Das Leben und Sterben der Festivals

Wer ist Schuld an der Leere vor den Bühnen? | Foto: Lukas Vering
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Die Festivalszene Deutschlands wächst und wächst – und das schon seit Jahren. Während das einerseits zu einer Ausdifferenzierung der Festivallandschaft führt, geht das Wegsterben liebgewonnener Veranstaltungen genauso natürlich damit einher. Wir schauen auf Gründe, warum Festivals ins Gras beißen müssen – und auf Hände, an denen Festivalblut klebt.

Hat man einmal ein schönes Festival gefunden, dessen Größe, Booking, Fressstände und Anreiseweg einem pläsieren, fühlt man sich wie ein heimkehrender Odysseus nach turbulenten Reisestrapazen. Wie arg ist dann der Schmerz, wenn das liebgewonnene Musikfest den Dienst quittiert und in die ewigen Festivalgründe einkehrt. Mir brach einst das Herz, als das Area4 bei Lüdinghausen zu Grabe kroch – damals waren rote Zahlen der Grund. In einer offiziellen Erklärung verriet Jasper Barendregt, Festivalleiter des Veranstalterriesens FKP Scorpio, dass anspruchsvolles Line-Up, Infrastruktur und humane Ticketpreise mit den Besucherzahlen schon seit Jahren in einer Schieflage hingen. Schon damals erläuterte Andreas Möller vom mitverantwortlichen Konzertbüro Schoneberg, dass es nicht leicht sei, sich im dichtbevölkertsten Bundesland mit einer ähnlich dichten Festivalszene durchzusetzen – und das selbst mit großer Konzertagentur im Rücken. Das ist auch heute noch wahr.

Festivals im Bann der Großkonzerne

Weh getan hat 2015 vor allem der Abschied vom Serengeti Festival. Die Besucherzahlen waren konstant gut, der Rummel lief, aber das Aus war unabwendbar. Grund: Im brutalen Wettrüsten der Giga-Festivals könne ein unabhängiges Festival nicht mehr mithalten. Ohne Anziehen der Ticketpreise, Stauchung der Dauer und/oder Senken der Qualität sei eine Durchführung nicht mehr möglich, so die Veranstalter. In einer offiziellen Erklärung heißt es: „Die Entwicklungen im deutschen und internationalen Festivalmarkt haben sich in den vergangenen Jahren zugespitzt: Steigende Gagen, immer mehr Festivals bieten um die gleichen Bands, höhere Produktionskosten und eine weitgehende Kontrolle der Festivallandschaft durch wenige Großkonzerne haben letztlich zu einer Situation geführt, in der ein unabhängiges Open Air im Format des Serengeti Festivals nicht mehr nachhaltig und budgetär seriös arbeiten kann.“

Ein ähnliches Schicksal ereilte das Blackfield Festival im Gelsenkirchener Amphitheater. Im Gespräch erklärte uns Veranstalter Dirk Zimmer: „Die Kosten haben sich in Relation zu den Preisen immens erhöht und wir sind an der Kapazitätsgrenze.“ Gemeint sind dabei Gagen, Security, Bühnentechnik usw. Seit der Loveparade-Katastrophe 2010 in Duisburg sind zudem Sicherheitskonzepte komplexer, umfassender und dadurch auch teurer geworden.

Andere, noch kleinere und unabhängig geführte Festivals, wie das Freefall in Moers oder das Phono Pop Festival bei Rüsselsheim, liefen 2015 aus, weil die in Eigenregie handelnden Betreiber vom Zeitaufwand überwältigt wurden. In Moers erschwerten schon erwähnte Sicherheitsbestimmungen die Umsetzung und kurbelten die Vorbereitungszeit exponentiell nach oben – untragbar für Hobby-Festivalmacher. Außerdem zog sich die Stadt aus der Förderung zurück – ähnlich wie Mönchengladbach beim Horst Festival, das dafür 2014 den Dienst quittierte. Gleiches berichten die Phono Pop Macher, die non-profit, low-budget und ehrenamtlich arbeiteten, dies aber nicht 365 Tage im Jahr leisten können. Ein zarter Versuch, Ähnliches in Krefeld mit dem Greengos zu realisieren, erstickte schon im Keim – trotz Bio-Catering, Charity-Gedanken und hohem privatem Einsatz konnte der Ticketvorverkauf nicht genug abwerfen, um hinterher ein rentables Festival zu ergeben.

Doch auch für weniger unabhängige Festivals mit großem Sponsor im Rücken scheint der Markt unerbitterlich. Das MiXery HipHop Open in Stuttgart gab nach 15 Jahren den Löffel ab – auch mit großer Getränkemarke im Namen. Dazu ließen die Veranstalter verlauten, dass ein „Ein-Tages-Festival aufgrund der stetig steigenden Kosten (Produktion, GEMA, Personal, etc.) wirtschaftlich nicht mehr darstellbar und auch nicht mehr zeitgemäß“ sei.

Feind der Fans: Die Gebietsschutzklausel

Nun könnte man diese Bewegungen in der Festivallandschaft als ganz normales Wachsen und Verfallen eines übersättigten Veranstaltungsmarktes betrachten, schließlich machen in der Gastro- und Partyszene auch alle zwei Monate Läden zu und andere auf. Das würde allerdings eine tiefergreifende Problematik verschleiern – eine, die nicht wirklich neu in der westlichen Welt und ihrer kapitalistischen Denke ist. Das Bein, über das alle genannten Festivals in der einen oder anderen Art stolpern, sind die ganz großen Festivals (ja, wir schauen auf euch, Rock am Ring und Co.), die inzwischen wie Großkonzerne agieren und sich durch enorme finanzielle Polster einiges erlauben können. Dazu gehört auch die Headliner-Jagd, mit der die Großveranstaltungen dem Markt jegliches Blut aussaugen. Alles, was Rang und Namen in der Musikszene hat, wird gnadenlos weggebucht und auf die eigene Bühne gestellt – dazu greift dann oft die so genannte Gebietsschutzklausel, die in gar mannigfaltiger Ausführung vom Veranstalter angesetzt werden kann. Ihr Effekt: Bands treten bei Festival A auf, unterschreiben eine Klausel, dass sie in einem Umkreis von X Kilometern keine weiteren Shows geben, und wenn dies aus Gnade doch erlaubt ist, darf die Ankündigung erst nach Y Monaten erfolgen. Ein extremes Beispiel: Kiss spielen im Juni auf einem Festival im Süden Deutschlands – und damit ist der Kiss-Konzertsommer in Süddeutschland auch schon gelaufen. Alle anderen Veranstaltungen müssen in die Röhre schauen. Das ist Kiss relativ egal, dem geneigten Zuschauer, der an besagtem Festival vielleicht keine Zeit hat, aber nicht – denn für ein Konzert seiner Lieblingsband muss er nun zu dem einen Termin im Norden Deutschlands fahren, der alle anderen Norddeutschlandtermine per besonders teuer bezahlter Gebietsschutzklausel verhindert.

Wer ist schuld?

Aber wer ist schuld? Sind es die Bands, die diesen Klauseln zustimmen und ihre Seele für einen Auftritt auf der ganz großen Bühne vermieten? Schwierig, immerhin müssen gerade Newcomer sich erstmal im Line-Up hocharbeiten – und das funktioniert natürlich besser durch Auftritte auf großen Bühnen, als auf dem süßen Indiefest auf Bauer Brauses Kuhwiese. Etablierte Namen hingegen können, sollen und müssen ihr Standing im Musikbusiness dahingehend nutzen, um zu strengen Klauseln auch mal „Nein“ zu sagen, um lieber die Kuhwiese, als die dicke Gage mit sexy Backstage-Lounge zu rocken.

Eindeutiger kann man den Finger auf jene richten, die Klauseln anbringen und Geld und Einfluss dafür nutzen, die eigene Vormachtstellung weiter auszubauen, um im gleichen Atemzug kleinen Festivals das Futter aus den Pfoten zu reißen. Natürlich agieren Festivalveranstalter in einem hart umstrittenen Markt, in dem sich niemand gerne etwas schenkt und jede Strategie zur Sicherung der nächsten Veranstaltung wahrgenommen werden muss. Riesige Agenturen wie etwa FKP Scorpio (Hurricane) veranstalten inzwischen auch selbst kleinere Formate, wie etwa das A Summer’s Tale, das mit dem finanziellen Background der Agentur ein sehr gutes, mainstreamfernes Line-Up plus Rahmenprogramm für eine gemäßigte Besucherzahl anbieten kann. Kommen aber alle diese Konzepte nur aus zwei bis drei großen Konzernen, kann von Vielfalt und Diversität keine Rede sein. Ein Staat, der lediglich von einer großen Partei regiert wird, heißt schließlich auch nicht Demokratie, sondern Diktatur.

Richten wir also den Finger auf uns selbst – die zahlenden Gäste. Natürlich wollen wir gute Bands auf dicken Bühnen sehen, von denen es Konfetti und Pyro regnet. Natürlich wollen wir an einem Wochenende möglichst viele unserer Lieblingsbands versammelt sehen. Wollen wir aber etwas an oben beschriebener Industrie ändern, ist die Verweigerung unseres Taschengelds für beschriebene Großveranstaltungen eine sinnvolle Methode. Wie in vielen anderen Bereichen von Kultur und Lifestyle ist das Kredo „support your local“ durchaus eine Losung, die Aufwind hat. Wer trendig essen gehen will, verzichtet auf die vor einigen Jahren noch top angesagten Ketten und Franchises und diniert lieber in der lokal geführten, unabhängigen Imbissbude. Ähnliche Bewegungen verzeichnen Lebensmittelhändler und Bekleidungsgeschäfte. Können wir also auch beim Thema Musikfestival zurück zum Lokalen? Zeigen wir doch etwas Mut und gehen auf das kleine Indie-Fest auf der Bauernwiese, wo wir nicht Kiss oder die Foo Fighters sehen, aber vielleicht unsere nächste Lieblingsband, von deren Existenz wir noch gar nichts wussten. Sind wir doch so mutig und vertrauen kleinen Newcomern, dass sie genauso gute Musik und Shows machen können, wie die ewigen Zugpferde der Festivalbranche. Und zelten, saufen, Ravioli? Kann man auffer Kuhwiese genauso gut, wie zwischen 79.999 Wochenendrockern. Und da sind die Kloschlangen wenigstens nicht so lang. 

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