Craft Beer im Pott: Genusstrinker in der Pils-Diaspora

Gipfeltreffen der regionalen Craft-Beer-Brauer | Foto: Peter Gurack
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Als Gerd Ruhmann vor 30 Jahren beruflich in Brüssel zu tun hatte und ein Feierabendbier in der Kneipe bestellen wollte, war das nicht so einfach. „Ein Bier?“, fragte der Kellner verwundert: „Wir haben 17 Sorten aus dem Hahn und 85 in der Flasche.“ Er brachte dem ratlosen Gast erstmal eine Bierkarte – wie man sie heute in Bars wie der Trinkhalle an der Herner Straße in Bochum findet, die den Craft-Beer-Trend ins Ruhrgebiet gebracht haben.

Nach einigen misslungenen Brau-Versuchen im heimischen Keller braut Gerd Ruhmann mittlerweile in einer kleinen Hausbrauerei erfolgreich das Lindenbier. Er belebt damit eine Sorte neu, die die Lindenbrauerei Unna bis zu ihrer Einstellung 1979 hergestellt hat. Das Brauerei-Sterben war damals weit verbreitet. Auf dem Bier-Markt fand in den Siebzigerahren eine Zentralisierung und Vereinheitlichung statt, mit der auch Dortmund seine Brauerei-Vielfalt und den Ruf als Hauptstadt des Bieres einbüßte. „Das Ruhrgebiet wurde zur Pils-Diaspora“, erinnert sich Gerd Ruhmann und meint damit, dass man in den meisten Kneipen bloß noch eine Sorte Pils bekam. Für den Gast stellte sich nur die Frage: Groß oder klein?

Heute ist ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Es geht beim Bier nicht mehr in erster Linie um „Wirkungstrinken“, sondern auch ums „Genusstrinken“ – und da ist Vielfalt gefragt. Dieser Trend hat sich längst nicht nur in Berlin, sondern auch im Ruhrgebiet in Orten wie dem Duisburger Finkenkrug manifestiert, wo man aus unzähligen Biersorten wählen kann, deren Brauer oft genüsslich mit dem Deutschen Reinheitsgebot brechen.

Trendsetter Jean Pütz

Wie das angefangen hat? Gerd Ruhmann glaubt, dass Jean Pütz mit seiner legendären Heimwerker-Sendung Hobbythek einen großen Anteil daran hat: „1983 oder ’84 gab es eine spektakuläre Ausgabe, in der er erklärte, wie man zu Hause Bier braut“, erinnert sich er sich. Rezept und Anleitung wurden wie immer zur Anforderung per Freiumschlag angeboten – 200 000 Menschen machten davon Gebrauch und trieben den WDR an den Rand des Ruins. „Wir sollten nächstes Jahr nicht 500 Jahren Deutsches Reinheitsgebot, sondern Jean Pütz feiern, der dieses Vielfaltsverbot aufbrach“, findet Ruhmann.

„Craft Beer“, dieser englische Ausdruck hat sich als Oberbegriff für die unabhängigen Brauereien und oft handwerklich hergestellten Biere durchgesetzt. „Auch wir haben uns jetzt zu diesem Begriff durchgerungen, weil er das Bier und seinen Hintergrund einfach am besten beschreibt“, sagt Oliver Mühlmann von der Dortmunder Bergmann-Brauerei.

Oliver Mühlmann ist einer der Gäste, die auf Einladung des coolibri in der Trinkhalle an der Bochumer Herner Straße zusammengekommen sind, um über den Craft-Beer-Trend zu sprechen. Hier findet man Kühlschränke und Flaschenbier wie in einer der vielen traditionellen Trinkhallen des Ruhrgebiets. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch in der Befüllung: Da findet man belgische Trappisten-Biere, die Hopfen betonten Pale Ales oder India Pale Ales englischer und amerikanischer Prägung, cremige Stouts, malzige Lager, helle Weißbiere, Starkbiere aller Art.

Gär-Bar im Sozialen Zentrum

Wie vielfältig die Welt des Bieres sein kann, konnten die Trinkhallen-Macher noch vor ihrer Eröffnung in der Gär-Bar erfahren, die Aktive des Bochumer Sozialen Zentrums seit rund zwei Jahren betreiben. „Wir haben schon vor zehn Jahren Partys geschmissen, auf denen es nicht nur ein Bier für die Gäste gab, sondern eine Dramaturgie mit fünf oder mehr Sorten“, erinnert sich Ralf Bindel. Er hat die Gär-Bar ins Leben gerufen, bei der im Thekenraum des Sozialen Zentrums an jedem ersten Freitag im Monat 20 bis 30 Biere mit entsprechender Erklärung angeboten werden. „Ein paar Dauerbrenner sind immer dabei“, sagt der Genusstrinker, „wie das Rodenbach Grand Cru, ein dunkelrotes flämisches Ale, das Lambic oder das Atlantik Ale.“

Welches Bier ein Gast mag, ist gerade zu Beginn der Entdeckungsreise durch die Craft-Beer-Vielfalt nur durch Probieren herauszukriegen. Damit die nicht wie ein unübersehbarer Dschungel erscheint, versucht Trinkhallen-Mitarbeiter Thomas Maas gern, zu beraten. Deshalb wird er hier von einigen „Bier-Sommelier“ genannt. „Man muss die Geschmacks-Profile der Biere kennen“, sagt er, „und sich vorsichtig an die Geschmacksvorlieben der Gäste herantasten.“ Oft haben die noch keine Worte für das, was sie mögen. Wenn sie sagen: „Ich mag es herb“, dann sind sie überrascht, wenn die Rückfrage kommt: „Sauer oder bitter?“

Oliver Mühlmann schenkt gerade eine neue Sorte seines Arbeitgebers aus, bei der sich diese Frage nicht stellt: Das Adambier ist eine Legende aus dem Mittelalter. Es hat eine dunkle Färbung und einen leicht süßlichen, malzbetonten, vollen und runden Geschmack. Mit 7,5 Prozent Alkohol und einer Stammwürze von 18 Grad Plato zählt es zu den Starkbieren – obwohl es nicht stark schmeckt, sondern süffig ist.

Alte Marken wiederbeleben

„Wir profitieren vom Lokalkolorit und von der neuen Offenheit“, so erklärt sich Vertriebler Mühlmann den Erfolg des zurück gekehrten Bergmann Bieres. Die regionale Presse hat gern die Geschichte erzählt, wie der heutige Brauerei-Chef Thomas Raphael ein altes Bergmann-Glas auf dem Flohmarkt fand. Wie er die Marke kaufte, die verfällt, wenn unter ihr lange kein Bier mehr gebraut wird. Wie er als „Gypsy“-Brauer, also mit eigenem Rezept in fremden Brauerein, mit einem ehemaligen Fahrer von Bergmann versucht hat, den alten Geschmack wiederzufinden. Wie er es schließlich geschafft hat, eine eigene Brauerei aufzubauen, die mittlerweile sechs Sorten – darunter Pils, Export, Schwarzbier und Adambier – herstellt.

„Auf dem Phoenix-Gelände haben wir uns ein Grundstück reserviert“, verrät Oliver Mühlmann. „Nächstes Jahr wollen wir dort eine große neue Brauerei mit angeschlossener Gaststätte und Außen-Gastronomie bauen.“ Mit Projekten wie diesem scheint das Ruhrgebiet auf einem guten Weg zu sein zu amerikanischen Verhältnissen. In einer 140 000-Einwohner-Stadt wie Fort Collins in Colorado findet man dort 17 Brauereien, die oft nur für die eigene Kneipe brauen – nicht eine Sorte, sondern über das Jahr verteilt zehn oder mehr.

Alles unter sieben Prozent ist Schwachbier

Foto: Peter Gurack

Weil der Trend zum handwerklich gebrauten Bier in den USA schon so lange so stark ist, hat Phil Pecek sich nächtelang durch amerikanische Internet-Foren gelesen, bevor er vor sechs Jahren sein erstes Bier in der WG-Küche braute. „Mit Reinigung der Geräte dauert das neun Stunden, dann folgt der etwa zweiwöchige Gär-Prozess und dann geht es ab in die Flasche“, sagt er. Peceks erstes Bier war ein dunkler Weizenbock mit sieben Prozent Alkohol. „Da fängt für mich echtes Bier erst an, alles darunter ist Schwachbier“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Weil seine leckeren Hybride wie eine Mischung aus einem Weizenbier und einem belgischen Trappistenbier im Freundes- und Bekanntenkreis so gut ankamen, ist Phil Pecek gerade auf dem Sprung vom Hobby- zum Craft-Beer-Brauer. Einer seiner Arbeitgeber, der Bochumer Software-Entwickler GData, will ihm eine Brauerei im Unternehmenskeller einrichten, wo er für Mitarbeiterfeste brauen und auch eine eigene Marke herausbringen wird: „Phil Up“ soll sie wohl heißen.

Die unabhängigen Brauer sind ohne Konkurrenz-Angst und Scheuklappen im ständigen Austausch. Beim nächsten Treffen in der Trinkhalle, die auch eine „Bierakademie“ mit wechselnden „Dozenten“ (meist Brauer aus der Region) veranstaltet,  steht dann vielleicht „Phil Up“ auf dem Tisch, an dem Gerd Ruhmann gerade das Unnaer Canoe ausschenkt. „In den letzten zehn Jahren ist in der Region eine Brauerei geschlossen worden, aber fünf neue haben eröffnet“, sagt er. Und das sei doch ein gutes Zeichen.

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