Das Zentrum für internationale Lichtkunst in Unna ist definitiv das merkwürdigste Museum weit und breit. Nachdem die Besucher ihr Ticket gekauft haben, warten sie erstmal im tristen Zweckbau-Charme des Flurs zwischen Volkshochschule und Stadtbücherei. Die einzigartigen Ausstellungsräume im Keller der ehemaligen Lindenbrauerei darf man in der Regel nur mit einer Museumsführung betreten. Die gibt dann vor, wie viel Zeit für die aktuelle Wechselausstellung mit spannenden Arbeiten Bernardí Roigs ist.
Bernardí Roig ist Bildhauer und Multimediakünstler und einer der wichtigsten Vertreter der spanischen Gegenwartskunst. Für seine Ausstellung „Excess“ („Überschuss“) hat er alle Facetten seines Werks zusammengeführt. Zwischen den nackten Betonwänden hat er schneeweiße Skulpturen angeordnet, die lebensgroße Nachbildungen menschlicher Körper mit ausdrucksstarken Gesichtern sind. Die Figuren befinden sich in Grenzsituationen, das wird schnell klar. Ihre Betrachtung mag auf den ersten Blick verstören, doch auf der tieferen Ebene wirft sie existenzielle Fragen auf, Fragen an unsere Gegenwart.
In der ersten Installation „Refection Exercises“ zum Beispiel hängt ein Körper in einem weißen Anzug an der Decke als habe er sich gerade erhängt. Doch es ist nur sein Anzug-Jackett, das an zwei Haken und Seilen festgemacht ist. Der Körper hängt schlaff in ihm, der Kopf in einem durchsichtigen Kasten, der Blick auf einen Monitor gerichtet, der unter seinen Füßen Bilder von gehenden Fußsohlen zeigt. Hier fragt Roig nach unserer Fähigkeit zur (Selbst-)Wahrnehmung, die immer stärker medial vermittelt wird. Man denke an Schrittzähler- oder Abnehm-Apps. Die anderen Arbeiten sind noch krasser in ihrer Wirkung, in ihrem Spiel mit grellem Licht, das man kaum direkt betrachten kann. Die Skulptur „Der Italiener (the cow)“ erinnert an ein großes, geschlachtetes Tier, aus dessen Körper Leuchtstoffröhren quellen wie Gedärme. Obwohl die einzige Farbe auch hier ein grelles weiß ist, malt unser vorgeformter Erkenntnisapparat automatisch eine blutige Szenerie.
Verwirrend-intensives Spiel
Schwer zu tragen hat der mürrisch wirkende „Herr Mauroner“, eine Skulptur aus dem Jahr 2008, an einem Päckchen aus Leuchtstoffröhren, die auf der rechten Schulter des nackten Oberkörpers liegt. Und in einer Nische des großen Kellergewölbes trifft der Besucher auf die einsame Figur der Installation „Practices to be S.R.“ von 2017, die dem grellen Vorhang aus Lichtröhren schutzlos ausgeliefert ist. Sie kneift nicht nur die Augen zu, sondern hält auch schützend die gekrümmten Händen über die Ohren. Das Licht kann hier als Bild für den Überschuss – vielleicht an Waren, Informationen, Möglichkeiten – gelesen werden, mit denen der moderne Mensch klar kommen muss und die seinen direkten und unbefangenen Zugang zur Umwelt und sich selbst verstellen.
Ein unbedingter Tipp ist, das Zentrum für internationale Lichtkunst (das übrigens weltweit einzige Museum, das sich ausschließlich diesem Genre widmet) an einem 1. Sonntag des Monats zu besuchen. Dann sind nämlich offene Begehungen des Kellermuseums möglich und jeder Besucher kann seine Verweildauer vor oder in den Arbeiten selbst bestimmen. Dann kann man sich wieder und wieder den stehenden Wassertropfen in Olafur Eliassons „reflektierendem Korridor“ hingeben, die er mit einem Stroboskop-Lichteffekt aus einem eigentlich rauschenden Wasserfall herausstellt.
Viel extra Zeit sollte man außerdem James Turrells „Sky Space“ einräumen, der begehbarer Teil einer großen Lochkamera ist. Durch ein Loch in einem zylindrischen, weißen Raum blickt der Betrachter auf einen Ausschnitt des Himmels, dessen Farbe zusammen mit der Farbtemperatur im Raum wechselt – obwohl der Himmel doch eigentlich immer derselbe bleibt. Ein verwirrend-intensives Spiel mit unserer visuellen Wahrnehmung!
Max Florian Kühlem
Bernardí Roig „Excess“: bis 14.4. Internationales Zentrum für Lichtkunst, Unna