ist individuell – und dabei steckt der Teufel oft im Detail. Die Stadt Herne zum Beispiel formuliert etwas anders als Tönisvorst: Die bisherigen Maßnahmen werden nicht als unzureichend ausgewiesen, stattdessen will man „bisherige erfolgreiche städtische Klimapolitik“ weiterentwickeln. Die Herner Stadtverwaltung will kommunizieren, dass in der Stadt bereits viel am Klimaschutz gearbeitet wird und man diesen Weg auch weitergehen will. Schwammig wird es im Bekenntnis dazu, zukünftig bei allen politischen Entscheidungen den Klimaschutz vorne anzustellen. Laut Herner Beschluss ist „die Eindämmung des Klimawandels (…) bei allen Entscheidungen grundsätzlich zu beachten“. Keine Verneinung, aber verpflichten will man sich zu nichts. So fehlt auch der Zusatz, Alternativen mit positivem Effekt auf den Klimaschutz zu bevorzugen. Ein Knackpunkt in etlichen der Klimanotstandserklärungen: Bindende Zusagen, politische Prozesse konkret zu verändern, werden erstmal nicht gemacht. In Bochum will man die klimafreundlichen Alternativen „wenn immer möglich“ berücksichtigen, in Gladbeck soll „der Klimaschutzaspekt als ein wesentlicher und gesonderter Punkt behandelt werden“, in Gelsenkirchen wird erstmal nur „auf klimafreundliche Alternativen prioritär geprüft“. Ergo: Man will das Thema verstärkt berücksichtigen, im Zweifel soll es aber auch nicht im Weg stehen.
In Gelsenkirchen führte das zu einem Eklat. Laut den Gelsenkirchener Grünen ist der Antrag von SPD und CDU am 11.7. „im letzten Moment“ eingereicht worden und zwar als deutlich abgeschwächte Version des ursprünglichen Antrags. Größter Kritikpunkt: Der Klimaschutz werde nicht explizit vorrangig behandelt und klimafreundliche Alternativen seien nicht bindend zu bevorzugen. Fraktionsvorsitzender Peter Tertocha nannte den Antrag in einem Redebeitrag „windelweich“ und eine „Mogelpackung“.
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Ein wirksames Signal
Selbst wenn die politischen Konsequenzen einer Klimanotstanderklärung schwach ausfallen, ist für die Demonstranten von Fridays for Future ein anderer Punkt ausschlaggebend: Die Ausrufung ist ein breitenwirksames Signal, das dem Thema Klimaschutz, das sonst gerne vertagt wird, mehr Gehör und Gewicht verleiht. „Über die Entwicklung sind wir natürlich erfreut“, sagt Samuel Nellessen von Fridays for Future aus Düsseldorf. „Jedoch sind damit keineswegs unsere Ziele erreicht – wir haben noch einen zu erfüllenden Forderungskatalog!“ Dass die Politik die Klimakrise anerkennt und ihre Dringlichkeit zugibt, ist für die Demonstranten ein erster Schritt – ihre Proteste sind deshalb noch lange nicht beendet, die Arbeit längst nicht getan.
Der Forderung, die Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen über die Fortschritte und auch die Schwierigkeiten im Kampf gegen die Klimakrise zu informieren, kommen derweil so gut wie alle Städte in ihren Beschlüssen nach. Wie und in welchem Turnus bleibt noch offen, auf die ersten Berichte darf man aber gespannt sein, da diese transparent machen werden, was der Klimanotstand wirklich verändert hat – aber auch, an welchen gewinnbringenden Projekten viele Städte schon seit langer Zeit hart arbeiten. Dass diese jahrelangen Bemühungen nun bagatellisiert werden könnten, veranlasst einige Stadträte in der Region zur Ablehnung des Klimanotstandes. Etwa in Witten, wo sich FDP Vorsitzender Frank-Steffen Fröhlich gegenüber der Funke Mediengruppe wie folgt äußerte: „Mich stört es, wie die Klima-Debatte sprachlich geführt wird – und dass wir so tun, als hätten wir in Deutschland 20 Jahre überhaupt nichts für den Klimaschutz getan.“ Der Begriff Klimanotstand sei Hysterie und Populismus. Eine Ansicht, die auch die Essener FDP teilt, die in Europas Grüner Hauptstadt 2017 gemeinsam mit SPD und CDU die Klimanotstandsausrufung verhinderte. Und auch in Dortmund lehnt man den Notstands-Begriff ab. Uwe Waßmann von der CDU erklärte das laut Ruhr Nachrichten in der Ratssitzung zum Thema so: „Wir wollen handeln, statt dramatische Worthülsen zu platzieren.“ FFF-Aktivist Samuel Nellessen hält dagegen: „Städte die meinen, dass die Lage, in der wir uns befinden, kein Notstand und der Begriff ‚irreführend‘ ist, sollten mal die Nachrichten einschalten. Wer nicht sieht, dass jeder von uns ein kleines Zahnrad in der Lösung der Klimakrise ist, verschließt mutwillig die Augen vor der größten Krisen unserer Zeit.“
Ein erster Schritt
Obwohl der Klimanotstand nicht erklärt wurde, einigten sich die Ratsfraktionen auf diverse Punkte, die den Klimaschutz vorantreiben sollen. Wie in Dortmund wird dank der Welle an Klimanotstandbekundungen in jeder Stadt aktuell über das Thema diskutiert. Ob im Stadtrat, beim Frisör oder am Küchentisch. Der erste Schritt der Fridays-for-Future-Bewegung ist also so oder so nicht unerfolgreich. Ihre Botschaft ist angekommen: Die Klimakrise ist real, die bisherigen Anstrengungen reichen bei weitem nicht aus, jetzt ist die Zeit zu handeln. Ohne Einschnitte werden die nötigen Ziele nicht erreicht werden – viele Menschen sind schon bereit dafür, vor allem ein großer Teil der jungen Generation zeigt dieses Bewusstsein. Nun ist es Zeit für Politik und Wirtschaft nachzuziehen und Signalen (wie dem Ausrufen des Klimanotstandes) auch Handlungen folgen zu lassen. Mit anderen Worten: Es ist ein Stein ins Rollen geraten, der nun viele weitere Tritte braucht …
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