Der Blick gen Osten: Das goEast-Filmfestival

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Die künstlerische Vielfalt der Filmschaffenden in Mittel- und Osteuropa präsentiert das vom Deutsches Filminstitut & Filmmuseum (DFF) veranstaltete „goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films“ in diesem Jahr vom 20. bis 26. April. Diesmal nicht ausschließlich online, sondern nach Möglichkeit wieder dort, wo das Festival auch hingehört – in den Kinos im Rhein-Main-Gebiet. Marc Bracht stellt das Programm vor.

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Hybrid?!

Für das „goEast“ war im letzten Jahr alles anders. Bedingt durch die anhaltende Corona-Pandemie musste auf ein neues, hybrides Konzept statt des klassischen Filmgenuss vor großer Leinwand ausgewichen werden. In diesem Jahr gibt es die 21. Ausgabe des Filmfestivals. Und mit dieser möchte man vom 20. bis 26. April im Rhein-Main-Gebiet zu den Wurzeln zurückkehren. „goEast“ goes back to Cinema – natürlich unter Einhaltung aller Hygienevorschriften. Zusätzlich bieten Online-Veranstaltungsangebote möglichst vielen Interessiert:innen an dem hierzulande oft noch recht unbekannten Kino aus Mittel- und Osteuropa ein Film- und Kulturerlebnis der besonderen Art.

Und diese Auseinandersetzung zwischen Ost und West ist wichtig, wie die Festival-Chefin und Leiterin des DFF Heleen Gerritsen findet: „Bei einem im westlichen Deutschland angesiedelten Filmfestival den Fokus auf Ost- und Mitteleuropa zu legen, ist so aktuell und notwendig wie eh und je: In Zeiten des Umbruchs, in denen sich das europäische Projekt seit einigen Jahren befindet, kann die Filmkunst, als zugängliches Medium, wesentlich dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und Brücken zwischen Kulturen zu schlagen.“ Es werden beim „goEast“-Festival sowohl Filme zu aktuellen, gesellschaftlichen Themen gezeigt, aber auch filmhistorische Retrospektiven und Sonderreihen finden in Wiesbaden ein Publikum.

Heleen Gerritsen, Foto: Angelika Stehle

Zentralasien enthüllen – Das „goEast“-Symposium

Fünf Republiken Zentralasiens feiern in diesem Jahr 30 Jahre Unabhängigkeit und stehen gleichzeitig vor großen Herausforderungen. „goEast“ widmet sich im Symposium „Zentralasien enthüllen“ der Filmkultur in Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan.
Mit Vorlesungen, Diskussionen und einem Filmprogramm kuratiert von Expert:innen wie Prof. Dr. Birgit Beumers vom Lehrstuhl für Slavische Literaturen und Kulturen der Universität Passau und Joël Chapron, Beauftragter für Zentralasien und Russland der Filmfestspiele Cannes, eröffnet das Festival ein Fenster in eine Filmlandschaft, die bisher zwar bei „goEast“ vertreten war, doch nie im Mittelpunkt stand.

Vor allem der Einfluss der Sowjetunion auf die filmhistorische Entwicklung der Region seit 1922 steht im Fokus dieses Symposiums. Mit dem Kino sollten die wilden Gebiete Zentralasiens gebändigt und analphabetische Völker von den Errungenschaften des sowjetischen Regimes überzeugt werden. Exemplarisch für das Gebaren der UdSSR als Kolonialmacht stehen dabei frühe Kulturfilme wie Vladimir Erofeevs „Pamir. Dach der Welt“ (Krysha mira, UdSSR, 1927) oder Viktor Turins „Turksib“(UdSSR, 1929).

In den ersten Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg galten die Staaten Zentralasiens als Sprungbrett für junge Filmschaffende aus Moskau und Kiew. In dieser Zeit gab es aber auch erste Konflikte im Spannungsfeld zwischen sowjetischer Zugehörigkeit und nationaler Identität.

„Sisters“ von Anna Scherbyna & Valentina Petrova, Foto: Anna Scherbyna/goEast

Das Publikum wendete sich zusehends einheimischen Genreproduktionen zu, wie Shukhrat Abbassovs usbekisch-sprachige Komödie „Darüber spricht die ganze Nachbarschaft“(Mahallada duv-duv gap, UsSSR, 1960) oder auch Ali Hamroyevs „Ohne Angst“(Bez strakha, UsSSR, 1972). Letzterer behandelt als „roter Western“ den Hujum, also die gewaltsame Entschleierung der Frauen, und dokumentiert die Zerrissenheit der Frau in Zentralasien zwischen Fortschritt und Tradition.

Im Schmelztiegel der Kulturen

Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks wandten sich die Länder Zentralasiens vom sowjetischen Wertesystem ab und versuchten, zu ihren Wurzeln zurückzukehren, ohne dabei auf nationale Werte zu achten. Das hatte zur Folge, dass ethnische und religiöse Gruppen, nomadische und sesshafte, Anhänger:innen von Tengrismus und Islam zusammengewürfelt wurden, um eine „Nation“ zu bilden. Die entstehenden Konflikte spiegeln sich heute in kuriosen, ernsten und auch parodistischen Filmen wider.

Ein besonderes Augenmerk des Symposiums richtet „goEast“ auch auf die Kasachische Neue Welle und ihren Einfluss in der Region in den Wendejahren und frühen 2000ern. Neben der Aufarbeitung der Sowjetzeit in Yusup Razykovs „Orator“ (Voiz, Usbekistan, 1999) widmen sich Filme in dieser Zeit modernen Formen der Brautentführung wie in Ernest Abdyzhaparovs „Klare Kühle“ (Boz salkyn, Kirgisistan, 2007), der Erinnerungskultur wie Saodat Ismailovas „40 Tage Schweigen“(Chilla, Usbekistan, 2014) oder dem Bruch mit traditionellen Genderrollen wie Abai Kulbais „Strizh“ (Kasachstan, 2007).

Trotz Weiterentwicklung, Wiederaufbau und Unabhängigkeit der Filmindustrien in Zentralasien, gibt es heute große Unterschiede zwischen den nationalen Kinematographien. So beleuchtet das Symposium auch die Tatsache, dass etwa Kasachstan eine der am weitest entwickelten Filmindustrien in der Region bietet, während jene in Turkmenistan praktisch stillsteht.

„Mariam“ von Shripa Urazbayeva, Foto: goEast

„Yellow Cat“ eröffnet die 21. Ausgabe von goEast

Der Film „Yellow Cat“ (Zheltaya Koshka, Kasachstan/Frankreich 2020) vom langjährigen „goEast“-Wegbegleiter Adilkhan Yerzhanov ist der Eröffnungsfilm des Festivals.
In einer Deutschlandpremiere zeigt das vom DFF veranstaltete Film-Event dabei die von Komik und Tragik durchzogene Roadmovie-Geschichte Kermeks, der dank eines zweifelhaften Deals aus dem Gefängnis entlassen wird. In der düsteren Realität der Außenwelt tritt er fortan die Flucht ins Kino an. Kermek träumt von einem eigenen Bergkino und will die Welt des Verbrechens endgültig hinter sich lassen. Allerdings entdeckt er dabei, dass sein Weg in die Freiheit an einen Gangsterboss geknüpft ist, für den er zur Wiedergutmachung arbeiten soll.

„Schweigender Stern“ von Kurt Maezig, Foto: Waltraut Pathenheimer

RheinMain Kurzfilmpreis geht in Runde 3

In seine dritte Runde startet der RheinMain Kurzfilmpreis bei „goEast“. Der vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain unterstützte Wettbewerb zeichnet den besten Kurzfilmbeitrag mit einem Preisgeld von 2500 Euro aus.
Weitere Infos zum „goEast“ gibt‘s unter: www.filmfestival-goeast.de

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