Expressionismus im Dortmunder U: Tell these people who I am

Else Berg, Selbstporträt 1917, Collection Jewish Museum, Amsterdam). Foto: Collection Jewish Museum, Amsterdam.
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Hier in der Region gibt es so viel zu entdecken! Ihr könnt euch in der Natur erholen, Sport machen oder eines der vielen kulturellen Highlights erleben. Ein besonderes Highlight ist die reichhaltige Museumslandschaft mit ihren abwechslungsreichen Ausstellungen, die jedes Jahr zahlreiche Besucher:innen anlockt. Das Museum Ostwall im Dortmunder U zum Beispiel widmet sich den oft übersehenen Leistungen weiblicher Künstlerinnen. Unter dem Titel „Tell these people who I am“ werden noch bis zum 23. März 25 Werke von 30 Künstlerinnen aus Expressionismus und Fluxus präsentiert.

Die zweigeteilte Ausstellung gibt einen Einblick in weibliche Perspektiven der Kunstgeschichte, beleuchtet gesellschaftliche Hürden und feiert die Errungenschaften der Pionierinnen.

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„Ein selbstverständliches inneres Müssen“

Der erste Ausstellungsteil, „…ein selbstverständliches inneres Müssen“ – Acht Expressionistinnen“, widmet sich acht Künstlerinnen der expressionistischen Bewegung. Der Titel ist ein Zitat der Bildhauerin Sintenis.

Renée Sintenis, Else Berg, Lotte Reiniger und andere zeigten in ihrer Malerei (Else Berg) und mit Skulpturen (Reneé Sintenis) ebenso wie mit innovativen Techniken wie Scherenschnitt (Emma Schlangenhausens Grafiken), Keramik (Kitty Rix, Wally Wieselthier) und Film (Lotte Reiniger), dass Kunst um die Jahrhundertwende und in den 1920er Jahren keine rein männliche Domäne ist. Auch in den Bereichen Textilkunst (Marta Worringer) und Fotografie (Madame d’Ora) setzten sie Impulse.

Die Begleittexte geben einen guten Überblick über das Leben der Frauen und ihren Umgang mit der damaligen, zugewiesenen Rolle der Frau. Die Werkschau zeigt eindrücklich, dass die weibliche Kunst der ihrer Kollegen in nichts nachsteht, ihnen aber dennoch der Ruhm ihrer männlichen Kollegen oft verwehrt blieb und auch heute teilweise noch bleibt. Die beeindruckende Vielfalt des künstlerischen Ausdrucks überwältigt die Besucher:innen, überfordert aber dank der gut strukturierten Ausstellung nicht: Jeder Künstlerin ist ein Raum gewidmet, schnell zu überblickende Texte ordnen das Werk historisch ein.

Skulpturen von Reneé Sintenis

Im ersten Raum sind Arbeiten von Reneé Sintenis ausgestellt. Lebendige, fast warme Skulpturen von Sportler:innen und Tieren, immer in Bewegung. Eine ganze Wand nimmt ein Foto von ihr ein.

Renée Sintenis schuf die Vorlage für den Preis der Berlinale. Foto Roland Baege

Expressionistische Malerei: Else Berg

Else Bergs farbenprächtigen und stilistisch abwechslungsreichen Gemälden gehört der zweite Raum. Ihre Zugehörigkeit zur expressionistischen Bewegung ist eindeutig. Neben kubistisch anmutenden Gemälden stehen auch (Selbst-)Portraits.

Else Berg, Vaas met Bloemen (Vase mit Blumen), o. J. Singer Laren, Nachlass Alex de Haas, Laren

Trickfilm und Scherenschnitt: Lotte Reiniger

Ganz wunderbar ist beispielsweise auch der gezeigte Film von Lotte Reiniger, „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“. Er gilt als erster abendfüllender Trickfilm, in Kleinstarbeit am Tricktisch entstanden. Denn für die Bewegungen musste sie die Gliedmaße der ausgeschnittenen Figuren, die an ein Schattenspiel erinnern, millimeterweise bewegen und fotografieren – im Stop-Motion-Verfahren. Alleine für diesen Film entstanden 250.000 Fotoaufnahmen, im Film sind 100.000 davon zu sehen.

Lotte Reiniger, Pari Banu und ihre Gefährtinnen beim Bad. Skizze zu einer Szene aus „Die Abenteuer des Prinzen Achmed”, 1923-1926. Stadtmuseum Tübingen. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Madame d’Ora: Bewegte Fotografie

Die Fotografin Dora Kallmus (1881–1963), besser bekannt als Madame d’Ora, war eine der gefragtesten Fotografinnen in Wien in den 1910er- und 1920er-Jahren. Sie war vor allem Gesellschafts-, Porträt- und Modefotografin, war aber auch bekannt in der Tanzfotografie, der über viele Jahrzehnte in Vergessenheit geriet. D’Oras Arbeiten spielen mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten und ausdrucksstarken Gesten, ähnlich wie der expressionistische Film. Es gelang ihr, die dynamischen Bewegungen des expressionistischen Tanzes in die statische Fotografie zu übernehmen. Besonders ihre Fotografien des bekannten Tanzpaares Anita Berber und Sebastian Droste stehen in der Ausstellung im Fokus.

Madame D’Ora, Anita Berber und Sebastian Droste, aus der Tanzproduktion „Die Tänze des Lasteres, des Grauens und der Ekstase“, 1922. Österreichische Nationalbibliothek, Wien. Foto: Madame d’Ora

Grafik: Emma Schlangenhausen

Emma Schlangenhausen (1882–1947) veröffentlichte ihre Arbeiten unter anderem in den Zeitschriften „Die Fläche“ und „Ver Sacrum“, den führenden Medien der Wiener Secession. Ihre Grafiken zeigen sakrale Motive und Tierszenen, die Nähe zum Jugendstil ist unübersehbar. Dabei spielt der Holzschnitt als eines der wichtigsten Medien des Expressionismus eine große Rolle.

Emma Schlangenhausen, Erschreckt, o. J. Museum Ostwall im Dortmunder U, Dortmund

Keramik als Ausdrucksform: Kitty Rix und Vally Wieselthier

Die Keramikerin Kitty Rix (1901–1951 [?]; auch Katharina Rix-Tichacek) arbeitet in der Entwurfsabteilung der Wiener Werkstätte gearbeitet. Sie entwarf sowohl figürliche und szenische als auch Gebrauchskeramiken. Wie die expressionistische Malerei wurden auch ihre Werke von Kunst aus Afrika, von „Volkskunst“ und von Kinderzeichnungen inspiriert. Ihre Arbeiten werden zusammen mit Keramiken ihrer Lehrerin Vally Wieselthier (1895–1945) gezeigt. Rix und Wieselthier arbeiteten sehr ähnlich, letztere prägte zudem maßgeblich die keramische Bildsprache der Wiener Werkstätte.

Kitty Rix, Löwenfigur, um 1925. Leopold Privatsammlung, Wien

Kunst in Textil: Marta Worringer

Marta Worringer (1881–1965) war eine der bekanntesten Vertreterinnen des Rheinischen Expressionismus. Ihr künstlerisches Zuhause waren vor allem Seidenstickereien. Nach ihrer Heirat 1907 stellte sie zwar weiterhin aus, trat aber hinter ihren Mann zurück und fügte sich weitestgehend in die Frauen damals zugeschriebenen Rollenerwartungen.

„Fluxus can be lots of fun…

… when the boys let you on their boat“, scherzte Carolee Schneemann, eine Performance-Künstlerin der Fluxus-Bewegung.

Der Fluxus-Teil der Ausstellung – Charlotte Moorman mit Bomb Cello. Foto: Roland Baege

Der zweite Ausstellungs-Abschnitt, Fluxus und Feminismus, beleuchtet die 1970er Jahre, in denen Künstlerinnen wie Carolee Schneemann, Yoko Ono und Ana Mendieta gesellschaftliche Rollenerwartungen und die Ungleichheit innerhalb der Kunstszene anprangerten. Mit teils provokanten Arbeiten, wie Schneemanns körperbetonten Performances oder Mendietas Performances, stellten sie den „Male Gaze“ infrage und schufen Raum für feministische Diskurse.

Yoko Ono, Grapefruit, 1970. Privatsammlung Anna-Lena Friebe. Foto: Yoko Ono

Gesellschaftliche Rollenerwartungen an Frauen kommentieren Leticía Parente, Martha Rosler und Mieko Shiomi in ihren künstlerischen Arbeiten zu Haus- und Sorge-Arbeit. Die geschlechtsspezifische Arbeitstrennung unterliefen besonders Künstler:innen-Paare aus dem Fluxus-Kontext: Die Bande zwischen Yoko Ono und John Lennon, Dorothy Iannone und Dieter Roth, Shigeko Kubota und Nam June Paik sowie Alison Knowles und Dick Higgins spiegeln sich in ihrem künstlerischen Schaffen – in kollaborativen Projekten, die ihre Liebesbeziehungen als Inspirationsquelle hatten.

Alltag als Kunst

Wer aber Fluxus lediglich auf feministische Diskussionen reduziert, greift zu kurz.  Neben der Beschäftigung mit Rollen und Zuschreibungen ging es auch darum, Kunst im „normalen“ Alltag zu entdecken und ganz prosaische Tätigkeiten zu beleuchten. Auch das zeigt die schöne Ausstellung im Dortmunder U.

„Wähle fünf materielle Gegenstände aus, die du innerhalb eines bestimmten Zeitraums (ein Monat, ein Tag) benutzt hast, die du gefunden hast oder die dir jemand geschenkt hat, und mache daraus Kunst oder Musik“. Alison Knowles, Basta Fagioli #1 (sic!), 1993
Sammlung Braun/Lieff, Museum Ostwall im Dortmunder U. © Alison Knowles

Begleitprogramm und Mitmachstationen

Neben der Ausstellung bietet das Museum ein umfassendes Vermittlungsprogramm mit Führungen, Workshops und Diskursräumen. Auch Mitmachstationen sind in nahezu jedem Raum zu finden.

 

Mitmachstation zur Filmemacherin Lotte Reiniger. Foto: Roland Baege

Tell these people who I am: Künstlerinnen in Expressionismus und Fluxus. Eine Ausstellung des Museum Ostwall im Dortmunder U, bis 23.3.

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