Als Guildo Horn 1998 beim Eurovision Song Contest den 7. Platz belegt, verändert sich das Interesse am Wettbewerb in Deutschland schlagartig. Schon einige Jahre zuvor fing der in Trier geborene, aber in Much im Rhein-Sieg-Kreis lebende Künstler mit seinen Weihnachtskonzerten an, die dieses Jahr ihren 30. Geburtstag feiern und längst absoluter Kult sind. Wir sprachen mit dem selbsternannten „Meister“ über seine hervorragende Band und den deutschen Schlager heutzutage.
Guildo Horn über sein Faible für Weihnachten
Guildo, was liebst du an Weihnachten ganz besonders und was eher nicht so?
Eigentlich liebe ich alles an Weihnachten. Ich war schon mein ganzes Leben Weihnachtsfan und habe mich immer gewundert, warum das Fest der Liebe und das Zeremonienhafte von manchen nicht gemocht wird.
Ich war lange römisch-katholisch und eins muss man den Katholiken natürlich lassen: Die wissen, wie man eine fette Zeremonie gestaltet. Mich hat das Opulente schon in meiner Kindheit mitgenommen: das leckere Essen, die Geschenke, das Zusammenkommen. Und meiner Begeisterung hierfür wollte ich auch gerne künstlerisch Ausdruck verleihen.
Das hat funktioniert. Deine Weihnachtskonzerte feiern dieses Jahr schon ihren 30. Geburtstag. Was war damals in Trier, deiner Heimat, der Auslöser, warum es damit überhaupt losging?
Bei mir passiert viel intuitiv. Ich gehe innerlich schwanger mit den Dingen, und aus dem Nichts kommen mir Ideen zugeflogen und dann will ich das unbedingt ausprobieren. Dazu brauche ich die passenden Scharlartane, weil ich gerne im Team arbeite – wenn die da sind, und sie sind es, gibt es kein Halten mehr. Bei unseren ersten Weihnachtsshows gab es erst nur zwei bis vier weihnachtliche Lieder, ansonsten spielten wir unser orthopädisches Schlagerprogramm. Im Laufe der Jahre ist der weihnachtliche Anteil Stück für Stück über sich hinausgewachsen und zu dem geworden, was es heute ist: Ein riesiges Patchwork-Sammelsurium mit unzähligen Assoziationsketten. Worte und Melodien, die jeder von uns kennt, die jeder mal erlebt hat und die positive Gefühle in uns hervorlocken. „Weihnachten mit Guildo“ ist eine dicke, schmackhafte Cremetorte geworden.
Wie bereitest du dich vor? Das erste Konzert war dieses Jahr schon am 15.11., wie kommst du rechtzeitig in Stimmung?
Körperlich gehe ich zum einen intensiv trainieren, weil eine Tour mit 22 Terminen schon recht anstrengend ist für einen alternden Orthopäden. Darauf will und muss ich mich vorbereiten. Bist du nämlich körperlich nicht fit, kommst du mental auch nicht hinterher. Du brauchst also eine fette Grundfitness, um es im Kopf genießen zu können.
Ansonsten bin ich natürlich ein altes Zirkuspferd, das in die Manege heraustrabt, sobald die Intromusik ertönt. Und dann wird es weihnachtlich leuchten. Ab diesem Moment wird nicht mehr nachgedacht. Ohnehin mache ich mir übers Konzertspielen nicht mehr Gedanken, als es unbedingt muss. Unterm Strich ist es schlichtweg eben nur Musik und Unterhaltung. Da geht es nicht um Leben und Tod. Das soll einfach nur Spaß machen.
Guildo Horn: „Wir sind bandintern zum Glück null eitel.“
22 Shows in 39 Tagen ist für jemanden über 60 auch wirklich sportlich…
Eigentlich fühle ich mich heute fitter als vor zehn Jahren. Zu Beginn meiner Karriere, auch noch bis vor ca. 15 Jahren, habe ich hundertfach mehr gefeiert als heute. Da war ich jeden Abend der Hinterletzte, der aus der Location rausgeflogen ist. Heute achte ich auf mich und auf meinen Körper.
Die Umbesetzung der Band vor zehn Jahren hat dazu geführt, dass wir musikalisch tanzbarer geworden sind. Vorher waren wir Gitarren-lastiger, das hat mir damals sehr viel Kraft abverlangt. Jetzt ist es funkiger, leichter, weswegen mich die Shows nun nicht mehr so viel Körner kosten. Früher haben wir auf der Weihnachtstour manchmal zwei Konzerte an einem Tag gespielt. Danach ist man richtig platt. Dadurch, dass wir aber so wenig Reibung innerhalb der Band haben, geht schon mal dafür keine Energie unnötig drauf. Auf der Bühne, schaut man sich tief in die Augen, und freut sich den Moment miteinander erleben zu dürfen und fühlt sich nur noch sauwohl.
Fast alle Shows finden in NRW statt – sieht du das Konzept nicht auch zum Beispiel in Berlin?
Da habe ich, ehrlich gesagt, keine Ambitionen. Ich liebe meine Familie, und hab auch noch kleinere Kinder im Hornhaus. Im Optimalfall läuft meine Tour so ab, dass ich nach dem Konzert nach Hause fahre, morgens um 6 aufstehe und meine Tochter zum Schulbus bringe und dann zwischendurch nochmal schlafe.
Ich möchte nicht so viel von zuhause weg sein – deswegen: Warum sollte ich in Berlin, Hamburg oder München spielen? In meinem Hornkosmos läuft alles so, wie ich es möchte. Die Konzerte finden in einem Zirkel von ca. 400km statt.
Auf Weihnachtstour spielen wir stets auch im Saarland und in Rheinland-Pfalz, das reicht mir. Das Jahr über natürlich gerne auch bundesweit! Aber auch nicht um jeden Preis.
Ansonsten habe ich permanent und viel zu tun. Unter anderem meine Radioshow bei WDR4, die „Diskothek im WDR“.
Um darauf zurückzukommen: Anderthalb oder zwei Tage im Auto zu sitzen, nur um in Berlin zu spielen, möchte ich nicht. In Berlin werden die Leute sowieso mit Konzerten totgeknüppelt. Ich bin an der Stelle einfach Ökonom und finde, dass ich diese Energie nicht mehr zu investieren brauche.
Wann gehen denn dann die Proben los?
Ideen sammeln wir das ganze Jahr über. Der Mollig, mein Keyboarder, und ich werfen uns gegenseitig alles an den Kopf, was geht. Wir merken uns dann schon Textfragmente und Eingebungen für neue Songs. Mit den Proben angefangen haben wir dieses Jahr Ende September. Da alle Mitglieder der Orthopädischen Strümpfe auch noch andere Projekte haben – der eine ist Musiklehrer, der andere spielt in der Bundeswehr-Bigband, unsere Saxophonistin hat ihre eigene Jazzband und spielt ab und an beim Rundfunk Tanzorchester Ehrenfeld – muss man alle Narren erstmal zusammenkriegen. Dieses Jahr haben wir früh angefangen, um noch mehr auszuprobieren.
Sich Musik auszudenken, ist zwar die eine Sache, aber eine andere Sache ist die Umsetzung. Man kann sich alles Mögliche erdenken und dann fährt das Ding bei der Probe voll gegen die Wand. Wir sind bandintern zum Glück null eitel. Selbst wenn ich etwas vermeintlich Geniales hinlege, sagen die anderen Sekunden nach dem ersten Anspielen: „Das ist Scheisse!“ Dann wird das halt sofort verworfen und wir probieren was anderes.
Comedy im Schlager?
Geht es dir bei neuen Songs denn vordergründig um den Song oder um den Text?
Zuallererst geht es darum, was ich singen kann. Die Band kann alles spielen. Die Strümpfe kommen aus so vielen Bereichen, dass alles funktioniert. Es gibt aber Titel, die ich einfach nicht gut singen kann.
Wir wollten dieses Jahr von Echt „Du trägst keine Liebe in dir“ als „Du trägst keine Nadeln an dir“ einbauen, allerdings kam die Nummer einfach nicht aus dem Quark – und das lag nur an mir. Ich kann an meiner Stimme nicht so viel verändern wie die Band an ihren Instrumenten.
Deine Band ist sowieso wirklich bewundernswert, die sind unglaublich gut.
Stimmt. Und wir lieben das, was wir da tun. Wir würden alle selbst zum Orthopäden-Konzert gehen, wenn wir nicht selbst in dieser Band spielen würden. Weil es einfach toll ist, auf dieser spielerischen Art mit Musik umzugehen. Deshalb auch der Spruch zuhause, wenn ich arbeiten gehe: „Ich gehe jetzt Spielen“.
Beim Musizieren bin ich auch ein Familienmensch. Mit dem Mollig spiele ich seit 20 Jahren, mit den anderen auch zehn Jahre oder länger. Das muss musikalisch und menschlich stimmen, übrigens auch mit unserer super Crew, weil wir so viel Zeit miteinander verbringen – wir lachen zusammen, wir reden ernst und wertschätzen uns gegenseitig. Ich mag das nicht, wenn Musikmachen nur monetarisiert gedacht wird. Natürlich verdienen wir alle gerne Geld, das tue ich auch – aber ich würde eher auf Geld verzichten, als mich verbeulen zu müssen.
In den über 30 Jahren, die du Musik machst, hat sich der deutsche Schlager enorm gewandelt, auch der Stellenwert in der Gesellschaft. Außerdem war es zu deinen Anfangszeiten noch sehr untypisch, Comedy-Elemente in den Schlager einzubauen.
Bei mir ging das circa 1990 los. Ich bin eigentlich Schlagzeuger, habe in einer ambitionierten Pop-Rock-Kombi gespielt. Meine Leidenschaft für Schlagermusik führte dazu, dass wir Discoabende organisiert haben, in denen wir Platten aufgelegt und uns 70er Kutten angezogen haben. Damals habe ich auch die Figur Guildo Horn erfunden. Roy Black war verstorben und ich fand, wir brauchen eine Band, um dem zu huldigen.
Seltsamerweise habe ich das, was ich mache, nie als Comedy verstanden. Das klingt wahrscheinlich ganz komisch, aber ich selbst mag gar keine Comedy. Comedy probiert immer schräg zu sein. Entweder man ist schräg oder nicht. Ich habe das immer genau so gemacht, wie ich es eben kann oder es gerade aus mir rauskommt. Schräg ist das vielleicht trotzdem, aber für mich ist das in dem Moment innerlich alles total stimmig. Ich denke also nicht: „Och, ich bin aber gerade witzig.“ – ich nehme das extrem ernst. (lacht)
Heute ist der Schlager ziemlich eindimensional und unwitzig, finde ich. Humorbefreit. Die Leichtigkeit ist etwas abhandengekommen. Jeder darf das natürlich machen, wie er möchte, aber ich habe mich auch immer in große Gefühle hineinbegeben und danach darüber geschmunzelt, wie sehr ich auf diesen Schmalz abfahre und wie sehr mich das innerlich berührt. Fernab von der Bühne muss ich selbst lachen, dass das schmalzig ohne Ende ist. Der Schlager kommt aber ja von der Operette, womit Schmalz also ebenso daher rührt. Heute dreht sich im Schlager so viel um Probleme in der Familie, die dann betextet werden, sodass das Prozedere einen therapeutischen Ansatz bekommt.
Soundmäßig ist der Schlager Ballermannisiert. Ich kriege aber Hautausschlag, wenn ich dauerhaft eine Vierer-Bassdrum höre. Ich kann das nicht ab, das ist Lärm für mich. Aber es spricht eben Riesenmassen an…
Guildo Horn über den ESC: „Vielleicht bin ich auch einfach zu alt dafür.“
„Guildo hat euch lieb“, dein ESC-Beitrag, ist immer noch Bestandteil deiner Weihnachtsshows. Ein Song, an dem du emotional weiterhin hängst?
Für mich bräuchte ich den bei den Weihnachtskonzerten nicht unbedingt, allerdings glaube ich, dass er für viele Leute einen Höhepunkt im Hornschen Treiben darstellt. Da bin ich dann auch einfach publikumsorientiert und sage, dass wir ihn nicht weglassen können. Er gehört einfach dazu. Das wäre so, als ob Matthias Reim „Verdammt, ich lieb‘ dich“ nicht spielt. Der eine oder andere würde sich dann bestimmt verschaukelt vorkommen und ich möchte Menschen nicht in Depressionen stürzen. Aber vielleicht ändere ich meine Meinung auch wieder.
Verfolgst du selbst noch den Eurovision Song Contest?
Ich habe den letzten ESC gesehen, weil meine große Tochter das unbedingt wollte. Für mich war es mit der schlechteste ESC ever. Da war unser deutsche Beitrag noch einer der Besten. Wenigstens mal ein klassischer Song. Die Teilnehmer verkommen zu Staffagen in einem riesigen Videoclip. Dieses „Höher, schneller, weiter“-Denken, das ist die Apokalypse. Mich hat das jedenfalls überhaupt nicht mitgenommen. Den ESC im Jahr davor fand ich aber ganz gut. Generell habe ich den Geschmack und die Lust daran verloren. Vielleicht bin ich auch einfach zu alt dafür.
Zurück zu deiner Tour: Wer bisher noch nicht dabei war, aber gerade überlegt, ein Ticket zu kaufen – worauf sollte man sich einstellen?
Auf beste Unterhaltung. Mehr ist das nicht. Es ist die Essenz alles weihnachtlichen Seins. Konzerte für Hörer aller Fachbereiche, sage ich gerne. Pan-dimensionale Musik, ein gestrecktes Werk, das sich an alles heranwagt.
Was uns freut: Die Fans wollen immer mehr von uns. Die Auftritte sind immer schneller ausverkauft. Irgendwie scheint es einen Geschmacksnerv getroffen zu haben. Als wir vor etwa 15 Jahren nochmal richtig mit den Weihnachtsshows durchgestartet sind, dachten einige – Gott sei Dank wenige – das wäre eine Ballermann-Party-Veranstaltung. Genau das will ich aber gar nicht und auch dieses Publikum nicht. Wir sind also musikalisch ’ne Ecke komplizierter und komplexer geworden, um uns dieses Gröhlpublikum wegzuspielen. Hat gut geklappt. Ich will das im Optimalfall genau so, wie es mittlerweile ist: Nette Leute, die gerne feiern, Musik hören und das zu schätzen wissen, was wir abliefern.
Was ist dein persönlicher Wunsch für Weihnachten und fürs neue Jahr?
Große Wünsche habe ich nicht. Ich hab doch alles. Klingt abgedroschen, aber Gesundheit ist das Allerwichtigste on earth und steht deshalb ganz oben auf meinem Zettel ans Christkind.
Ansonsten hat uns dieses Jahr gerade politisch so eine fette Keule verpasst, „Make America proll again“. Ich komme da nicht mit! Ich bin Baujahr 1963, Künstleralter 1953. Da hörst du dein ganzes Leben von unseren amerikanischen Freunden, dem demokratischsten Land ever, und denkst, dass alles immer irgendwie so weitergehen wird. Jetzt muss man offenbar nur genug Geld haben, lügen und betrügen, dass sich die Balken biegen und Sexualstraftäter sein, um zum mächtigsten Menschen der Erde gewählt zu werden. Halleluja, was für ein fatales Signal auch für unsere Kinder. Obendrein dieser zunehmende Antisemitismus, aber ich verlasse hier gerade die zuckerwattigen Pfade des Horns!
Ich bin fest gewillt, die Welt auch weiterhin durch die Hornbrille zu betrachten. Etwas Warmes braucht der Mensch! Schutz, Halt und Stütze, selbst im heftigsten Sturm. Und dafür stehen wir, die Vereinigung der Orthopädischen Strümpfe, ohne Wenn und Aber! Amen!
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NRW-Konzerte: 21. & 22.11. Scala Leverkusen, 28.11. Steinhof Duisburg, 1.12. Christuskirche Bochum, 5.12. LCB Wuppertal, 6.-8.12. Gloria Köln, 9.12. Pantheon Bonn, 12. & 13.12. Theater Hagen, 14.12. Stadthalle Alsdorf, 19.12. Apollo Theater Siegen, 20.12. Mitsubishi Electric Halle Düsseldorf
Gespräche! Musik! Weihnachten!