Techno-Party zum Jazzfestival-Geburtstag in Münster

LBT | Foto: Ansgar Bolle
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Es ist Sonntagmittag, aus dem kleinen Haus des Theaters Münster dringen stampfende Beats, monotone Melodielinien und Bass-Gewaber. Klingt hier eine ausschweifende Electro-Party vom Vorabend aus? Nein, das deutsche Klaviertrio LBT (das übrigens am 3. März in der coolen Konzertreihe Urban Urtyp in der Bochumer Christuskirche auftritt) spielt akustischen Techno – und sorgt damit für eine von vielen Überraschungen des Jazzfestival-Jubiläums in Münster.

40 Jahre hat das Festival jetzt auf dem Buckel und seit über 30 Jahren wird es von Fritz Schmücker programmiert. Dass das große und kleine Haus seit Jahren an allen drei Konzerttagen ausverkauft sind, obwohl selbst ein jazzaffines Publikum meist kaum einen Namen der Auftretenden kennt, zeigt, welches Vertrauen er genießt. Schmücker agier völlig losgelöst von Zeitgeist-Forderungen, bei ist zum Beispiel kein Top-Act der angesagten Londoner Szene aus der Riege Gogo Penguin oder Mammal Hands zu finden. Auch eine Frauenquote mag er sich ganz offensichtlich nicht auferlegen, so dass zwar grandiose weiblichen Stimmen und Klangfarben zu finden sind, aber für das Jahr 2019 doch etwas zu wenige. Dafür gibt es große internationale Vielfalt und spannende europäische Kooperationsprojekte.

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Fritz Schmücker muss in Münster einen ständigen Spagat ausführen: Das vorherrschende Publikum, das in diesem Jahr von einem Forscher der Uni Bielefeld evaluiert wurde, besteht aus grauhaarigen, weißen Männern – und denen sind Neuerungen nur bedingt zuzumuten. Umso erstaunlicher sind die Szenen, die sich beim Trio LBT abspielen, dass die Freiheit des Jazz mit der repetitiven Struktur elektronischer Musik vereint. Während Bassist Maximilian Hirning sein Instrument auf den Boden legt und das Mikrofon für überraschende Soundeffekte mit einem Sprühdose bearbeitet, stehen ältere Konzertbesucher von ihren Sitzen auf und tanzen in einer Ecke des Saals. Sie können einfach nicht anders. Und bei Strukturwechsel im pausenlosen Konzertset, gibt es Jubel wie sonst für den DJ im Club.

LBT | Foto: Ansgar Bolle

Die ungarische Sängerin Veronika Harsca vermählt im großen Haus mit ihrem genialen Gitarristen Bálint Gyémánt und einer belgischen Rhythmusgruppe Ost und West, Jazz und Pop. Sie verzaubert mit einem Timbre, das an die berühmte Norwegerin Ane Brun erinnert und findet von freien, lautmalerischen Passagen immer wieder zu leicht verstehbaren, songdienlichen Strukturen. Eine echte Entdeckung ist auch das Trio im einen französischen Pianisten mit karibischer Abstammung: Grégory Privat. Die Stücke, die auf dem Studioalbum „Family Tree“ manchmal etwas zu zahm und glatt klingen, finden auf der Bühne zu Wildheit und Kraft mit unwiderstehlichen Grooves. Privat spielt Flügel, E-Piano und Synthesizer – manchmal gleichzeitig – und singt dazu ab und an mit verfremdeter Stimme, am Ende zusammen mit dem Publikum.

Das große Finale mit dem österreichisch-deutschen Ensemble Shake Stew, dem Gitarristen Tobias Hoffmann alias „The Golden Twang“ im golden glänzenden Anzug und Sängerin Angela Maria Reisinger im schillernden 1920er-Jahre-Outfit wäre in seiner Opulenz vielleicht gar nicht nötig gewesen, um einen guten Jazzfestival-Jahrgang zum Abschluss zu bringen. Shake Stew spielen Retro-Jazz mit einer gehörigen Portion Show und Grandezza. Was lebendiger in Erinnerung bleiben wird, sind eher kleine Momente wie die erstaunliche schwebende Eleganz und unbändige Kraft des estnischen Duos aus Kadri Voorand an Stimme und Elektronik und Bassist Mihkel Mälgand.

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