HipHop für Dortmund: Interview mit Sina Nitzsche

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Weltweit gilt HipHop als eine der wichtigsten Subkulturen. Seit mehr als 30 Jahren dient diese Strömung gerade Jugendlichen zur Identifizierung mit bestimmten Werten, Vorstellungen und Kunstformen. Zeit, dass dieses Thema auch wissenschaftlich relevant wird. In Dortmund hat an der TU nun das erste HipHop-Begegnungszentrum seine Heimat gefunden. Tossia Corman sprach mit Sina Nitzsche, Kulturwissenschaftlerin und Begründerin des Zentrums.

Was ist Ihr Background?
Ich bin Kulturwissenschaftlerin mit Spezialisierung in der Amerikanistik.

Wie kam es zur Idee zum Europäischen HipHop-Studies Netzwerk?
Die HipHop-Forschung in Europa ist in den letzten Jahrzehnten kräftig gewachsen, aber die verschiedenen Communities sind mitunter nur schlecht miteinander verbunden. Die von mir herausgegebene Aufsatzsammlung Hip-Hip in Europe: Cultural Identities and Transnational Flows versammelte zum ersten Mal Beiträge aus verschiedenen lokalen Kontexten Europas. Dabei ist mir aufgefallen, dass Forscher*innen in verschiedenen Teilen Europas ähnlich spannende Projekte und Initiativen durchführen, aber nicht unbedingt voneinander wissen. Bei meinen Forschungsaufenthalten in den USA habe ich zudem gesehen, dass es dort bereits netzwerkartige Strukturen gibt. Die Buchveröffentlichung und die Forschungsaufenthalte haben mich inspiriert, das Europäische HipHop-Studies Netzwerk zu gründen.

Warum HipHop?
HipHop ist eine der wichtigsten Jugend-/Sub-/Pop-Kulturen weltweit. HipHop ist ein Überbegriff für ganz verschiedene Elemente, wobei MCing, DJing, Graffiti und Tanz die wohl bekanntesten vier sind. Die HipHop-Kultur hat eine enorme Bedeutung für Jugendliche und auch viele junge Erwachsene hier in der Region. Sie stiftet Identität und eröffnet Möglichkeiten zur Selbstermächtigung, Partizipation und Teilhabe.

Wie kann ich mir das Ganze vorstellen?
Das Netzwerk setzt sich zusammen aus Forscher*innen und Künstler*innen, Studierenden und Professor*innen, Theoretiker*innen und Praktiker*innen, die sich mit den verschiedenen Facetten der HipHop-Kultur in Europa und ihren transnationalen und postkolonialen Verflechtungen beschäftigen. Dabei verstehen wir „Europa“ als inklusive Kategorie im Hinblick auf Geschlecht, Schicht, Ethnizität, race, Sexualität und Alter.

Wie arbeiten Sie?
Dezentral. Dabei kommunizieren wir online und auch bei Netzwerktreffen. Weitere Treffen in anderen Ländern sind bereits in Planung.

Was sind Ihre Ziele? Was soll im besten Fall passieren?
Dass das Netzwerk zu einer ersten Adresse wird, was Fragen rund um HipHop-Forschung und –Praxis angeht.

Wie sehr passt HipHop in ein akademisches Umfeld?
Wenn es nach den HipHop-Pionieren Afrika Bambaataa und KRS-One geht, ist Bildung eine Säule der HipHop-Kultur neben Mcing, DJing, Tanz und Graffiti. Bildung ist historisch gesehen ein zentraler Teil der HipHop-Kultur, der sich auch in dem afroamerikanischen Ausdruck „each one teach one,“ einem Aufruf zur eigenverantwortlichen Wissensaneignung und -vermittlung, widerspiegelt.

Wie sehr HipHop in ein akademisches Umfeld passt, hängt auch vom diesem Umfeld ab. Manche Wissenschaftler*innen stehen der Kultur noch skeptisch gegenüber und sehen uns HipHop-Scholars als Wissenschaftler*innen 2. Klasse. Andere Kolleg*innen sind Teil der sogenannten HipHop-Generation und kennen die oben genannten Potentiale der Kultur. Meine Studierenden lieben HipHop-Studies Seminare, weil sie ihre eigenen Kompetenzen, Fähigkeiten und Lebenswelten einbringen können. Ich lerne enorm von meinen Studierenden.

Kann man etwas, das so sehr gewachsen ist in verschiedenen Kulturen, überhaupt wissenschaftlich untersuchen?
Natürlich. Die HipHop-Forschung ist so vielfältig und interdisziplinar wie die Kultur selbst. Als Kulturwissenschaftler*innen haben wir Theorien und Methoden entwickelt, um kulturelle Texte wie zum Beispiel Rapsongs, Musikvideos und Filme zu untersuchen, egal wie unterschiedlich sie sind.

Ist das nicht ein Gegensatz?
HipHop und Wissenschaft sind kein Widerspruch, da zum Beispiel Rap in seiner Genrevielfalt auch Kulturanalyse und Kulturkritik ist.

Wie hat sich Rap verändert?
Rapmusik ist von Anfang an ein flexibles und wandelbares Kulturphänomen gewesen, welches von verschiedensten musikalischen, politischen und kulturellen Bewegungen inspiriert wird. Daher „hat“ sich Rap nicht „verändert,“ sondern verkörpert Veränderung.

Was für einen Stellenwert hat er heute? Im sozialen und vielleicht sogar politischen Sinne? Wie wichtig ist HipHop (noch)?
HipHop hat seine Relevanz nie ganz verloren. In den USA zeigt die BlackLivesMatter-Bewegung gerade, dass die Kultur nie etwas von ihrer politischen Relevanz eingebüßt hat.

HipHop ist nach wie vor ein mächtiges Medium, mit dem sich weltweit Bevölkerungsgruppen die aus verschiedenen Gründen Benachteiligung in ihren Gesellschaften erfahren, Gehör verschaffen.

Als Medium der Jugend? Als Ausdrucksform für Menschen in verschiedensten sozialen und kulturellen Gefügen?
Fahren Sie mit der Bahn durchs Ruhrgebiet. Gehen Sie in einen Jugendclub. Nehmen Sie an Integrationskursen teil. Überall dort ist HipHop. Er ist dort, weil er den Menschen eine Stimme gibt, um ihre eigenen Lebenswelten zu artikulieren. HipHop ist der beatmaker der Integration.

Gibt es viele Unterschiede, ja nachdem, aus welchen Land der HipHop kommt? Wenn ja, welche?
Ja, es gibt natürlich Unterschiede. Die Forschung charakterisiert HipHop als „glokales“ Kulturphänomen. Das heißt für die Rapmusik zum Beispiel, dass die verschiedenen Spielarten der amerikanischen Musik in den jeweiligen Kontext übersetzt und angeeignet werden und mit lokalen Geschichten, Musiktraditionen und kulturellen Narrativen verwoben werden.

Ist der amerikanische Rap noch immer der „wichtigste“, der „richtige“?
Der amerikanische Rap war der Impulsgeber für das weltweite Phänomen und er ist sicherlich der kommerziell erfolgreichste. Die Wichtigkeit liegt aber in der oben bereits erwähnten lokalen Relevanz und ist somit je nach geographischem Kontext unterschiedlich. Dass amerikanischer Rap der einzig richtige sei, wird vielleicht vereinzelt behauptet, ist aber bestimmt keine Mehrheitsmeinung unter den Heads und Praktikern.

Was ist „europäischer“ HipHop? Was unterscheidet ihn?
Es gibt keinen genuin „europäischen“ HipHop, sondern ganz diverse, vielfältige und vielschichtige HipHop-Kulturen je nachdem wohin man schaut, welches Element man untersucht, in welche Geschichten diese Kulturen eingebettet sind und auf welche gesellschaftlichen Fragestellungen die Künstler*innen Bezug nehmen.

Selber HipHop-Fan?
Ja, ich habe mich in der Vergangenheit mit allen Elementen beschäftigt, aber ich bin keine klassische Praktikerin. Privat treffen Sie mich durchaus beim J. Cole Konzert oder auf einer Party in Dortmund. Als Dozentin und Wissenschaftlerin bin ich selbst dem fünften Element Education am meisten verbunden. Der Respekt vor und die Zusammenarbeit mit Künstler*innen ist dabei eine wichtige Säule meiner Arbeit.

Wen hätten Sie gerne mal als Gastredner?
Die Dortmunder Graffiti-Pioniere Chintz, Shark und Masone.

Was bringt die Zukunft?
Noch mehr Respekt vor der HipHop-Kultur bei den gesellschaftlichen Eliten besonders im Bereich Hochschule, Bildung und Politik.

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