Richtig gelesen, Isabelle Huppert spielt nicht die Bérénice, sie ist sie in Romeo Castelluccis Ruhrtriennalen-Inszenierung des französischen Klassikers von Jean Racine. Das Premierenpublikum in der Duisburger Kraftzentrale erlebte die französische Star-Schauspielerin gute 90 Minuten lang als zweifelnde, kämpfende, anklagende und zu guter Letzt gebrochene Heldin der barocken Tragödie.
Monolog für Isabelle Huppert
Castellucci streicht in seiner Inszenierung weitestgehend alle handelnden Personen bis auf Bérénice, baut die strenge Tragödie in einen Monolog für Huppert um und lässt ihr den riesigen Bühnenraum zur Entfaltung. Ihr geliebter Titus und der sie liebende Antiochus treten lediglich als stumme Tänzer auf, das Volk beziehungsweise der Senat als Volksvertreter:innen ebenfalls als tänzerische Statisten, die bruchstückhaft in Schlaglichtern inszeniert sind. Als Gerüst hat Huppert den kompletten, ihr im Stück zugedachten Text zur Verfügung.
Trauer als maßgebende Emotion
Es geht also weniger um die Handlung insgesamt – wer sie nicht kennt, ist auch nach dem Abend nicht unbedingt schlauer – sondern der Abend setzt den Fokus auf die verlassene Liebende und ihre Gefühle. Das ist nur logisch, denn im Stück geht es eigentlich nur um Bérénice. Castellucci setzt komplett auf seinen Star und dessen Emotionen, die Bühne ist weitestgehend leer, nur einzelne Requisiten erinnern daran, dass ein Mensch auch immer innerhalb einer Gesellschaft agiert: Ein Heizkörper, eine Waschmaschine und eine goldglänzende (Ballett-) Stange.
Die Handlung ist schnell erzählt
Wenige Tage nach Titus‘ Krönung zum römischen Kaiser appelliert der Senat an ihn, das römische Gesetz zu achten, das es ihm verbietet, seine Geliebte Bérénice zu heiraten. Titus folgt der Staatsraison und trennt sich von Bérénice. Er schickt seinen Vertrauten Antiochus zu ihr, um ihr die Botschaft zu überbringen. Antiochus, selbst in Bérénice verliebt, wird von ihr empört fortgeschickt. Der Kaiser selbst muss sie überzeugen. Obwohl er sie liebt, besteht er auf der endgültigen Trennung. Antiochus will sich selbst töten, da er von der Angebeteten abgewiesen wurde. Bérénice jedoch sieht ihrer aller Aufgabe darin, mit dem Schmerz weiterzuleben.
Soweit die Rahmenhandlung. In der Kraftzentrale in Duisburg werden die Zuschauer:innen Zeug:innen der Leiden der Bérénice, sie werden förmlich in Hupperts Bann gezogen. Es ist phänomenal, wie die große französische Schauspielerin mit der sperrigen und sehr formellen Sprache umgeht, wie sie die streng strukturierten Alexandriner für ihre Emotionen nutzt. Kaum zu glauben, da gerade Racines Sprache eher ein Korsett ist, dass laut Regisseur Castellucci eher lähmt und blockiert, wie er in dem im Programmheft abgedruckten Interview erklärt.
Strenge Choreografie und starke Gefühle
Zeitweilig überfordert Castellucci sein Publikum, korrespondieren doch seine Bilder und die choreografierten Tanz-Szenen eindeutig mit der formalen Strenge der Racine-Vorlage. Auch Huppert agiert mitunter trotz aller Gefühlstiefe und trotz der ihr eigenen Brillanz sehr streng, choreografiert. Wer nicht perfekt Französisch kann, ist außerdem in der Zwickmühle, neben der Darstellerin auch die Übersetzungen im Blick zu haben, die in deutscher und englischer Übersetzung rechts und links des Bühnenportals zu lesen sind. Da sind die Zuschauer:innen intellektuell gefordert. Aber spätestens, wenn Isabelle Huppert zum randiosen Schluss als gebrochene Liebende auch physisch zusammenbricht und die Worte nur noch stotternd, fragmenthaft schier ausspucken kann, hat der Abend überzeugt.
Jubel und Standing Ovation für Isabelle Huppert, freundlicher Applaus für die Inszenierung.
Hier geht es zum Teaser-Video auf der Homepage der Ruhrtriennale.
Ruhrtriennale, Bérénice. Jean Racine, Romeo Castellucci, Isabelle Huppert, Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord
Termine: 25.-29.8.2024
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